PERSONALquarterly 4/2018 - page 21

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04/18 PERSONALquarterly
ABSTRACT
Forschungsfrage:
Wie sieht transformationale Führung in einem inklusiven Unternehmen
aus? Wie wirkt sich transformationale Führung auf die psychische Gesundheit und die Arbeits-
leistung von Angestellten mit Behinderung aus?
Methodik:
Mixed-Methods-Design in einem israelischen Callcenter: Interviews mit Mitarbei-
terInnen mit Behinderung, Führungskräften und Verantwortlichen & Fragebogenerhebung.
Praktische Implikationen:
Training der Führungskräfte in transformationaler Führung,
Implementierung eines holistischen Inklusionsmanagements mit Anpassung der HR-Prak-
tiken und der Unternehmenskultur.
Unsere zwei zentralen Forschungsfragen waren daher:
(1) Kann transformationale Führung in diesem Callcen-
ter beobachtet werden und wie sieht diese Form von Füh-
rung in einem inklusiven Unternehmen konkret aus?
(2) Wie wirkt sich die transformationale Führung auf die psy-
chische Gesundheit und die Arbeitsleistung von Angestellten
mit Behinderung aus?
Die Studie besteht aus zwei Teilen und kombiniert quali-
tative und quantitative Methoden. Im ersten Teil wurden
zunächst Interviews durchgeführt, um mehr über den Füh-
rungsansatz zu erfahren, der in diesem Callcenter gelebt wird.
Um ein möglichst umfassendes Bild zu bekommen, wurden
nicht nur Menschen mit Behinderung interviewt, sondern auch
Führungskräfte, der Gründer des Callcenters sowie eine Bera-
terin, die vor allem für die Neueinstellung von Personal und
Mitarbeitertrainings verantwortlich ist. Im zweiten Teil wurde
zusätzlich eine Fragebogenerhebung mit 55 Mitarbeitenden
des Callcenters durchgeführt.
Inklusion – Ist das Selbstbewusstsein der Schlüssel?
Bei der Durchführung der Studie interessierte uns nicht nur,
wie „optimales“ Führungsverhalten aussieht, sondern auch,
wie sich transformationale Führung auf einer psychologischen
Ebene auf Menschen mit Behinderung auswirkt. Unsere Hypo-
these war, dass transformationale Führung zu einer Erhöhung
des Selbstbewusstseins führt.
Frühere Studien haben gezeigt, dass Menschen mit Behin-
derung oftmals ein vergleichsweise geringes Selbstbewusst-
sein entwickeln – in vielen Fällen seit früher Kindheit. Erklärt
wird dieser Mangel an Selbstbewusstsein meist dadurch, dass
Menschen mit Behinderung besonders häufig mit einem ge-
sellschaftlichen Stigma konfrontiert sind, sich dadurch „un-
normal“, eingeschränkt oder allgemein unerwünscht fühlen
(vgl. Jones et al., 1984). Auch in der Arbeitswelt gehören
Menschen mit Behinderung zu einer Minderheit, werden häu-
fig mit Stereotypen und Vorurteilen aufseiten von Kollegen
oder Vorgesetzten konfrontiert und erleben schlimmstenfalls
Diskriminierung und Mobbing (Kensbock/Boehm/Bourovoi,
Die Inklusion von Menschen mit Behinderung ist tief ver-
ankert in der Unternehmensphilosophie des Callcenters. In-
klusion dient hier nicht nur einem Selbstzweck, sondern ist
Teil des Geschäftsmodells. Auch in Israel kämpft die Callcen-
ter-Branche mit einem traditionell negativen Image und wird
assoziiert mit unterdurchschnittlicher Bezahlung, schlechten
Arbeitsbedingungen und einem hohen Stresslevel. Die Folge
davon ist eine hohe Personalfluktuation in der Branche – ein
enormer Kostenfaktor aufgrund der ständig wiederkehrenden
Einarbeitung neuen Personals. Das ist in diesem Callcenter
anders. Hier werden die besonderen Eigenschaften der Ange-
stellten auch als ein Wettbewerbsvorteil gesehen. Im Gegen-
satz zu den „typischen“ Callcenter-Agenten in der Branche
wünschten sich diese Angestellten eine langfristige Beschäf-
tigung und seien hoch motiviert, sich auf den Kundenservice
am Telefon zu spezialisieren. Langfristig profitiere die Firma
daher davon, dass die Mitarbeitenden eine weitaus größere
Arbeitserfahrung, Professionalität und spezifischeres Fachwis-
sen entwickelten als in der Branche üblich. Doch nicht nur in
Sachen Beschäftigungsdauer ist das Callcenter ein Vorreiter.
Es ist gewinnorientiert und operiert erfolgreich in einem wett-
bewerbsintensiven Marktumfeld, in dem es sich gegen nicht-
inklusive Unternehmen behaupten muss. Die Firma arbeitet
für eine Vielzahl verschiedener Auftraggeber, darunter vor
allem Telekommunikations- und Versicherungsunternehmen.
Der Vergleich mit der Konkurrenz zeigt, dass die Strategie auf-
geht – Kundenzufriedenheit und Verkaufszahlen liegen über
dem Branchenschnitt.
Aktuelle Studie: Hintergrund und Ziele
Ein Callcenter, in dem beinahe ausschließlich Menschen mit
Behinderung arbeiten, war der ideale Ort, um eine Studie zum
Thema Mitarbeiterführung durchzuführen (Kensbock/Boehm,
2015). Die Studie untersucht Führung im Sinne des derzeit
in der Literatur am weitesten verbreiteten theoretischen Füh-
rungsansatzes – der transformationalen Führung (vgl. Bass,
1985). Transformationale Führung ist ein umfassendes Füh-
rungskonzept, nach dem Führungskräfte durch Visionen,
geistige Anregung und vorbildhaftes Verhalten motivieren so-
wie ihre Mitarbeitenden individuell fördern sollen.
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Alle Namen wurden geändert.
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