55
03/19 PERSONALquarterly
Allerdings trage es auchmehr Verantwortung. Genau deshalb
braucht es den interdisziplinären Austausch im Team. Doch der
sei mitunter anstrengend, sagt Fee Steinhoff. Immerhin gelte
es, zum einen die Sprachen der verschiedenen Disziplinen zu
übersetzen. Und zum anderen koste Transparenz, Feedback
geben und erhalten sowie die Klärung von Konflikten Energie.
Sie rät dazu, über die Teamarbeit hinaus einen Austausch im
eigenen Fachgebiet zu organisieren: „Das fühlt sich leicht an
und spendet Kraft für die interdisziplinäre Zusammenarbeit.“
Die Professorin hält agile Teamarbeit nicht „für eine Wunder-
waffe“. Man müsse – wie in der alten Gruppenarbeit – Kompe-
tenzen ausbalancieren, um die Rollen erfolgreich zu besetzen.
Etwas provokant setzt sie hinzu: „Gute Teams und Individuen
werden mit agilen Methoden besser, schlechte Teams und we-
niger lernfähige Individuen performen meiner Erfahrung nach
trotzdem nicht überragend besser, aber: Sie fühlen sich besser.
Was an sich auch schon etwas wert ist.“
Situative Rahmenbedingungen bestimmen mit über den
Erfolg von Teamarbeit
Weniger auf das individuelle Verhalten der Teammitglieder
als auf die situativen Rahmenbedingungen schaut Margarete
Boos in ihren Forschungsprojekten. Die Professorin, die die
Abteilung Sozial- und Kommunikationspsychologie der Georg-
August-Universität Göttingen leitet, untersucht seit über 15
Jahren OP-Teams. Die Teams in der Thorax-, Herz- und Ge-
fäßchirurgie sowie in der Urologie stehen unter einem extre-
men Effizienzdruck, in dem die Kommunikation zwischen
den Teammitgliedern klar und eindeutig sein muss. Die Wirt-
schafts- und Sozialpsychologin konnte z. B. nachweisen, dass
Störungen durch Lärm und Stress den Operationserfolg be
einflussen. „In unseren Studien evaluieren wir Möglichkeiten,
etwa den Lärm durch Headsets und Mikrofone zu minimieren“,
erklärt Forscherin Boos. „So können OP-Nachwehen wie Bak-
terienausbreitung minimiert werden.“ Einen Erfolg sieht sie
in den OP-Guidelines, die heute im Gegensatz zu früher nicht
nur technische, sondern auch sozialpsychologische Aspekte
formulieren. So sollen die Teammitglieder in geschlossenen
Zyklen kommunizieren und Personen, die etwas tun sollen,
direkt adressiert werden – und ebenso direkt antworten, da-
mit keine Missverständnisse über die Aufgabenverteilung und
den OP-Ablauf entstehen. „In der Medizin geht es noch rela-
tiv hierarchisch zu“, sagt Margarete Boos. Deshalb untersucht
sie in interdisziplinären Tumorboards der Uniklinik z. B. die
Redeanteile von Chef-, Ober- und Assistenzärzten, die aus der
Strahlen- oder Nuklearmedizin kommen und auf Onkologen,
Operateure oder Mediziner aus den Fachabteilungen Inneres
oder Hals-Nasen-Ohren treffen. Ihr Ergebnis: „Junge Ärzte und
Ärztinnen sprechen dann offen, wenn sie sich psychisch sicher
fühlen.“
Professorin Boos geht mit ihren Studienergebnissen ins
Feld. Sie entwickelt mit ihrem Team Trainings und schreibt
Broschüren – etwa dazu, wie Mitarbeiter der Intensivstation
mit Angehörigen sprechen können. Auch zur Reanimation hat
sie bereits verhaltensorientierte Trainings veröffentlicht, etwa
Videoclips mit idealem Verhalten, aber auch mit fehlerhaftem
Verhalten, um ein Debriefing des eigenen Handelns zu errei-
chen. Neben aller Praxisnähe betreibt Margarete Boos auch
Grundlagenforschung. Sie beobachtet, was Verhaltensforscher
über die Entscheidungsfindung in Tiergruppen und bei in
Gruppen lebenden Primaten herausfinden. Ob Schwarmver-
halten oder Alphatiergehorsam, der Wissenschaftlerin geht
es darum, wie Menschen bewegt werden, etwas zu tun oder
es zu lassen. PC-gestützt untersucht sie mit Avataren, die sich
nur über die Bewegung koordinieren können, wann und wie
Testpersonen diese in ein Feld lotsen. Die Ergebnisse könnten
Massenphänomene beschreiben wie die Panik bei der Duisbur-
ger Loveparade, aber auch die Motivation von großen Teams.
V. l. n. r.: Prof. Dr. Michael Müller-Vorbrüggen (Hochschule Niederrhein), Prof. Dr. Fee Steinhoff
(Hochschule Koblenz), Prof. Dr. Margarete Boos (Georg-Augustus-Universität Göttingen)