PERSONALquarterly 4/2018 - page 28

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PERSONALquarterly 04/18
SCHWERPUNKT
_DIVERSITÄT & INKLUSION
Labelling als Transportvehikel und Verstärker von Stigma
Relevant ist ferner zu verstehen, wie aus solchen Stereotypen
Diskriminierung werden kann. Antworten hierauf liefert die
sog. „Labelling Theory“ (Link et al., 1989), die davon ausgeht,
dass bestimmte Bezeichnungen wie „psychisch krank“ oder
„schwerbehindert“ vorhandene Stereotype aktivieren und die
Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie das Verhalten negativ
beeinflussen. Kommt ein solches Label von offizieller Stelle
(bspw. im Rahmen einer Diagnose durch den Arzt), steigt des-
sen Bedeutung für den Betroffenen und sein Umfeld nochmehr.
Für den deutschsprachigen Kontext ist dies sehr relevant, da
Deutschland und Österreich die Beschäftigung von Menschen
mit Behinderung u. a. durch Quotensysteme fördern wollen.
Hierfür ist es notwendig, Behinderung zu definieren, Menschen
auf das Vorliegen einer Behinderung hin zu untersuchen und
sie im Anschluss offiziell als Menschen mit Behinderung (bzw.
als „Schwerbehinderten“) zu bezeichnen. Auch in der Schweiz
wird über den Status als Bezieher der Invalidenversicherung
in einem offiziellen Verfahren entschieden und Menschen in
der Folge als „invalid“ (lateinisch „schwach“, „kraftlos“, „nicht
gesund“) gekennzeichnet.
Auf Basis der Forschung zur Stigma-, Labelling- und sozia-
len Identitätstheorie ist davon auszugehen, dass sich solche
Bezeichnungen sowie das generelle, durch die Behinderung
verursachte Stigma negativ für die Betroffenen im Arbeitskon-
text auswirken. Interessanterweise existiert hierzu aber nur
wenig Forschung und weder die Effekte noch potenzielle Inter-
ventionsmöglichkeiten wurden bisher ausreichend analysiert.
Deshalb haben wir das Thema im Rahmen zweier empirischer
Studien aufgegriffen. Im Folgenden sollen die Kernergebnisse
dieser Studien kurz vorgestellt werden.
Rolle von Stigma für die soziale Inklusion am Arbeitsplatz
Studie 1 (Brzykcy/Boehm, 2018) ist stark vom Fallbeispiel
der 14-jährigen Hannah inspiriert. Sie gelangte intuitiv und
auf Basis ihrer täglichen persönlichen Erfahrungen zu der Er-
kenntnis, dass die Bezeichnung als „Schwerbehinderte“ ihr
die gesellschaftliche Inklusion erschwert. Dies ist sehr bedau-
erlich, da der Staat mit dem Schwerbehindertenausweis ja das
genaue Gegenteil bezwecken will, nämlich eine verbesserte
soziale Inklusion und Teilhabe. Da entsprechende Studien feh-
len, wollten wir mittels eines großzahligen Datensatzes sowie
fortgeschrittener statistischer Verfahren untersuchen, ob es
sich im Fall von Hannah nur um eine individuelle Wahrneh-
mung handelt oder ob ein solcher negativer Labelling-Effekt
von Behinderung auch allgemein auftritt.
3,2
3
2,8
20
30
40
50
60
70
80
90
100
3,4
3,6
3,8
4
Abb. 2:
Unterschiede in Sozialisierungsmöglichkeiten zwischen den quasiexperimentellen Gruppen
Sozialisierungsmöglichkeiten
Schweregrad der Behinderung (in %)
95 % Konfidenzintervall
Nichtbesitzer eines Schwerbehindertenausweises
Besitzer eines Schwerbehindertenausweises
Quelle: Eigene Darstellung
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