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          03/19  PERSONALquarterly
        
        
          Allerdings trage es auchmehr Verantwortung. Genau deshalb
        
        
          braucht es den interdisziplinären Austausch im Team. Doch der
        
        
          sei mitunter anstrengend, sagt Fee Steinhoff. Immerhin gelte
        
        
          es, zum einen die Sprachen der verschiedenen Disziplinen zu
        
        
          übersetzen. Und zum anderen koste Transparenz, Feedback
        
        
          geben und erhalten sowie die Klärung von Konflikten Energie.
        
        
          Sie rät dazu, über die Teamarbeit hinaus einen Austausch im
        
        
          eigenen Fachgebiet zu organisieren: „Das fühlt sich leicht an
        
        
          und spendet Kraft für die interdisziplinäre Zusammenarbeit.“
        
        
          Die Professorin hält agile Teamarbeit nicht „für eine Wunder-
        
        
          waffe“. Man müsse – wie in der alten Gruppenarbeit – Kompe-
        
        
          tenzen ausbalancieren, um die Rollen erfolgreich zu besetzen.
        
        
          Etwas provokant setzt sie hinzu: „Gute Teams und Individuen
        
        
          werden mit agilen Methoden besser, schlechte Teams und we-
        
        
          niger lernfähige Individuen performen meiner Erfahrung nach
        
        
          trotzdem nicht überragend besser, aber: Sie fühlen sich besser.
        
        
          Was an sich auch schon etwas wert ist.“
        
        
          
            Situative Rahmenbedingungen bestimmen mit über den
          
        
        
          
            Erfolg von Teamarbeit
          
        
        
          Weniger auf das individuelle Verhalten der Teammitglieder
        
        
          als auf die situativen Rahmenbedingungen schaut Margarete
        
        
          Boos in ihren Forschungsprojekten. Die Professorin, die die
        
        
          Abteilung Sozial- und Kommunikationspsychologie der Georg-
        
        
          August-Universität Göttingen leitet, untersucht seit über 15
        
        
          Jahren OP-Teams. Die Teams in der Thorax-, Herz- und Ge-
        
        
          fäßchirurgie sowie in der Urologie stehen unter einem extre-
        
        
          men Effizienzdruck, in dem die Kommunikation zwischen
        
        
          den Teammitgliedern klar und eindeutig sein muss. Die Wirt-
        
        
          schafts- und Sozialpsychologin konnte z. B. nachweisen, dass
        
        
          Störungen durch Lärm und Stress den Operationserfolg be
        
        
          einflussen. „In unseren Studien evaluieren wir Möglichkeiten,
        
        
          etwa den Lärm durch Headsets und Mikrofone zu minimieren“,
        
        
          erklärt Forscherin Boos. „So können OP-Nachwehen wie Bak-
        
        
          terienausbreitung minimiert werden.“ Einen Erfolg sieht sie
        
        
          in den OP-Guidelines, die heute im Gegensatz zu früher nicht
        
        
          nur technische, sondern auch sozialpsychologische Aspekte
        
        
          formulieren. So sollen die Teammitglieder in geschlossenen
        
        
          Zyklen kommunizieren und Personen, die etwas tun sollen,
        
        
          direkt adressiert werden – und ebenso direkt antworten, da-
        
        
          mit keine Missverständnisse über die Aufgabenverteilung und
        
        
          den OP-Ablauf entstehen. „In der Medizin geht es noch rela-
        
        
          tiv hierarchisch zu“, sagt Margarete Boos. Deshalb untersucht
        
        
          sie in interdisziplinären Tumorboards der Uniklinik z. B. die
        
        
          Redeanteile von Chef-, Ober- und Assistenzärzten, die aus der
        
        
          Strahlen- oder Nuklearmedizin kommen und auf Onkologen,
        
        
          Operateure oder Mediziner aus den Fachabteilungen Inneres
        
        
          oder Hals-Nasen-Ohren treffen. Ihr Ergebnis: „Junge Ärzte und
        
        
          Ärztinnen sprechen dann offen, wenn sie sich psychisch sicher
        
        
          fühlen.“
        
        
          Professorin Boos geht mit ihren Studienergebnissen ins
        
        
          Feld. Sie entwickelt mit ihrem Team Trainings und schreibt
        
        
          Broschüren – etwa dazu, wie Mitarbeiter der Intensivstation
        
        
          mit Angehörigen sprechen können. Auch zur Reanimation hat
        
        
          sie bereits verhaltensorientierte Trainings veröffentlicht, etwa
        
        
          Videoclips mit idealem Verhalten, aber auch mit fehlerhaftem
        
        
          Verhalten, um ein Debriefing des eigenen Handelns zu errei-
        
        
          chen. Neben aller Praxisnähe betreibt Margarete Boos auch
        
        
          Grundlagenforschung. Sie beobachtet, was Verhaltensforscher
        
        
          über die Entscheidungsfindung in Tiergruppen und bei in
        
        
          Gruppen lebenden Primaten herausfinden. Ob Schwarmver-
        
        
          halten oder Alphatiergehorsam, der Wissenschaftlerin geht
        
        
          es darum, wie Menschen bewegt werden, etwas zu tun oder
        
        
          es zu lassen. PC-gestützt untersucht sie mit Avataren, die sich
        
        
          nur über die Bewegung koordinieren können, wann und wie
        
        
          Testpersonen diese in ein Feld lotsen. Die Ergebnisse könnten
        
        
          Massenphänomene beschreiben wie die Panik bei der Duisbur-
        
        
          ger Loveparade, aber auch die Motivation von großen Teams.
        
        
          V. l. n. r.: Prof. Dr. Michael Müller-Vorbrüggen (Hochschule Niederrhein), Prof. Dr. Fee Steinhoff
        
        
          (Hochschule Koblenz), Prof. Dr. Margarete Boos (Georg-Augustus-Universität Göttingen)