PERSONALquarterly 3/2019 - page 54

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SERVICE
_DIE FAKTEN HINTER DER SCHLAGZEILE
PERSONALquarterly 03/19
M
eedia.de, der Onlinebranchendienst zu Me-
dienthemen, titelt in seinem Newsletter vom
30. Januar dieses Jahres „Das Geheimnis erfolg-
reicher Teamarbeit“. Dahinter steckt eine Studie,
die belegt, dass Teams mehr leisten, wenn sich die Teammit-
glieder psychologisch sicher fühlen. Auch Spiegel Online greift
am 18. Februar die Teamarbeit auf: „Diesen Typ braucht jede
Gruppe“ heißt es dort. Gemeint ist der Clown, der positiv auf
die Gruppenstimmung wirkt. Der sei, so wird US-Forschung
skizziert, im Raumschiff so relevant für den Erfolg wie bei der
Antarktisexpedition.
Professor Michael Müller-Vorbrüggen, der an der Hoch-
schule Niederrhein in Mönchengladbach bei den Wirtschafts-
wissenschaftlern die Personalentwicklung vertritt, folgt dieser
Idee überhaupt nicht. Vielmehr setzt er in der Diskussion um
das ideal zusammengesetzte Team „hinter die Typenlehre wis-
senschaftlich ein großes Fragezeichen“. Als Forscher wie als
Coach, ausgebildet in analytischer Gruppendynamik wie in
personenzentrierter Gesprächstherapie, wendet er sich gegen
eine Überinterpretation der Zuordnung menschlicher Eigen-
schaften: „Menschen, die introvertiert sind, sind das nicht in
jeder Gruppe, eine starre Einordnung führt also zwangsläufig
zu einer Fehlentwicklung.“ Für Müller-Vorbrüggen bestimmt
die Gruppe über die Rollenverteilung. Ereignisse könnten die
Dynamik in der Gruppe und damit die Rollen verändern. „Rol-
lenbeschreibungen sind Momentaufnahmen“, sagt er. „Deter-
minierung behindert die Teamentwicklung und geht aus wie
das Hornberger Schießen.“
Für den Personalmanagementprofessor sind das Gespür
der Führungskräfte und Entwicklung von Gruppenfähigkeit
wertvoller als jede Typisierung. Werden Fachteams zusammen-
gesetzt, können gute Vorgesetzte einschätzen, wer mit wem
erfolgreich arbeiten kann. Ein Team, das viele Kompetenzen
auf unterschiedlichen Gebieten verbindet, wird seiner Ansicht
nach stärker, wenn es gleichzeitig divers ist. Jüngere und Äl-
tere, Männer und Frauen in verschiedenen Lebensphasen kön-
nen situative Schwächen in der Gruppe ausgleichen. Denn wer
Vater wird oder wessen Partner gerade schwer erkrankt ist,
trägt diese lebensgeschichtliche Situation in die Teamarbeit
und leistet in dieser Phase weniger. Sein Fazit: „Die Situation in
Ohne Teamarbeit ist die Arbeitswelt nicht mehr denkbar. Ob mit alten oder agilen Metho­
den: Individuen müssen lernen, ihre Rolle zu übernehmen, damit sich der Erfolg einstellt.
Extremer Effizienzdruck
einer Gruppe ist individuell und gilt nicht auf ewig.“ Insgesamt
blickt Michael Müller-Vorbrüggen optimistisch in die Zukunft
der Teamarbeit im Beruf. „Schon in der Schule und Hochschule
werden die jungen Menschen in Gruppenprozesse geschickt.“
Sie lernen dort, voneinander zu lernen. Außerdem kann man
die Fähigkeiten zur Gruppenarbeit in Fortbildungen stärken
– durch Rollenspiele oder Teamerfahrungen beim Segeltörn
oder beim Turmbau. „Da gibt es immer wieder Aha-Momente
und die muss man zulassen und positiv nutzen“, so der Hoch-
schullehrer.
Chefs und Projektleiter werden entmachtet, das agile Team
wird gestärkt
Auf die spontaneren kreativen Momente setzt agiles Arbeiten.
Fee Steinhoff, Professorin im Fachbereich Wirtschafts- und So-
zialwissenschaften an der Hochschule Koblenz, hat dieses For-
mat theoretisch beleuchtet wie praktisch aktiv begleitet. Denn
bevor sie die Professur Innovationsmanagement übernahm, ar-
beitete sie bei Telekom Innovation Laboratories (An-Institut der
TU Berlin) und war als Führungskraft in der Nutzerforschung
unterwegs. Wie Müller-Vorbrüggen empfiehlt die Professorin
einen analogen Start in die Teamarbeit: „Für den Erfolg ist das
Wir-Gefühl entscheidend, das entsteht bei der Arbeit, aber auch
beim Bier danach oder beim gemeinsamen Paddeln.“ Das gilt
für Start-ups, aber auch für große Einheiten, in denen immer
wieder neue Projektemit anderen Kollegen angestoßenwerden.
Dabei sollte man das Scrum-Regelwerk, in dem die Rollen vom
Scrum Master über den Product Owner bis zum Entwicklungs-
team ebenso klar abgegrenzt werden wie die Struktur mit dem
Daily am Teamtaskboard, dem Sprint und dem transparenten
Feedback danach, „manchmal nicht so streng anwenden“, so
Steinhoff. Es müsse nicht immer gleich das ganze Programm
sein. Entscheidend ist für die Hochschullehrerin nicht die reine
Lehre. „Ich bin misstrauisch, wenn Methoden religiöse Züge
annehmen“, sagt Steinhoff. Sie favorisiert es, agile Methoden
Schritt für Schritt in die Gruppe zu tragen. Denn die alten
Strukturen würden genug durcheinandergewirbelt. „Chefs und
Projektleiter werden entmachtet, sie dürfen z. B. über die für
den Sprint vereinbarten Aufgaben hinaus auch auf Umwegen
keine Arbeiten mehr zuweisen.“ Und: „Das Team wird stärker.“
Ruth Lemmer
, Freie Wirtschaftsjournalistin in Duisburg
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