PERSONALquarterly 4/2018 - page 16

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PERSONALquarterly 04/18
SCHWERPUNKT
_DIVERSITÄT & INKLUSION
Doch wie sieht es in der Praxis aus? Kann der Zusammen-
hang von Personalmanagement, Diversitätsklima und Leistung
auch in Unternehmen gezeigt werden und welche Rahmenbe-
dingungen gilt es hierbei zu beachten?
Schaffung und Wirkung eines positiven Diversitätsklimas in
der Praxis
Im folgenden Abschnitt zeigen wir anhand des Fallbeispiels der
Audi AG, wie das Modell von Kopelman und Kollegen genutzt
werden kann, Abläufe in der Praxis besser zu verstehen und
aktiv zu gestalten (vgl. Abbildung 1).
Wie viele andere produktionsorientierte Unternehmen
ist auch die Audi AG mit den Folgen des demografischen
Wandels konfrontiert. So steigt das Durchschnittsalter der
Belegschaft an und ältere Mitarbeitende sind häufiger von
gesundheitlichen Einschränkungen betroffen. Dies stellt Au-
di vor die Herausforderung, dass eine wachsende Zahl von
Beschäftigten in der taktgebundenen Fertigung nicht mehr
die notwendige Standardleistung erbringen kann, welche zur
Aufrechterhaltung des Produktionsflusses notwendig ist. Da
sich Audi seiner Verantwortung als Arbeitgeber bewusst ist
und viele der Betroffenen wichtige Wissensträger sind, galt
es, eine Lösung zur Sicherung deren Beschäftigungsfähigkeit
zu finden.
Gestaltung inklusiver HR-Praktiken als Gemeinschaftsprojekt
von HRM und Produktion
Mit dem übergeordneten Ziel, sog. „leistungsgewandelte“
Mitarbeitende wieder in die Lage zu versetzen, ihre volle
Leistungsfähigkeit zu erreichen, initiierte Audi einen syste-
matischen und transparenten Ansatz der (Re-)Integration. Im
Jahr 2009 taten sich Personalmanagement und Produktion
zusammen und gründeten eine interdisziplinäre Arbeits-
gruppe, das sog. Koordinationsteam. Es wurde ein Prozess ins
Leben gerufen, um passgenaue, individuelle Lösungen zum
optimalen Einsatz von Mitarbeitenden mit gesundheitlichen
Einschränkungen zu erarbeiten und in der Linie umzusetzen.
Hierfür arbeiten Vertreter des Gesundheits- und Personal-
wesens, die jeweilige Führungskraft aus der Produktion, der
Betriebsrat sowie die Schwerbehindertenvertretung in einem
Expertengremium zusammen. Die Lösungen und Maßnah-
men werden in einem SAP-basierten EDV-Tool dokumentiert,
nachverfolgt und jährlich überprüft. Diese umfassen bspw.
ergonomische Anpassungen, Qualifikationsmaßnahmen so-
wie die Zuweisung alternativer Arbeitsplätze und Tätigkeits-
felder. Hierbei folgt die Integration einem Kaskadenprinzip.
Grundsätzlich wird zunächst versucht, den Mitarbeitenden
– insb. durch Anpassungen des Arbeitsplatzes – in seinem
angestammten Team zu belassen, bevor als letzte Option Ein-
satzmöglichkeiten in anderen Organisationseinheiten in Be-
tracht gezogen werden.
Verbindung von Wertschätzung und Wertschöpfung
Eine Besonderheit des Integrationsprozesses bei Audi ist die
dezidierte Verbindung von Wertschätzung und Wertschöpfung.
Während es klar ist, dass Audi seinen Mitarbeitenden verbun-
den ist und deren Weiterbeschäftigung sichern will, muss im
Rahmen der Integration auch die Wertschöpfung berücksichtigt
werden. Die einzelne Arbeitsplatzanpassung muss also wirt-
schaftlich sinnvoll sein, Kosten und Nutzen in guter Relation
stehen. Integration wird somit nicht zu einem rein humanitären
Akt, sondern auch zu einer wirtschaftlichen Entscheidung.
Schließlich stehen in modernen Produktionsbetrieben auch die
Werke untereinander in einem wirtschaftlichen Wettbewerb.
Durch die Erfassung der individuellen, arbeitsplatzbezo-
genen Leistungsfähigkeit jedes Mitarbeitenden wird die Wirt-
schaftlichkeit als Zielgröße transparent gemacht. Audi hat mit
diesem Vorgehen positive Erfahrungen im Hinblick auf die
Akzeptanz des Prozesses gemacht, da die Erfolge der Integra-
tion messbar sind. Da der Erfolg einer Führungskraft vom Ge-
samterfolg des Teams und damit von der Person-Job-Passung
jedes einzelnen Mitarbeitenden abhängt, werden auch Füh-
rungskräfte stark in die Verantwortung genommen. Damit hat
die Führungskraft den Anspruch, eine Lösung für ihren Mitar-
beitenden zu finden, welche die Leistung optimiert.
Neben der Anpassung bestehender Arbeitsplätze schafft
Audi im Rahmen eines Targetierungs-Prozesses auch gezielt
neue Arbeitsplätze, die bei Produktionsneuanläufen durch die
Produktionsplanung umgesetzt werden. Ferner entstehen kon-
tinuierlich zusätzliche Arbeitsplätze in Bereichen außerhalb
der Fertigung, die unter Betrachtung eines Remanenzkosten-
ansatzes wirtschaftlich sind. Beispiele hierfür sind Shuttle-
Busfahrer für den internen Werksverkehr, das Betreiben von
Prüfständen oder Hol- und Bringdienste.
Auswirkungen auf das Diversitätsklima
Im Rahmen der Forschungskooperation mit dem Center for
Disability and Integration der Universität St. Gallen wurdenmit
mehr als 100 Prozessbeteiligten Fokusgruppeninterviews zu
Stärken und Verbesserungspotenzialen des Prozesses durch-
geführt. Eine zentrale Erkenntnis war, dass insbesondere die
Kommunikation, Wertschätzung und unterstützende Führung
wichtige Erfolgsfaktoren der Integration sind und diese „wei-
chen“ Faktoren als bedeutender wahrgenommen werden als
„harte“ Faktoren (z. B. genügend ergonomische Arbeitsplätze).
Aufbauend auf diesen Ergebnissen wurden zwei quantitative
Befragungen konzipiert, imRahmen derer jeweils 15.000 sowie
17.000 Mitarbeitende in der Produktion und angrenzenden
Bereichen befragt wurden.
Die Ergebnisse der Befragungen zeigen, dass der Integrati-
onsprozess sowohl bei Führungskräften als auch bei gesun-
den sowie gesundheitlich eingeschränkten Mitarbeitenden gut
akzeptiert ist. Hierbei spielen einerseits die Führungskraft,
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