PERSONALquarterly 1/2017 - page 56

PERSONALquarterly 01/17
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STATE OF THE ART
_RECRUITING
der Recruitereigenschaften und -verhaltensweisen nimmt
hingegen tendenziell ab, wobei die letzte Aussage aufgrund
geringer Fallzahlen nicht abschließend validiert werden kann
(Uggerslev et al., 2012, S. 616 und 624-625).
Sollte man über Auswahlergebnisse Feedback geben?
Arbeitsrechtliche Überlegungen beeinflussen die Durchfüh-
rung von Personalauswahlverfahren substanziell. Gerade im
Zuge der Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsge-
setzes (AGG) wurden das Personalmarketing und die Perso-
nalauswahlprozesse angepasst. Hintergrund ist die vermutete
größere Gefahr arbeitsrechtlicher Prozesse durch abgelehnte
Bewerber. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob
und in welcher Form abgelehnten Bewerbern Feedback über
die Gründe der Ablehnung und das beobachtete Verhalten im
Bewerbungsprozess gegeben werden sollte. Arbeitsrechtlich
lässt sich zugunsten eines Verzichts oder eines nur rudimen-
tären Feedbacks argumentieren. Wie aber wirkt Feedback auf
die Arbeitgeberattraktivität? Diese Frage untersuchten Donald
M. Truxillo et al. (2009). Im Ergebnis zeigte sich ein kleiner,
aber statistisch signifikanter positiver Zusammenhang zwi-
schen Feedback und Arbeitgeberattraktivität (r=0,06; n=1.540)
sowie zwischen Feedback und der wahrgenommenen Gerech-
tigkeit (r=0,12; n=3.049). Diese durchschnittlichen Effekte
untersuchen die Autoren weitergehend bezüglich der Rahmen-
bedingungen und Einflussgrößen (Moderatoren). Dabei zeigt
sich ein überdurchschnittlich hoher Einfluss auf die Gerech-
tigkeitswahrnehmung, wenn die Rückmeldung in Form einer
inhaltlichen Erklärung (r=0,20) erfolgt und nicht nur in Form
einer Entschuldigung (r=0,11). Wenn sich die Erklärungen
inhaltlich auf Aspekte der sozialen Fairness in der Auswahl
beziehen, wirkt dies stärker positiv auf die Arbeitgeberattrakti-
vität als rein strukturelle Erklärungen zum Auswahlverfahren
(r=0,25 bzw. r=0,11; Truxillo et al. 2009, S. 355). Die Effekte
sind insgesamt schwach bis mittel. Bedenkt man jedoch, dass
Arbeitgeberattraktivität von vielen Faktoren beeinflusst wird,
die zudem in vielen Fällen nicht durch die Organisation beein-
flusst werden können, erscheinen die weitgehend kostenlosen
Feedbackgespräche dennoch effektiv.
Verhalten der Recruiter im Interview
Einer der zentralen Touchpoints zur Beeinflussung der Ar-
beitgeberattraktivität ist das Auswahlgespräch: Gemäß einer
Recruitingstudie der Universität Bamberg geben neun von
zehn Stellensuchenden an, dass das Einstellungsgesprach
eine wichtige Entscheidungsgrundlage zur Annahme eines
Jobangebots ist, und mehr als die Hälfte der Befragten haben
schon einmal ein Angebot aufgrund ihrer Eindrücke im Ein-
stellungsgespräch abgelehnt (Weitzel et al., 2016, S. 14). Im
Interview treffen Unternehmen und Bewerber entweder erst-
malig oder zumindest erstmalig intensiv persönlich aufeinan-
der und der menschliche Austausch steht im Vordergrund.
Aus diesem Grund erfreut sich das Rekrutierungsinterview
großer Akzeptanz bei Bewerbern und Unternehmensvertre-
tern. Der Fokus der wissenschaftlichen Forschung zur Ausge-
staltung der Interviewsituation liegt auf dem Selektionserfolg
im Sinne der prädiktiven Validität bezüglich des zukünftigen
Berufserfolges. Welche Verhaltensweisen beeinflussen aber
die Wahrnehmung als attraktive Arbeitgeber? Auch auf diese
Frage liefert die Metaanalyse von Krista L. Uggerslev et al.
(2012, S. 618) eine Antwort. Die Wahrnehmung als angenehme
Person („personable“, r=0,32), von Kompetenz (r= 0,23) und
Vertrauenswürdigkeit (r=0,22) wirken positiv auf die Arbeit-
geberattraktivität. Geschlecht oder fachliche Zuordnung zum
Personal- oder einstellenden Fachbereich sind hingegen nicht
relevant (Chapman et al., 2005). Der Schulung und Auswahl
der Rekrutierer sollte vor dem Hintergrund der Relevanz von
deren Persönlichkeitseigenschaften und Verhaltensweisen so-
mit besondere Beachtung geschenkt werden. Die Ansprache
über den Personal- oder den Fachbereich erscheint hingegen
weniger bedeutsamwie auch die demografischen Faktoren wie
z.B. das Geschlecht.
Vergleich mit Social-Media-Daten
Die zunehmende Verbreitung internetbasierter Arbeitgeber-
bewertungsportale ermöglicht den Anbietern zunehmend
die Auswertung großer Datenmengen. Im Vergleich zu den
vorgestellten wissenschaftlichen Analysen unterliegen diese
Veröffentlichungen allerdings keinem Kontrollprozess und die
verwendeten Skalen und Konstrukte entsprechen nicht den
wissenschaftlich etablierten. Das vor allem in den USA, aber
auch mit deutlich geringerer Abdeckung international ver-
breitete Portal Glassdoor veröffentlichte 2015 Auswertungen
zur Themenstellung (Chamberlain/Chen-Zion, 2015). Ausge-
wertet wurden ca. 150.000 Einzelbewertungen bezüglich der
Schwierigkeit des Einstellungsinterviews und der zeitlich spä-
ter erfassten Zufriedenheit der Mitarbeiter. Es zeigt sich ein
positiver Zusammenhang zwischen Schwierigkeitsgrad und
Zufriedenheit. Dies ist deckungsgleich mit den Ergebnissen
wissenschaftlicher Veröffentlichungen, nach denen Bewerber
eine „opportunity to perform“ schätzen. Interessanterweise ist
der Zusammenhang auf Basis der Glassdoordaten nicht linear.
Vielmehr sinkt die Zufriedenheit in der höchsten Schwierig-
keitskategorie 5 (Skala 1-5) wieder. Übertriebene Anforde-
rungen scheinen somit wieder negativ auf die Zufriedenheit
zu wirken, da damit unter Umständen ein zu großer Anforde-
rungsdruck verbunden wird.
Schlussfolgerungen für die betriebliche Praxis
3
Die Wahrnehmung des Rekrutierungsprozesses und hier ins-
besondere die Wahrnehmung von Verfahrensgerechtigkeit
haben wesentlichen Einfluss auf die Arbeitgeberattraktivität.
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