PERSONALquarterly  03/19
        
        
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            SERVICE
          
        
        
          _EVIDENZ ÜBER DEN TELLERRAND
        
        
          W
        
        
          er ist der beste Arbeitgeber, die beste Universi
        
        
          tät oder der beliebteste Politiker/die beliebteste
        
        
          Politikerin? Wir sind offensichtlich süchtig nach
        
        
          Ranglisten aller Art. Produzenten von Statis
        
        
          tiken kommen dieser Sehnsucht nach Rankings gerne nach
        
        
          und produzieren dabei oft nur inhaltsleere Zahlen. Eine solche
        
        
          Rangliste wurde im April 2019 Gegenstand einer hitzigen öf
        
        
          fentlichen Debatte: Die Oberbürgermeister und Landräte des
        
        
          Ruhrgebiets weigerten sich nämlich, an zwei neuen vom ZDF
        
        
          geplanten Ranglisten teilzunehmen. Sie waren immer noch
        
        
          über die imMai 2018 vom ZDF ausgestrahlte Sendung „Wo lebt
        
        
          es sich am besten? Die große Deutschland-Studie“ verärgert,
        
        
          in der auf Basis von 53 Indikatoren alle deutschen Kreise und
        
        
          kreisfreien Städte benotet wurden – mit dem für Gelsenkirchen
        
        
          wenig ermutigenden Ergebnis, im Ranking der lebenswertes
        
        
          ten Regionen Deutschlands auf dem letzten Platz zu landen.
        
        
          Dieses Städteranking vereint nahezu alle Probleme, die mit
        
        
          derartigen Ranglisten verbunden sind. Ein erstes Problem liegt
        
        
          in der Auswahl der dem Ranking zugrunde liegenden Indika
        
        
          toren. Sie sind üblicherweise hoch miteinander korreliert. Das
        
        
          führt dazu, dass bestimmte Eigenschaften mehrfach berück
        
        
          sichtigt werden. So verwendete das ZDF für sein Städteranking
        
        
          die Indikatoren Arbeitslosenquote, verfügbares Einkommen,
        
        
          Anteil der Einwohner in Bedarfsgemeinschaften und Anzahl
        
        
          der privaten Schuldner je 100 volljährige Einwohner. Da eine
        
        
          hohe Arbeitslosenquote üblicherweise mit einem geringeren
        
        
          durchschnittlichen Einkommen, mit einem hohen Anteil von
        
        
          Einwohnern in Bedarfsgemeinschaften und mit vielen pri
        
        
          vaten Schuldnern einhergeht, landen Regionen mit struktu
        
        
          rellen ökonomischen Problemen automatisch ganz am Ende
        
        
          des Städterankings.
        
        
          
            Gute und schlechte Eigenschaften geben Interpretations-
          
        
        
          
            spielraum
          
        
        
          Doch auch die Nichtberücksichtigung wichtiger Indikatoren
        
        
          kann das Ergebnis eines Rankings erheblich beeinflussen. So
        
        
          kann man sich bei dem Städteranking des ZDF durchaus fra
        
        
          gen, warum nur die Anzahl klassischer Kulturveranstaltungen
        
        
          mit eigenem Ensemble und institutioneller Förderung zu einer
        
        
          höheren Lebensqualität führt, nicht aber die Existenz eines tra
        
        
          ditionellen Fußballvereins in der 1. Bundesliga – hier bspw. hät
        
        
          te das Ruhrgebiet punkten können. Auch die Ausrichtung eines
        
        
          Heavy-Metal-Festivals mit jährlich über 80.000 Teilnehmern,
        
        
          wie in der Gemeinde Wacken, ließe sich je nach Definition des
        
        
          zugrunde liegenden Kulturbegriffs durchaus berücksichtigen.
        
        
          Schließlich müssen die Indikatoren noch als „gute“ oder
        
        
          „schlechte“ Eigenschaft bewertet werden. Und auch hier erge
        
        
          ben sich zumeist erhebliche Interpretationsspielräume. Füh
        
        
          ren – wie im Städteranking unterstellt – mehr Sonnenstunden
        
        
          pro Jahr wirklich zu einer höheren Lebensqualität? Noch im
        
        
          Rekordsommer 2018 haben viele Medien über die zahlreichen
        
        
          „vorzeitigen Todesfälle“ aufgrund der Hitze berichtet.
        
        
          
            Gewichtung der Indikatoren bestimmt Ergebnisse
          
        
        
          Ist man sich über die zu berücksichtigenden Indikatoren ei
        
        
          nig, stellt sich die Frage, wie die einzelnen Indikatoren ge
        
        
          wichtet werden sollen, um letztendlich zu einer Rangliste zu
        
        
          kommen. Die Auswahl dieser Gewichte ist nicht trivial und
        
        
          beeinflusst das Ergebnis selbst bei einfachen Rankings er
        
        
          heblich. So erklärte die „New York Times“ nach den olympi
        
        
          schen Sommerspielen in Peking im Jahr 2008 die USA zum
        
        
          Medaillensieger. Die New York Times gab jeder Medaille – ob
        
        
          Gold, Silber oder Bronze – das Gewicht 1. Mit 110 Medaillen
        
        
          lag die USA damit vor China. Die chinesische People’s Daily
        
        
          hingegen berücksichtigte nur Goldmedaillen und gewichte
        
        
          te Silber- und Bronzemedaillen mit dem Wert 0. Damit war
        
        
          nach Ansicht von People’s Daily China mit 51 Goldmedaillen
        
        
          Sieger der Sommerspiele im eigenen Land, weit vor den USA
        
        
          mit lediglich 36 Goldmedaillen. Keine der von diesen beiden
        
        
          Zeitungen verwendeten Methoden ist besser oder schlechter
        
        
          – auch wenn diese Methoden zu sehr unterschiedlichen Er
        
        
          gebnissen führen.
        
        
          Nicht zuletzt aus diesen Gründen sollte man Rankings aus
        
        
          statistischer Sicht als das nehmen, was sie sind: Unfug. Und sie
        
        
          am besten ignorieren. Das gilt insbesondere, wenn man selbst
        
        
          in einem solchen Ranking schlecht abschneidet. Keine gute
        
        
          Idee ist es hingegen, mit blindem Aktionismus einen besseren
        
        
          Rankingplatz anzustreben. Lokalpolitiker in Gelsenkirchen
        
        
          könnten beispielsweise auf die Idee kommen, ein hochsub
        
        
          ventioniertes Theater zu eröffnen, um beim Kulturangebot zu
        
        
          punkten. Das ist aber im Zweifelsfall noch nicht einmal im
        
        
          Hinblick auf ein besseres Rankingergebnis sinnvoll, denn die
        
        
          entscheidenden Indikatoren und deren Gewichtung können
        
        
          sich von Ranking zu Ranking ändern.
        
        
          Warum Rankings statistischer Unfug sind
        
        
          
            Prof. Dr. Thomas K. Bauer,
          
        
        
          Vizepräsident RWI Essen – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, einer von drei Initiatoren der Aktion
        
        
          „Unstatistik des Monats“,