PERSONALquarterly 4/2018 - page 44

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PERSONALquarterly 04/18
NEUE FORSCHUNG
_REKRUTIERUNG
aus. In einer Feldstudie wurde erstmals die kriterienbezogene
Validität von 26 primär formalen Kriterien der Gestaltung von
Bewerbungsunterlagen untersucht. Es zeigt sich, dass viele
der in der Ratgeberliteratur genannten Gestaltungsprinzipien
guter Bewerbungsunterlagen von einer breiten Mehrheit der
Bewerber/-innen umgesetzt wurden. Es ergaben sich jedoch
auch deutliche Abweichungen von einem regelkonformen
Vorgehen. So weisen bspw. mehr als 45% der Bewerbungen
Grammatikfehler im Anschreiben auf. Nur knapp 38% der
Bewerber/-innen verdeutlichen, warum gerade sie besonders
gut zur ausgeschriebenen Stelle passen und nur knapp 46% un­
terschreiben ihren Lebenslauf. Zwischen den beiden Gruppen
– Praktikumsplatz vs. Traineestelle – ergaben sich nur verein­
zelt Unterschiede, die mit zwei Ausnahmen darauf hindeuten,
dass Bewerber/-innen auf eine Traineestelle sich regelkonfor­
mer verhalten (weniger Tipp- und Grammatikfehler, häufiger
persönliche Anrede etc.). Dies erscheint plausibel, da das Aus­
wahlverfahren eine größere Bedeutung für das eigene Leben
haben dürfte und die Betroffenen sich daher ggf. gründlicher
vorbereiten. Dennoch nehmen auch die Praktikumsbewerber/-
innen die Ratgeberliteratur ernst und verweisen signifikant
häufiger auf ihre besondere Passung zur Stelle und heben
ihre Bewerbungsmotivation signifikant stärker hervor als
Traineebewerber/-innen.
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Das Ausmaß, in dem sich die Bewerber/-innen regelkon­
form verhalten, darf nach den vorliegenden Befunden jedoch
nicht als Ausdruck ihrer Persönlichkeit interpretiert werden.
Keins der 26 untersuchten Kriterien weist einen signifikanten
Zusammenhang zu Neurotizismus, Offenheit, Gewissenhaftig­
keit, Verträglichkeit oder Leistungsmotivation auf. Bei der Ex­
traversion sowie der Kontrollüberzeugung fanden sich nur eine
bzw. zwei signifikante Korrelationen. Demnach agieren Bewer­
ber umso offensiver in der Darstellung ihrer Bewerbungsmoti­
vation sowie der Lobpreisung des Arbeitgebers, je stärker sie
daran glauben, Ereignisse in ihrem Leben selbst kontrollieren
zu können. Je extrovertierter die Bewerber/-innen sind, desto
stärker stellen sie ihre eigene Eignung für die Stelle dar.
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Angesichts dieser Ergebnisse ist die weit verbreitete Pra­
xis, regelkonform gestaltete Bewerbungsunterlagen generell
positiver zu bewerten und entsprechende Kandidaten/-innen
eher zum Einstellungsinterview einzuladen, kritisch zu be­
werten. Wer systematisch Personen nach einem nichtvaliden
Kriterium aus dem Auswahlprozess ausscheiden lässt, er­
höht die Wahrscheinlichkeit für einen Fehler der zweiten Art.
Bewerber/-innen, die an sich geeignet sind, werden abgewie­
sen, ohne dass sie die Chance haben, in einem strukturierten
Einstellungsinterview ihre tatsächliche Eignung unter Beweis
stellen zu können. Diese Praxis ist aus Sicht des Arbeitgebers
umso bedenklicher, je weniger geeignete Personen auf dem
Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen bzw. im Bewerberpool an­
zutreffen sind. Die vereinzelten Hinweise auf eine kriterienbe­
zogene Validität könnten nur dann sinnvoll eingesetzt werden,
wenn die Extraversion bzw. die Kontrollüberzeugung für die
Leistung der ausgeschriebenen Stelle von Bedeutung sind und
die Verantwortlichen gezielt auf die drei validen Kriterien ei­
ner offensiven Selbstdarstellung – Hervorheben der eigenen
Passung zur Stelle, der eigenen Bewerbungsmotivation sowie
der Attraktivität des Arbeitgebers – achten.
Eine Generalisierung der vorliegenden Befunde ist aufgrund
der folgenden Limitationen unserer Studie nur eingeschränkt
möglich: Die Auswahl der untersuchten Merkmale der Be­
werbungsunterlagen ist nicht vollständig. Eine vollständige
Untersuchung aller primär formalen Kriterien, die denkbar
sind, steht noch aus. Die Stichprobe umfasst ausschließlich
Menschen mit höherem Bildungsgrad und ist somit nicht re­
präsentativ für die Population der Bewerber/-innen in Deutsch­
land. Gleiches gilt für den Fokus der ausgeschriebenen Stellen.
Unsere Studie bezieht sich zudem ausschließlich auf die krite­
rienbezogene Validität im Hinblick auf grundlegende Persön­
lichkeitsmerkmale. Der korrelative Ansatz der vorliegenden
Studie erlaubt keine kausalen Schlüsse. Es ist denkbar, dass
Drittvariablen (z. B. die Lektüre von Ratgeberliteratur) den
Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und
der Gestaltung von Bewerbungsunterlagen beeinflussen. Eine
Überprüfung der prognostischen Validität bleibt der zukünf­
tigen Forschung vorbehalten.
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