PERSONALquarterly 4/2018 - page 30

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PERSONALquarterly 04/18
SCHWERPUNKT
_DIVERSITÄT & INKLUSION
zur Führungskraft darüber mitentscheiden können, ob Mitar-
beitende eine hohe oder niedrige Beziehungsqualität mit der
Führungskraft erreichen. Hierfür verantwortlich sind Prozesse
der ähnlichkeitsbasierten Anziehung und der sozialen Iden-
tität, die jeweils mehr Verständnis, Sympathie und Kontakt
zwischen sich ähnlichen Individuen voraussagen.
Aufbauend auf diesen Erkenntnissen gingen wir der Frage
nach, ob sich solche Effekte auch für Unterschiede im Behin-
derungsstatus finden lassen und ob auch hier Homogenität zu
einer höheren LMX-Qualität führt als Heterogenität. Hierbei
sind vier unterschiedliche Konstellationen möglich: Nur die
Führungskraft hat eine Behinderung bzw. nur der Mitarbeiten-
de hat eine Behinderung (= Heterogenität), beide haben eine
Behinderung oder niemand hat eine Behinderung (= Homo-
genität). Zur empirischen Überprüfung unserer Hypothesen
nutzten wir Daten von 1.253 Mitarbeitenden aus 54 Einheiten
einer deutschen Behörde. Mittels Mehr-Ebenen-Analysen,
welche die Organisationsstruktur (geografische und organi-
satorische Einheiten) in den Daten und bei der Schätzung der
Effekte berücksichtigen, konnten wir zeigen, dass homogene
Konstellationen tatsächlich zu einer höheren LMX-Qualität füh-
ren als heterogene. Interessanterweise zeigte sich die geringste
LMX-Qualität in Fällen, in denen die Führungskraft, nicht aber
die Mitarbeitenden eine Behinderung haben.
Dieses Ergebnis unterstreicht erneut die wichtige Rolle von
Stigma. So kann man die Befunde dahingehend interpretieren,
dass für Führungskräfte ein behinderungsbedingtes Stigma
besonders nachteilig ist. In ihrem Fall konfligieren die Ste-
reotype in Bezug auf ihre Führungsrolle (z. B. Macht, Durch-
setzungskraft, Kompetenz) und ihren Behinderungsstatus
(z. B. reduzierte Leistungsfähigkeit und Kompetenz), was Mit-
arbeitende bewusst oder unbewusst dazu bringen könnte, sich
von der Führungskraft zu distanzieren, um ein Stigma durch
Assoziierung zu vermeiden.
Inklusionsklima als Lösungsansatz
In der gleichen Studie untersuchten wir, ob es Ansätze gibt,
diese negativen Implikationen von Behinderung und Stigma
zu vermeiden. Ein vielversprechender Faktor hierzu kann ein
ausgeprägtes Inklusionsklima sein, welches den Organisati-
onsmitgliedern ein starkes Gefühl von Zugehörigkeit vermit-
telt, ihnen aber gleichzeitig erlaubt, ihre spezifischen Stärken
und individuellen Besonderheiten authentisch einzubringen.
In einem solchen Klima, das alle Individuen gleichermaßen in
Entscheidungen einbindet und sozial integriert (Nishii, 2013)
sollten behinderungsbasierte Unterschiede eine geringere Rol-
le spielen.
Tatsächlich konnten wir diese Hypothese zum Teil bestäti-
gen. So zeigte sich, dass die zuvor beschriebenen negativen
Effekte von Behinderungsdiversität deutlich stärker zutage
treten, wenn das Inklusionsklima nur schwach ausgeprägt ist.
Wird es hingegen als stark wahrgenommenen, so entwickelt
sich in Konstellationen, in welchen die Führungskraft eine
Behinderung aufweist, eine ebenso gute Beziehungsqualität
wie in homogenen Dyaden (vgl. Abb. 3). Der potenziell negative
Effekt eines Stigmas durch Assoziierung kommt also deutlich
weniger zum Tragen, Mitarbeitende werden weniger beein-
flusst. Für Führungskräfte ist dies eine wichtige Erkenntnis,
da sie selbst erheblich zur Ausprägung eines Inklusionsklimas
beitragen können (z. B. durch Vorbildverhalten und inklusive
Führung; Boehm/Dwertmann, 2015). In den anderen Konstel-
lationen zeigte sich hingegen keine signifikante Verbesserung
der Beziehungsqualität durch ein hohes Inklusionsklima.
Dies kann u. a. daran liegen, dass die LMX-Qualität auch bei
niedrigem Inklusionsklima schon höher lag, eine signifikante
Verbesserung also schwieriger ist.
Zusammenfassung und praktische Handlungsempfehlungen
Eine Behinderung zu haben ist nichts Außergewöhnliches,
vielmehr sind ca. 15% der Weltbevölkerung davon betroffen.
Zudem ist der Erwerb einer Behinderung jederzeit und für
jeden möglich, was so auf praktisch keine andere Diversitäts-
kategorie zutrifft. Dennoch scheint das Vorliegen einer Behin-
derung nach wie vor mit einem Stigma verbunden zu sein,
was je nach Behinderungsart unterschiedlich stark ausfallen
kann. Allen Betroffenen gemein ist aber, dass sie neben den
medizinischen Herausforderungen der Behinderung vor allem
auch die oft mangelnde soziale Inklusion bewältigen müssen.
Im Rahmen zweier empirischer Feldstudien konnten wir zei-
gen, dass ein behinderungsbedingtes Stigma sowohl die all-
gemeine Sozialisierung am Arbeitsplatz erschwert als auch
die Beziehung zwischen Mitarbeitendem und Führungskraft
negativ beeinflussen kann. Weiter wurde deutlich, dass auch
die Bezeichnung von Menschen mit Behinderung Effekte auf
die Selbst- und Fremdwahrnehmung haben kann. Auf Basis
dieser Erkenntnisse lassen sich mögliche Praxisinterventionen
ableiten.
Eine erste mögliche Strategie kann darin bestehen, negative
Bezeichnungen zu vermeiden, die intuitiv Vorurteile verstär-
ken und die Inklusion erschweren. Hannahs „Schwerinord-
nungausweis“ ist hierfür ein lebhaftes Beispiel, was auch zu
einer Reflexion aufseiten des Gesetzgebers führen sollte, ob
es tatsächlich sinnvoll ist, 10% der Bevölkerung als „schwerbe-
hindert“ zu bezeichnen. In Unternehmen werden hier schon
in vielen Fällen deutlich bessere Wege beschritten und Mitar-
beitende mit Behinderung zum Beispiel als „Mitarbeitende mit
Leistungswandlung“ oder „employees with different abilities“
bezeichnet.
Ein zweiter Ansatz auf der organisationalen und Gruppen-
Ebene besteht in der Vermeidung von Vorurteilen/Stigma und
der gleichzeitigen Förderung eines inklusiven Klimas. Hier-
zu können u. a. Diversity-Trainings (Kalinosky et al., 2013)
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