PERSONALquarterly 3/2019 - page 48

PERSONALquarterly 03/19
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STATE OF THE ART
_PERSONALAUSWAHL
I
mmer mehr Unternehmen setzen bei der Personalaus-
wahl auf „Cultural Fit“, das heißt die Passung zwischen
Bewerber und Unternehmen. Laut einer Befragung von
424 Personen in HR-Funktionen aus dem Jahr 2016 halten
80% der Befragten Cultural Fit für wichtig oder eher wichtig,
wobei eine steigende Bedeutung des Themas erwartet wird
(Athanas et al., 2016, S. 5). Die Unternehmen erhoffen sich
durch die Berücksichtigung der Passung sowohl eine höhere
Mitarbeiterbindung als auch eine erhöhte Motivation und da-
mit Produktivität. Ähnlich sieht es auf der Bewerberseite aus.
In einer Studie von Stepstone (2017, S. 16) gaben bspw. 93% der
Teilnehmer an, dass ihnen Unternehmenskultur und kulturelle
Passung bei der Jobsuche wichtig sind; fast die Hälfte der Job-
suchenden gibt an, Cultural Fit sei der wesentliche Entschei-
dungsfaktor. Entsprechend verwundert es nicht, dass bereits
über 40% der Unternehmen die Passung der Kandidaten mit
der Unternehmenskultur im Bewerbungsprozess überprüfen.
Befeuert wird die Diskussion zusätzlich durch neue digitale
Angebote von Personaldienstleistern, die die KI-basierte Mes-
sung des Cultural Fit versprechen, wobei dazu unterschied-
lichste Instrumente zum Einsatz kommen.
Vor dem Hintergrund dieser ersten Befunde wollen wir der
Frage nachgehen, welchen Einfluss die kulturelle Passung auf
Basis wissenschaftlicher Studien tatsächlich für personalwirt-
schaftliche Ergebnisgrößen wie Produktivität, Mitarbeiterbin-
dung und -zufriedenheit hat. Darüber hinaus wollen wir die
relative Bedeutung der kulturellen Passung im Vergleich zum
Person-Job-Fit, das heißt der Passung zwischen Charakteristika
der Bewerber und den konkreten Arbeitsplatzanforderungen
näher betrachten: Ist der Slogan „Hire for attitudes and train
for skills“ tatsächlich die neue Losung für das Personalmanage-
ment? Zunächst wollen wir jedoch näher auf die wissenschaft-
liche Bedeutung von Cultural Fit eingehen.
Was ist Person-Organisation-Fit?
Im Folgenden verwenden wir für diese kulturelle Passung zwi-
schen Person und Organisation den Begriff P-O-Fit und bezie-
hen uns auf die klassische Definition von Amy-L. Kristof (1996,
S. 4-5), die P-O-Fit versteht als „the compatibility between peo-
ple and organizations that occurs when: (a) at least one entity
provides what the other needs, or (b) they share similar funda-
mental characteristics, or (c) both“. Neben P-O-Fit haben sich
verschiedene andere Formen der Passung in der Forschung
etabliert, hierunter z. B. Person-Job-Fit, Person-Group-Fit oder
Person-Supervisor-Fit. Diese begriffliche Unterscheidung ist
wichtig, um effektive Personalmaßnahmen planen und einset-
zen zu können. Demgegenüber ist die aktuelle Diskussion zur
kulturellen Passung eher durch begriffliche Ungenauigkeiten
bestimmt. In der bereits oben zitierten Studie von Stepstone
(2017) wird z. B. auf die Frage, über welche kulturellen Aspekte
im Bewerbungsprozess Informationen gewünscht werden, an
erster Stelle mit ca. 75% der Führungsstil genannt, der eher der
Kategorie Person-Supervisor-Fit zuzuordnen ist.
P-O-Fit im Rahmen der Personalauswahl
In der Ausgabe zum 100-jährigen Bestehen der Zeitschrift
„Journal of Applied Psychology“ im Jahr 2017 wurden ver-
schiedene zentrale Fragestellungen der Arbeits- und Orga-
nisationspsychologie in einzelnen Artikeln besprochen. Die
Personalauswahl wurde darin als „Supreme Problem“, als wo-
möglich bedeutsamstes Problem, bezeichnet, weil Auswahlent-
scheidungen eine so zentrale Rolle für Organisationen haben
(Ployhart/Schmitt/Tippins, 2017). Über die klassischen Instru-
mente bei der Personalauswahl wie z. B. das Interview oder das
Assessment Center hatten wir bereits vor mehreren Jahren in
PERSONALquarterly berichtet („Methoden der Personalaus-
wahl: Was nützt?“, Biemann/Weckmüller, 2012). Methodisch
wird die Qualität der verschiedenen Instrumente über die prä-
diktive Validität erfasst, welche den Zusammenhang zwischen
Testergebnis und späterer Arbeitsleistung misst. Wünschens-
wert ist eine hohe positive Korrelation, dass also hohe Werte
im Auswahlinstrument auf eine hohe spätere Arbeitsleistung
schließen lassen. Ein Instrument ist ungeeignet, wenn die
Korrelation nahe bei null liegt, es also keine Vorhersagekraft
besitzt. Dieselbe Logik lässt sich auch für P-O-Fit verwenden.
Die Messung der Passung zwischen Individuum und Organi-
sation ist dann bei der Personalauswahl sinnvoll, wenn sie
eine Vorhersagekraft z. B. für spätere Arbeitsleistung oder die
Bleibewahrscheinlichkeit besitzt. Diese Logik ist für P-O-Fit
allerdings weniger direkt.
Von
Prof. Dr. Torsten Biemann
(Universität Mannheim) und
Prof. Dr. Heiko Weckmüller
(Hochschule Koblenz)
Person-Organisation-Fit: Wie wichtig ist die
kulturelle Passung bei der Personalauswahl?
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