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aber alles, was wir können für unsere Mitarbeiter. Das ist ein
anderer Ansatz als in anderen Unternehmen: Du musst als Füh-
rungskraft viel mehr Kraft und Energie in die Leute investieren.
Zum idealisierten Einfluss gehört auch, dass Führungs-
kräfte ethische Standards in ihrer Arbeit verankern und da-
nach handeln. Auch dies war im Callcenter zu beobachten,
in dem die Gleichbehandlung aller Personen und das Verbot
der Diskriminierung immer wieder betont wurden. In diesem
Zusammenhang beschrieben Führungskräfte sich selbst als
Rollenvorbilder, die diese ethischen Werte aktiv vorleben. Da-
rüber hinaus agieren die Führungskräfte auch als Vorbilder in
Sachen Arbeitseinsatz und Commitment bei der täglichen Ar-
beit. Außerhalb ihrer Führungsaufgaben arbeiten sie auch re-
gelmäßig im Tagesgeschäft mit, übernehmen selbst Anrufe und
leben den Angestellten so vor, wie sie erfolgreich als Callcen-
ter-Agenten arbeiten können. Die Beraterin fasst zusammen:
Jeder ist gleich. Wir verhalten uns als Vorbilder, das zeigen wir
unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ohne das geht es
nicht, das ist Teil unserer Kultur.
3. Intellektuelle Stimulierung
Transformationale Führungskräfte stellen etablierte Denk- und
Vorgehensweisen im Unternehmen immer wieder infrage, um
neue Lösungsansätze für arbeitsbezogene Probleme zu finden.
Intellektuelle Stimulierung bedeutet auch, die Mitarbeitenden
zu befähigen, selbst mehr Verantwortung zu übernehmen und
sich so letztlich selbst zu Führungspersonen zu entwickeln.
In den Interviews berichteten die Führungskräfte, dass sie
großen Wert darauf legen, ihre Angestellten zu ermutigen, sich
kontinuierlich weiterzuentwickeln. Gleichzeitig sei jedoch das
Problem, dass viele sich wegen geringen Selbstbewusstseins
zu wenig zutrauen. Aufgabe für Führungskräfte wie Esther sei
es daher auch, diese Selbstwahrnehmungen kritisch zu hin-
terfragen und die Mitarbeitenden zu befähigen, neu über sich
selbst und die eigenen Fähigkeiten nachzudenken:
Wir haben eine Mitarbeiterin um die 50 mit einem psychi-
schen Problem. Man könnte meinen, es sei das Beste für sie,
wenn wir sie einfach tun lassen, woran sie gewöhnt ist. Ich habe
aber zu ihrer Teamleiterin gesagt: „Ich glaube, sie kann viel
mehr, wenn wir ihr eine Weiterentwicklung ermöglichen – sie
wird dann merken, dass sie sich weiterentwickelt und das wird
sie zu einer glücklicheren Mitarbeiterin machen.“ Die Teamleite-
rin hat dann zusammen mit der Mitarbeiterin verschiedene Ent-
wicklungsstufen gestaltet. Es war faszinierend zu sehen, welche
Arbeitsergebnisse wir von ihr beobachten konnten, nachdem sie
die Verantwortung für ihren eigenen Erfolg übernommen hat.
Darüber hinaus bietet das Callcenter einzelnen Agenten re-
gelmäßig die Möglichkeit, an einem Führungsentwicklungs-
programm teilzunehmen. Durch das Training erhalten sie die
Chance, Managementfähigkeiten zu entwickeln und sich für
eine Führungsposition zu qualifizieren. Esther berichtete:
Das Programm war eine große Herausforderung für die Ange-
stellten, aber es hat sie wirklich dazu befähigt, mit schwierigen
Situationen umzugehen. Sie haben grundlegende Management-
Werkzeuge mitgenommen, aber auch spezifische Werkzeuge für
die Arbeit hier. Die Idee ist, dass wir sie als zukünftige Manager
sehen. Es war berührend für mich zu sehen, wie die Teilnehmer
wachsen. Von Termin zu Termin haben sie sich weiterentwickelt.
4. Individuelle Berücksichtigung
Die vierte Dimension der transformationalen Führung be­
inhaltet, dass Führungskräfte auf jede einzelne Person mit
ihren individuellen Bedürfnissen eingehen – dazu gehört indi-
viduelles Coaching, Lehren und Beraten. Die Führungskräfte
des Callcenters haben in ihrer täglichen Arbeit mit Angestell-
ten zu tun, die viele unterschiedliche Behinderungen haben.
Laut Chaya, einer Führungskraft, wird jede Person als Ein-
zelfall mit einer eigenen individuellen Hintergrundgeschichte
und Persönlichkeit behandelt:
Alle menschlichen Probleme wirken sich auch auf das Call-
center aus. Auf der einen Seite könnte man sagen: „Die Mitar-
beiter sind hier in der Arbeit und sollten ihre Probleme zu Hause
lassen.“ Das Entscheidende ist aber, dass die Angestellten auch
bei der Arbeit nicht richtig „funktionieren“, wenn sie zu Hause
Probleme haben – das beeinflusst unmittelbar die Arbeit hier.
Deshalb kann man das nicht trennen.
Ein Schlagwort, das im Zusammenhang mit dem Führungs-
ansatz immer wieder genannt wurde, war „Sensibilität“. In der
Theorie der transformationalen Führung entspricht dies dem
Grundsatz, sehr auf die spezifischen Bedürfnisse jeder einzel-
nen Person zu achten, um mögliche Schwierigkeiten oder auf-
tretende Krisen unmittelbar aufzuspüren und zu verhindern.
Rivka, eine Führungskraft, berichtete:
Als Führungskraft ist es wichtig, auf die Kommentare der Men-
schen zu hören, in ihre Gesichter zu sehen. Ich habe einen Mitar-
beiter, bei dem ich jetzt – nach vielen Wochen – sagen kann, ob er
in schlechter Stimmung ist, um dann einer möglichen „Explosion“
vorzubeugen. Man muss aber sehr sensibel sein, um solche Prob­
leme wahrzunehmen.
Zu der täglichen Arbeit der Führungskräfte gehören laut
Amit (Führungskraft) auch Coaching, Mentoring und konkrete
Hilfestellungen bei der täglichen Arbeit:
Manchmal sitze ich während der Schicht mit Angestellten zu-
sammen und höre mit einem zweiten Kopfhörer die Gespräche
mit, notiere mir alles, was mir auffällt und gebe dann Tipps
für den nächsten Anruf. Manchmal sitzen wir in meinem Büro
zusammen und machen eine Nachbesprechung über Anrufe, die
die Mitarbeiter hatten.
Positive Auswirkungen transformationaler Führung
Im zweiten Teil der Studie – der Fragebogenerhebung – erwei-
terten wir unser Untersuchungsmodell und untersuchten, ob
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