PERSONALquarterly 3/2019 - page 58

PERSONALquarterly 03/19
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_EVIDENZ ÜBER DEN TELLERRAND
W
er ist der beste Arbeitgeber, die beste Universi­
tät oder der beliebteste Politiker/die beliebteste
Politikerin? Wir sind offensichtlich süchtig nach
Ranglisten aller Art. Produzenten von Statis­
tiken kommen dieser Sehnsucht nach Rankings gerne nach
und produzieren dabei oft nur inhaltsleere Zahlen. Eine solche
Rangliste wurde im April 2019 Gegenstand einer hitzigen öf­
fentlichen Debatte: Die Oberbürgermeister und Landräte des
Ruhrgebiets weigerten sich nämlich, an zwei neuen vom ZDF
geplanten Ranglisten teilzunehmen. Sie waren immer noch
über die imMai 2018 vom ZDF ausgestrahlte Sendung „Wo lebt
es sich am besten? Die große Deutschland-Studie“ verärgert,
in der auf Basis von 53 Indikatoren alle deutschen Kreise und
kreisfreien Städte benotet wurden – mit dem für Gelsenkirchen
wenig ermutigenden Ergebnis, im Ranking der lebenswertes­
ten Regionen Deutschlands auf dem letzten Platz zu landen.
Dieses Städteranking vereint nahezu alle Probleme, die mit
derartigen Ranglisten verbunden sind. Ein erstes Problem liegt
in der Auswahl der dem Ranking zugrunde liegenden Indika­
toren. Sie sind üblicherweise hoch miteinander korreliert. Das
führt dazu, dass bestimmte Eigenschaften mehrfach berück­
sichtigt werden. So verwendete das ZDF für sein Städteranking
die Indikatoren Arbeitslosenquote, verfügbares Einkommen,
Anteil der Einwohner in Bedarfsgemeinschaften und Anzahl
der privaten Schuldner je 100 volljährige Einwohner. Da eine
hohe Arbeitslosenquote üblicherweise mit einem geringeren
durchschnittlichen Einkommen, mit einem hohen Anteil von
Einwohnern in Bedarfsgemeinschaften und mit vielen pri­
vaten Schuldnern einhergeht, landen Regionen mit struktu­
rellen ökonomischen Problemen automatisch ganz am Ende
des Städterankings.
Gute und schlechte Eigenschaften geben Interpretations-
spielraum
Doch auch die Nichtberücksichtigung wichtiger Indikatoren
kann das Ergebnis eines Rankings erheblich beeinflussen. So
kann man sich bei dem Städteranking des ZDF durchaus fra­
gen, warum nur die Anzahl klassischer Kulturveranstaltungen
mit eigenem Ensemble und institutioneller Förderung zu einer
höheren Lebensqualität führt, nicht aber die Existenz eines tra­
ditionellen Fußballvereins in der 1. Bundesliga – hier bspw. hät­
te das Ruhrgebiet punkten können. Auch die Ausrichtung eines
Heavy-Metal-Festivals mit jährlich über 80.000 Teilnehmern,
wie in der Gemeinde Wacken, ließe sich je nach Definition des
zugrunde liegenden Kulturbegriffs durchaus berücksichtigen.
Schließlich müssen die Indikatoren noch als „gute“ oder
„schlechte“ Eigenschaft bewertet werden. Und auch hier erge­
ben sich zumeist erhebliche Interpretationsspielräume. Füh­
ren – wie im Städteranking unterstellt – mehr Sonnenstunden
pro Jahr wirklich zu einer höheren Lebensqualität? Noch im
Rekordsommer 2018 haben viele Medien über die zahlreichen
„vorzeitigen Todesfälle“ aufgrund der Hitze berichtet.
Gewichtung der Indikatoren bestimmt Ergebnisse
Ist man sich über die zu berücksichtigenden Indikatoren ei­
nig, stellt sich die Frage, wie die einzelnen Indikatoren ge­
wichtet werden sollen, um letztendlich zu einer Rangliste zu
kommen. Die Auswahl dieser Gewichte ist nicht trivial und
beeinflusst das Ergebnis selbst bei einfachen Rankings er­
heblich. So erklärte die „New York Times“ nach den olympi­
schen Sommerspielen in Peking im Jahr 2008 die USA zum
Medaillensieger. Die New York Times gab jeder Medaille – ob
Gold, Silber oder Bronze – das Gewicht 1. Mit 110 Medaillen
lag die USA damit vor China. Die chinesische People’s Daily
hingegen berücksichtigte nur Goldmedaillen und gewichte­
te Silber- und Bronzemedaillen mit dem Wert 0. Damit war
nach Ansicht von People’s Daily China mit 51 Goldmedaillen
Sieger der Sommerspiele im eigenen Land, weit vor den USA
mit lediglich 36 Goldmedaillen. Keine der von diesen beiden
Zeitungen verwendeten Methoden ist besser oder schlechter
– auch wenn diese Methoden zu sehr unterschiedlichen Er­
gebnissen führen.
Nicht zuletzt aus diesen Gründen sollte man Rankings aus
statistischer Sicht als das nehmen, was sie sind: Unfug. Und sie
am besten ignorieren. Das gilt insbesondere, wenn man selbst
in einem solchen Ranking schlecht abschneidet. Keine gute
Idee ist es hingegen, mit blindem Aktionismus einen besseren
Rankingplatz anzustreben. Lokalpolitiker in Gelsenkirchen
könnten beispielsweise auf die Idee kommen, ein hochsub­
ventioniertes Theater zu eröffnen, um beim Kulturangebot zu
punkten. Das ist aber im Zweifelsfall noch nicht einmal im
Hinblick auf ein besseres Rankingergebnis sinnvoll, denn die
entscheidenden Indikatoren und deren Gewichtung können
sich von Ranking zu Ranking ändern.
Warum Rankings statistischer Unfug sind
Prof. Dr. Thomas K. Bauer,
Vizepräsident RWI Essen – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, einer von drei Initiatoren der Aktion
„Unstatistik des Monats“,
1...,48,49,50,51,52,53,54,55,56,57 59,60
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