PERSONALquarterly 1/2017 - page 55

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Dieser Befund ist überraschend, da der Rekrutierungsprozess
vergleichsweise kurz ist, die objektiven Eigenschaften aber
über ein langjähriges Arbeitsverhältnis wirken. Ähnlich über-
raschend ist die hohe Bedeutung der Reaktionszeit des Unter-
nehmens auf die Arbeitgeberattraktivität (r=0,41; allerdings
ist die Datenbasis mit n=375 vergleichsweise klein; Chapman
et al., 2005, S. 934). In der Personalforschung geht man vor
diesem Hintergrund davon aus, dass der Rekrutierungspro-
zess dem Bewerber dazu dient, sein unvollständiges Bild über
Arbeitsbedingungen in der Organisation zu vervollständigen.
Personalökonomisch spricht man hier von Signalen, d.h. be-
obachtbaren Ereignissen oder Verhaltensweisen, auf deren
Basis ein Rückschluss auf die nicht beobachtbaren Arbeitsbe-
dingungen gezogen wird. Gemäß dieser Theorie wäre den Be-
werbern nicht etwa die schnelle Rückmeldung per se wichtig,
sondern sie würden aus einer schnellen Rückmeldung auf eine
generelle Wertschätzung der Mitarbeiter durch den Arbeitge-
ber schließen.
Als zentral erweist sich durchgängig der subjektive Ein-
druck der wahrgenommenen Gerechtigkeit: Zwischen der
wahrgenommenen prozessualen Gerechtigkeit und der Arbeit-
geberattraktivität besteht ein hoher Zusammenhang (r=0,44)
ebenso zwischen distributiver Gerechtigkeit und der Arbeitge-
berattraktivität (r=0,34; Hausknecht et al. 2004, S. 656). Positiv
wirken prozessuale und distributive Gerechtigkeitswahrneh-
mung ebenfalls auf die Weiterempfehlungsquote (r=0,46 und
r=0,40). Prozessuale Gerechtigkeit meint dabei die subjektiv
empfundene Fairness der Prozesse. Hiermit werden die Ge-
rechtigkeitsempfindungen im Umgang mit dem Unternehmen
und dessen Vertretern zwischen Bewerbung und Einstellungs-
entscheidung erfasst. Distributive Gerechtigkeit umfasst die
Wahrnehmung bezüglich der Verteilungsergebnisse, d.h. ob die
Rekrutierungsentscheidung als fair empfunden wird (Gilliland,
1993, Harold et al, 2016). Allerdings reagieren nicht alle Bewer-
ber gleich: Brian W. Swider et al. (2015, S. 78) untersuchen den
Zusammenhang zwischen individuellen Eigenschaften und der
Arbeitgeberattraktivität und finden schwache, aber signifikante
Unterschiede für einzelne Persönlichkeitseigenschaften (insb.
Gewissenhaftigkeit und Offenheit) und Intelligenz.
Relevante Eigenschaften an den einzelnen Touchpoints
Neben der übergreifenden Bedeutung der einzelnen Faktoren
untersuchten die Autoren um Krista L. Uggerslev et al. (2012)
auch die Bedeutungsveränderung während des Rekrutierungs-
prozesses. Dafür bedienen sie sich des 3-Phasen-Modells von
Barber (1998): Phase 1: Bewerberansprache – Phase 2: Be-
treuung während des Bewerbungsprozesses – Phase 3: Über-
zeugung nach einem Arbeitsplatzangebot. Der Einfluss der
Variablen bezüglich des Rekrutierungsprozesses nimmt mit
zunehmender Stufe zu, der Einfluss der Variablen bezüglich
Abb. 1:
Einflussfaktoren auf die Arbeitgeberattraktivität
Quelle: Reduzierte Darstellung auf Basis von Uggerslev et al. (2012): 617-620
- Glaubwürdigkeit der Aussagen
- Arbeitsplatzbezug
Eigenschaften des Prozesses
- Webseite
- Reaktionszeit
- Möglichkeiten, Leistung zu zeigen
- Augenscheinvalidität
0,30
0,14
0,24
0,36
0,21
0,30
0,24
Zahlenangaben sind Korrelationskoeffizienten.
Verhalten der Recruiter (z.B. Kompetenz)
0,25
Unternehmenseigenschaften (z.B. -reputation)
0,31
Arbeitsplatzeigenschaften (z.B. Vergütung)
0,30
1...,45,46,47,48,49,50,51,52,53,54 56,57,58,59,60,61,62,63,64,65,...68
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