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04/18 PERSONALquarterly
Um dieser Frage nachzugehen, konnten wir auf einen für
die deutsche Erwerbsbevölkerung repräsentativen Daten-
satz zurückgreifen, welcher Antworten von 8.019 Individuen
enthält. Diese sind in Hinblick auf zahlreiche Attribute (z. B.
Alter, Geschlecht, Beruf, Einkommen, Wohnort etc.) für die
Bundesrepublik repräsentativ und damit sehr aussagekräftig.
845 der Befragten gaben an, dass bei ihnen eine Behinderung
vorliegt und ein Behinderungsgrad (von 20 bis 100%, attestiert
in 10%-Schritten) festgestellt wurde. So kann in Deutschland
beim Vorliegen einer Behinderung ein Behinderungsausweis
beantragt werden, indem zunächst ein Antrag auf Feststellung
des Grades der Behinderung beim zuständigen Versorgungs-
amt gestellt wird. Wird im Rahmen des offiziellen Verfahrens
und auf Basis der medizinischen Gutachten ein Grad der Behin-
derung von 50% oder mehr festgestellt, erhält der Antragsteller
einen Schwerbehindertenausweis, andernfalls nur einen Fest-
stellungsbescheid (ab 20% und bis 40%).
Diese extern vorgegebene Schwelle (vgl. Abb. 1) nutzten
wir für eine quasiexperimentelle Analysemethode, mit deren
Hilfe der kausale Effekt des Behinderungs-Labels identifiziert
werden soll. Wir wählten ein sog. „Regressions-Diskontinui-
täts-Design“, welches oftmals in der ökonomischen Forschung
zum Einsatz kommt. Die Grundidee besteht darin, dass nur
Personen miteinander verglichen werden, die nahe an der
Schwelle liegen (Behinderungsgrad von 30 oder 40% versus
solche mit 50 oder 60%) und in sehr vielen Aspekten ähnlich
sind, sich jedoch im Vorliegen des Schwerbehinderten-Labels
unterscheiden. Ferner wird davon ausgegangen, dass die Men-
schen nicht selbst über ihren Behinderungsgrad entscheiden
können, es also letztlich zufällig ist, ob sie knapp unter oder
über dem Schwellenwert landen. Um die Vergleichbarkeit wei-
ter zu überprüfen, kontrollierten wir für zahlreiche Variablen
wie Geschlecht, Alter, Beschäftigungsdauer, Beruf, Telear-
beit, Arbeitsfähigkeit und Resilienz. Während sich in allen
diesen Aspekten keine signifikanten Unterschiede zwischen
den Befragten zeigten, konnten wir an der externen Schwel-
le (Behinderungsgrad von 50% und damit Vorliegen eines
Schwerbehindertenausweises) tatsächlich einen signifikanten
Rückgang in den wahrgenommenen Sozialisierungsmöglich-
keiten feststellen (vgl. Abb. 2). Menschen mit Schwerbehin-
dertenausweis berichteten über eine deutlich geringere soziale
Inklusion am Arbeitsplatz als vergleichbare Menschen mit Be-
hinderung, jedoch ohne Schwerbehindertenausweis und dies
über alle Berufe hinweg. Dies unterstützt unsere Forschungs-
these, dass unabhängig von der eigentlichen Behinderung die
Bezeichnung als „Schwerbehinderter“ einen negativen Effekt
auf die Selbst- und Fremdwahrnehmung Betroffener hat. Bei
höheren Behinderungsgraden kann wieder ein Anstieg der
Sozialisierungsmöglichkeiten festgestellt werden. Dies sollte
im Rahmen dieses Designs generell nicht interpretiert werden,
da sich die Betroffenen deutlich von den Menschen nahe am
Schwellenwert unterscheiden und eine direkte Vergleichbar-
keit nicht mehr gegeben ist. Dennoch scheint der Anstieg na-
hezulegen, dass nicht die Schwere der Behinderung als solche,
sondern eher das Label an der 50%-Schwelle für den Einbruch
in den Sozialisierungswahrnehmungen verantwortlich ist.
Der Einfluss von Stigma auf die Beziehung zwischen Füh-
rungskraft und Mitarbeitenden
In Studie 2 (Dwertmann/Boehm, 2016) widmeten wir uns der
Rolle von Behinderung und Stigma für die Beziehungsqua-
lität zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden (sog. Lea-
der-Member-Exchange- bzw. LMX-Qualität). Das LMX-Modell
der Führung geht davon aus, dass Führungskräfte mit jedem
ihrer Mitarbeitenden eine unterschiedliche Beziehungsquali-
tät entwickeln, welche im einen Fall eng, vertrauensvoll und
wertschätzend sein kann, im anderen Fall hingegen eher dis-
tanziert, formalisiert und rein austauschbasiert. Mitarbeitende,
welche eine hohe Beziehungsqualität mit ihrer Führungskraft
verbindet, profitieren von mehr Informationen, Feedback, Ent-
wicklungsmöglichkeiten und letztlich einer höheren Leistung
(Dulebohn et al., 2012).
Die LMX-Forschung hat hierbei zeigen können, dass demo-
grafische Charakteristika und insbesondere eine Ähnlichkeit
3,1
niedrig
hoch
3,6
4,1
4,6
5,1
Abb. 3:
Unterschiede in der LMX-Qualität moderiert
durch das Inklusionsklima
LMX
Inklusionsklima
Keiner hat eine Behinderung
Beide haben eine Behinderung
Mitarbeiter hat eine Behinderung
Führungskraft hat eine Behinderung
Quelle: Eigene Darstellung
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