PERSONALquarterly 1/2017 - page 46

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PERSONALquarterly 01/17
NEUE FORSCHUNG
_KOMPETENZEN
gressiven Impression Management
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von Klienten, Kollegen
und Vorgesetzten eher als kompetent angesehen und in der
Folge häufiger engagiert und befördert wird.
Es kann daran anknüpfend vermutet werden, dass Berater mit
einem solchen offensiven ImpressionManagement die Fähigkeit
verlieren, ihr Wissen korrekt einzuschätzen, weil sie ihr Nicht­
wissen gegenüber Klienten und Kollegen quasi im Zuge des
Impression Managements ständig verdecken müssen und dass
sie dieses übersteigerte, verzerrte Selbstbildnis irgendwann
selbst glauben. Mit einem solchen Vorgehen vermeiden sie im
Gegenzug kognitive Dissonanzen und bleiben so handlungs­
fähig.
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Diese Interpretation würde auch die Erkenntnisse von
Russo/Shoemaker (1992) bestätigen, die einen Zusammenhang
zwischen einer signifikanten Überschätzung und einem Drang,
sich selbst als kompetent darzustellen zu müssen,
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konstatieren.
Eine zurückhaltende und eher realistische Darstellung
könnte dagegen den Eindruck von Inkompetenz hervorrufen.
Es ist zu erwarten, dass Berater mit überschätzenden Ten­
denzen und einer offensiveren Einstellung eher Beratungsauf­
träge angeboten bekommen und annehmen als zurückhaltende
Berater, die sich bei ambitionierten und komplexen Beratungs­
aufträgen überfordert und diesen nicht „gewachsen“ fühlen.
Die zunehmende Bedeutung von Wissen und Nichtwissen
lässt eine Kompetenz imUmgang mit der Differenz von Wissen
und Nichtwissen und der aus Nichtwissen resultierenden Unsi­
cherheit verstärkt nötig erscheinen. Ein kompetenter Umgang
mit Nichtwissen würde den Ergebnissen entsprechend nicht
nur die Fähigkeit beinhalten, sich schnell in neue und kom­
plexe Themen, Situationen, Bereiche und Kontexte einarbeiten
zu können, sondern darüber hinaus Nichtwissen und daraus
entstehende Ungewissheiten und Unsicherheiten „aushalten“
zu können. Es kommt also auch darauf an, sich in Handlungen
und Entscheidungen nicht durch Nichtwissen und Unsicher­
heiten blockieren, irritieren und belasten zu lassen. Berater
müssen demnach individuelle Unsicherheitsbewältigungskom­
petenzen besitzen oder entwickeln, um nicht orientierungslos
und unfähig zu sein und in der Folge handlungs- und entschei­
dungsunfähig in einer Nichtwissenssituation zu verharren.
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Fazit
Besonders aufgrund der existenziellen Abhängigkeit der Be­
rater von Wissen erscheint es plausibel, dass die Berater ihr
Wissen aus einem Selbstschutz heraus überschätzen und vor­
geben mehr zu wissen, als dies tatsächlich der Fall ist, um als
Berater attraktiv und handlungsfähig zu sein. Die identifizier­
te Überschätzung von eigenem Wissen und Unterschätzung
von Nichtwissen könnte also eine solche Unsicherheits- bzw.
Nichtwissensbewältigungskompetenz sein. Eine Überschät­
zung des eigenen Wissens und damit gleichzeitig die Unter­
schätzung des Nichtwissens können hier positive psychische
Auswirkungen haben. Entsprechend wurde in anderen Stu­
dien ein Zusammenhang zwischen leicht überschätzten Fä­
higkeiten und der psychischen Gesundheit festgestellt. Allzu
korrekte Einschätzungen können hingegen mit leichten De­
pressionen zusammenzuhängen.
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Eine Überschätzung kann in diesem Sinne als eine Unsicher­
heitsbewältigungskompetenz, als ein funktionaler Umgang mit
Nichtwissen bewertet werden, der es ermöglicht, Handlungs-
und Entscheidungsfähigkeit zu erhalten und sich nicht durch Un­
sicherheit, Ungewissheit und Nichtwissen blockieren zu lassen.
Eine Überschätzung von eigenem Wissen kann für den ein­
zelnen Berater und seine Karriere nützlicher sein als eine re­
alistische Einschätzung seiner Wissensressourcen. Allerdings
bildet Wissen aus der Perspektive des Wissensarbeiters das
grundlegende Kapital, die Grundlage der Existenz als wissens­
intensiver Dienstleister und die adäquate Einschätzung der ei­
genen Wissensgrenzen ist damit substanziell, um die eigenen
Kompetenzen erkennen und entwickeln zu können. Zudem
sind Nichtwissen bzw. das Wissen über Wissenslücken und
4 Kieser (1998)
5 Zu kognitiven Dissonanzen siehe z.B. Koehler/Brenner/Griffin (2002); auch Festinger (1978), Frey/
Gaska (1993)
6 Vgl. z.B. Russo/Shoemaker (1992)
7 Vgl. Dorniok (2012)
8 Taylor/Brown (1988); Taylor (1989)
Risiken und Gefahren
3
Hohe Fluktuationen schaffen einen hohen Anteil an jungen,
unerfahrenen Beschäftigten
3
Gut ausgebildete, erfolgreiche Akteure in hohen Positionen mit
beträchtlichem Entscheidungsvermögen
3
Unterschätzung kann zu übervorsichtigen Entscheidungen und
ungenutzten Potenzialen führen
Potenziale
3
Einsatz von sich überschätzenden Personen in Situationen, in
denen Nichtwissen ausgehalten werden muss
3
Ältere Personen mit mehr Berufserfahrung in mittleren Positio­
nen für realistische Einschätzungen
3
Insgesamt sprechen die Ergebnisse dafür, Beschäftigte und ihr
Know-how langfristig an die Organisation zu binden und mitt­
lere Karrierestufen auszubauen.
Überschätzen von Wissen als
3
Basiskompetenz („Aushalten“ von Nichtwissen, Ungewissheiten
und Unsicherheiten Erhaltung von Entscheidungsfähigkeit)
3
Erfolgsfaktor für eine erfolgreiche Beraterlaufbahn (Überschätzung
als Impression Management Ausstrahlung von Kompetenz)
Abb. 2:
Problematiken für alle Berufsgruppen
1...,36,37,38,39,40,41,42,43,44,45 47,48,49,50,51,52,53,54,55,56,...68
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