PERSONALquarterly 4/2018 - page 46

PERSONALquarterly 04/18
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STATE OF THE ART
_MITARBEITERBINDUNG
N
eben der Förderung der Arbeitgeberattraktivität
ist die Mitarbeiterbindung aktuell eines der Top-themen im praktischen Personalmanagement.
Dabei gibt es eine Vielzahl von Ratgeberliteratur
mit Maßnahmen, wie die aus Arbeitgebersicht nicht gewollte
Fluktuation gesenkt werden kann. So nennt bspw. Softgar-
den (2015) fünf Maßnahmen, mit denen Mitarbeiter langfris­
tig an das Unternehmen gebunden werden können: richtige
Führung („Mitarbeiter kommen wegen des Jobs – und gehen
wegen des Chefs“), kreative und fordernde Arbeitsbedingun-
gen, ein attraktives Arbeitsumfeld, flexible Arbeitszeitmodelle
und Förder- und Nachwuchsprogramme. Sofern solche Maß-
nahmenprogramme empirisch unterlegt sind, beruhen sie auf
Beschäftigtenbefragungen wie z. B. dem Gallup Engagement
Index, bei denen die Bindung ebenfalls befragungsbasiert
als emotionale Bindung oder Kündigungsneigung operatio-
nalisiert wird. Diese Studien haben durchaus eine personal-
wirtschaftliche Berechtigung, weisen aber insbesondere zwei
Schwächen auf: Erstens unterstellen sie implizit, dass Unzu-
friedenheit der einzige Treiber für Unternehmenswechsel ist,
und zweitens zielen sie nicht auf die Erklärung der tatsäch-
lichen arbeitnehmerseitigen Kündigungen ab. Während aber
– je nach Befragung – bis zu 50% der Beschäftigten über einen
Arbeitgeberwechsel nachdenken, ist der Anteil tatsächlicher
Kündigungen deutlich geringer: So liegt die arbeitnehmersei-
tige Kündigungsquote in den letzten 20 Jahren zwischen ca.
4 und 8% pro Jahr, wobei die Schwankung im Wesentlichen
konjunkturbedingt ist (Erlinghagen, 2017, S. 19 auf Basis der
Daten des Sozioökonomischen Panels für Westdeutschland).
Vor dem Hintergrund der praktischen Relevanz des Themas
wollen wir im Folgenden der Frage nachgehen, welche Fak-
toren arbeitnehmerseitige Kündigungen vorhersagen können.
Wir konzentrieren uns wegen der Vielzahl der – weitgehend
bekannten – theoretischen Erklärungsansätze auf die empi-
rischen Befunde. Einen aktuellen Überblick zu den über ein-
hundert Jahren Forschung zu dem Thema und den jeweiligen
Theorien geben Hom et al. (2017), für eine Diskussion zukünf-
tiger Entwicklungen verweisen wir auf Lee et al. (2017).
Unsere Ausführungen stützen sich hauptsächlich auf eine
aktuelle Metaanalyse von Rubenstein et al. (2018), die unter
dem Titel „Surveying the forest“ eine exzellente Zusammenfas-
sung der empirischen Studien zu freiwilligen Unternehmens-
wechseln gibt. Die Messung von Unternehmenswechseln ist
in diesen Studien in der Regel dichotom, das heißt, entweder
man hat das Unternehmen gewechselt (kodiert mit 1) oder
eben nicht (kodiert mit 0). Deshalb sind die berichteten Kor-
relationskoeffizienten sog. punktbiseriale Korrelationen, die
etwas anders berechnet werden als die häufiger verwendeten
Pearson-Korrelationen. In ihrer Aussage sind sie aber ganz ver-
gleichbar. Zu beachten ist weiterhin, dass sich für unsere Fra-
gestellung häufig negative Korrelationskoeffizienten ergeben,
da z. B. mehr Gehalt zu weniger Unternehmenswechseln führt.
Ein wichtiges Ergebnis ist das sehr breite Spektrum verschie-
dener Einflussfaktoren. Es gibt also nicht die zwei oder drei
Hauptfaktoren für Unternehmenswechsel, sondern ein Mosaik
verschiedenster Einflussfaktoren. Wir gehen im Folgenden auf
diese verschiedenen Bausteine ein. Dazu berichten wir eine
– selbst für unsere Verhältnisse – große Anzahl einzelner Zu-
sammenhänge. Die einfachen Antworten sind manchmal nicht
die richtigen, auch wenn sie leichter zu erzählen sind. Wir
gruppieren die einzelnen Faktoren ähnlich wie Rubenstein et
al. (2018) in ihrer Metaanalyse, ohne näher auf die verschie-
denen theoretischen Entwicklungen innerhalb der Forschung
zu Unternehmenswechseln einzugehen.
Charakteristika der Mitarbeiter
Als erste Gruppe von Einflussfaktoren betrachten Rubenstein
und Kollegen (2018) Charakteristika der Mitarbeiter. Hier zeigt
sich für Alter ein erwarteter negativer Effekt: Je höher also
das Alter der Mitarbeiter ist, desto geringer ist bei ihnen die
Wahrscheinlichkeit, aus eigenen Stücken das Unternehmen zu
verlassen. Insgesamt 121 Studien mit in der Summe 209.588
Teilnehmern wurden zur Berechnung dieses Effekts zusam-
mengefasst (vgl. Abb. 1). Die insgesamt sehr große Anzahl an
Studien spiegelt die zentrale Bedeutung von Unternehmens-
wechseln in der Personalforschung wider, wodurch die hier
berichteten Effekte als sehr belastbar einzuschätzen sind. Der
Effekt ist allerdings mit einer Korrelation von r = -0,21 eher
schwach bis mittelstark, kann also nur einen kleinen Teil der
Unternehmenswechsel vorhersagen. Weitere Studien zeigen,
Von
Prof. Dr. Torsten Biemann
(Universität Mannheim) und
Prof. Dr. Heiko Weckmüller
(Hochschule Koblenz)
Should I stay or should I go?
Mitarbeiterfluktuation lässt sich nur durch eine Vielzahl verschiedenster Faktoren
erklären.
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