PERSONALquarterly 4/2018 - page 48

PERSONALquarterly 04/18
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STATE OF THE ART
_MITARBEITERBINDUNG
dass jüngere Mitarbeiter höhere und teilweise vielleicht sogar
überzogene Erwartungen an den Arbeitgeber haben und ihr
Glück entsprechend etwas häufiger als ältere Arbeitnehmer
bei einem neuen Unternehmen suchen. Ähnlich stark ist mit
r = -0,20 der Einfluss von Kindern auf die Bleibewahrschein-
lichkeit. Kinder im eigenen Haushalt führen also dazu, eher im
Unternehmen zu bleiben. Überraschen mag dagegen die sehr
geringe Aussagekraft von Geschlecht und Ausbildung. Frauen
und Männer wechseln mit gleicher Wahrscheinlichkeit das
Unternehmen und auch eine höhere Ausbildung führt nur zu
einer marginal höheren Wechselwahrscheinlichkeit (r = 0,04).
Bei der Forschung zum Einfluss von Persönlichkeit der
Mitarbeiter auf deren Wahrscheinlichkeit, das Unternehmen
zu wechseln, wurden von vielen Forschern die Big Five als
Persönlichkeitsmodell verwendet. In der Meta-Analyse von
Rubenstein et al. (2018) ergaben sich für emotionale Stabili-
tät (r = -0,19), Gewissenhaftigkeit (r = -16) und Offenheit für
Erfahrungen (r = 0,14) kleine bis mittelstarke Effekte, woge-
gen die Vorhersagekraft von Verträglichkeit (r = -0,08) und
Extraversion (r = 0,02) eher gering ist. Die Persönlichkeit po-
tenzieller Mitarbeiter ließe sich also bei der Personalauswahl
als möglicher Prädiktor für Unternehmenswechsel nutzen, in
der Summe ist deren Vorhersagekraft aber begrenzt und viele
weitere Faktoren spielen eine ähnlich wichtige Rolle.
Charakteristika des Arbeitsplatzes
Neben interindividuellen Unterschieden spielt auch die Ge-
staltung des Arbeitsplatzes eine relevante Rolle für die Bleibe-
wahrscheinlichkeit der Mitarbeiter. So wechseln Mitarbeiter
mit höherem Gehalt und höherer Arbeitsplatzsicherheit sel-
tener das Unternehmen, die Effekte sind allerdings mit r = -0,17
bzw. r = -0,23 weitaus weniger stark als oftmals angenommen.
Interessant ist darüber hinaus der negative Zusammenhang
zwischen Arbeitsbelastung und Wechselwahrscheinlichkeit
(r = -0,10). Mitarbeiter mit einer höheren Arbeitsbelastung ver-
lassen also seltener das Unternehmen. Dies mag überraschen,
könnte aber dadurch erklärt werden, dass Mitarbeiter eine
überdurchschnittliche Arbeitsbelastung eher als Herausforde-
rung wahrnehmen und es erst bei übermäßiger Belastung in
Stress und andere negative Effekte umschlägt.
Insgesamt sind die Effekte des Arbeitsplatzes schwach bis
mittelstark, zeigen aber dennoch, dass sich Unternehmens-
wechsel nicht nur aus genereller Unzufriedenheit mit der Ar-
beit ableiten lassen, sondern Unternehmen gezielt versuchen
können, durch Maßnahmen zur Arbeitsplatzgestaltung der
Wechselwahrscheinlichkeit entgegenzuwirken.
Organisationaler Kontext
Bei den Faktoren auf der Unternehmensebene fällt zunächst
auf, dass die Organisationsgröße (r = 0,03) wie auch das Pres­
tige der Organisation (r = -0,06) keine große Rolle für die
Wechselwahrscheinlichkeit der Mitarbeiter spielen. Wichtiger
dagegen sind die wahrgenommene Unterstützung durch die
Organisation (r = -0,19) und das Organisationsklima (r = -0,24),
beides Faktoren, die vom Unternehmen aktiv gestaltet werden
können. „People don‘t quit their jobs, they quit their bosses“,
heißt es so oder ähnlich häufig, um die Bedeutung der Füh-
rungskräfte für Unternehmenswechsel der Mitarbeiter heraus-
zustellen. Tatsächlich zeigt die Meta-Analyse anhand von 42
Einzelstudien einen kleinen bis mittelstarken Effekt zwischen
Führung und freiwilligen Unternehmenswechseln (r = -0,24),
kann aber letztlich, anders als das Zitat es suggeriert, nur
einen kleinen Teil der Unternehmenswechsel erklären. Sogar
noch etwas bedeutsamer ist der Fit zwischen Mitarbeiter und
Unternehmen, denn wenn Mitarbeiter eine hohe Passung zwi-
schen sich und dem Unternehmen und dem Job wahrnehmen,
verlassen sie seltener das Unternehmen (r = -0,29). Ebenfalls
gut untersucht sind die Bedeutung von Beziehungen mit den
Kollegen und wahrgenommene Gerechtigkeit, beide mit klei-
nen bis mittelstarken Effekten (r = -0,14 bzw. r = -0,17).
Arbeitseinstellungen und Verhalten der Mitarbeiter
Die oben diskutierten Charakteristika der Mitarbeiter beinhal-
ten zeitlich stabile Faktoren, die entsprechend teilweise schon
bei der Personalauswahl miteinbezogen werden können. Ar-
beitseinstellungen dagegen sind stärker situationsabhängig.
Der stärkste Faktor aus dieser Gruppe sind Kündigungsgedan-
ken, die mit r = 0,56 einen starken Einfluss auf tatsächliche
Unternehmenswechsel haben. Der nächste Schritt, die aktive
Jobsuche, ist ebenfalls stark mit Unternehmenswechseln kor-
reliert (r = 0,40). Dies mag wenig überraschen, vereinfacht
aber die Einordnung der Bedeutung von auf den ersten Blick
weniger relevant erscheinenden Einflussfaktoren.
Die beiden bedeutendsten Arbeitseinstellungen sind Ar-
beitszufriedenheit und organisationales Commitment, welche
beide einen mittelstarken negativen Zusammenhang mit der
Wechselwahrscheinlichkeit aufweisen (r = -0,28 bzw. r = -0,29).
Beide Effekte wurden in jeweils über einhundert Einzelstudien
untersucht, stellen somit ein gesichertes Fundament für die
Bedeutung von Arbeitseinstellungen dar. Neuer und entspre-
chend weniger untersucht ist die Bedeutung von Engagement
auf die Wechselwahrscheinlichkeit, bei der sich aus den vier
in der Meta-Analyse betrachteten Einzelstudien zu diesem Zu-
sammenhang ein Korrelationskoeffizient von r = -0,20 ergibt.
Ähnlich bedeutsam ist der von Mitarbeitern wahrgenommene
Stress, der mit einem Korrelationskoeffizienten von r = 0,21 zu
mehr Unternehmenswechseln führt.
In der Praxis wird häufig angeführt, dass gerade die leis­
tungsstarken Mitarbeiter das Unternehmen schnell wieder
verlassen. Dies zeigt sich in den 86 Studien mit insgesamt
fast einer halben Million Mitarbeitern nicht; die Wechselwahr-
scheinlichkeit ist bei höherer Leistung sogar etwas geringer
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