PERSONALquarterly 1/2017 - page 58

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ESSENTIALS
_REZENSIONEN
PERSONALquarterly 01/17
I
nsbesondere wenn beide Partner erwerbstätig sind, fällt
es oftmals schwer, Beruf und Familie miteinander zu ver-
einbaren. Gedankliche Rollenwechsel während der Arbeit
sind unvermeidlich – beispielsweise wenn der Partner
anruft oder man sich daran erinnert, dass noch ein Geschenk
für ein Kind oder einen Familienangehörigen besorgt werden
muss. Brandon und Kollegen zeigen mittels einer kombinierten
Umfrage- und Tagebuchstudie mit US-amerikanischen Middle-
Class-Doppelverdienerfamilien, dass gedankliche Rollenwech-
sel bei der Arbeit zwischen Familien- und Arbeitswelt kognitive
Ressourcen aufbrauchen, die dann an anderer Stelle fehlen: Es
fällt schwerer, sich auf die Arbeit zu konzentrieren (selbstre-
gulatorische Erschöpfung), und die subjektiv wahrgenommene
Erfüllung interner Leistungsstandards sinkt. Darüber hinaus
ist bekannt, dass selbstregulatorische Erschöpfung Verhal-
tensweisen bedingt, die auch die erweiterte Job Performance
negativ beeinflussen können: geringere Hilfsbereitschaft, Ag-
gressionen und Stereotypisierung.
Die gute Nachricht: Personen, die Flextime- oder Flexplace-
Regelungen nutzen und es daher gewohnt sind, gedanklich
häufiger zwischen ihren Rollen als Arbeitnehmer und Part-
ner/Elternteil zu wechseln, entwickeln offenbar Routinen, die
es ihnen ermöglichen, weniger kognitive Ressourcen bei ge-
danklichen Rollenwechseln zu verbrauchen. Auch bei häufigen
Rollenwechseln kann so die Job Performance aufrechterhalten
werden, da die Selbstregulierung in geringerem Maße oder
– wie in der Stichprobe von Brandon und Kollegen – sogar
überhaupt nicht erschöpft wird.
Für die betriebliche Praxis ist allerdings zu bedenken, dass
Flextime- und Flexplace-Regelungen kurzfristig zunächst
zu mehr selbstregulatorischer Erschöpfung führen können,
da erst Strategien zum Umgang mit der neuen Freiheit bzw.
Flexibilität erlernt werden müssen. Daher sind zusätzliche
Trainingsmaßnahmen zum Erlernen solcher Strategien (z.B.
Fixieren, wann welche familiären Aufgaben zu erledigen sind)
sinnvoll.
Besprochen von
Benjamin P. Krebs
, Lehrstuhl International
Business, Universität Paderborn
Aus dem Auge,
(aber nicht) aus dem Sinn
Brandon W. Smit
(Ball State University),
Patrick W. Maloney
(Saint Louis University),
Carl P. Maertz Jr.
(Saint Louis Univer-
sity), &
Tamara Montag-Smit
(Ball State University). Out of
sight, out of mind? How and when cognitive role transition
episodes influence employee performance. Human Relations,
Vol. 69, No. 11, pp. 2141-2168.
O
rganisationale Gerechtigkeit beschreibt, ob sich Mit-
arbeiter gerecht und fair behandelt fühlen. Studien
fokussieren zunehmend die Rahmenbedingungen,
unter denen organisationale (Un-)Gerechtigkeit zum
Tragen kommt. Führungskräfte spielen dabei eine besondere
Rolle, da viele Entscheidungsprozesse durch sie gelenkt wer-
den. Bisher unklar ist, ob das Geschlecht der Führungskraft
einen Einfluss auf die wahrgenommene Gerechtigkeit hat. Ein
Verhalten, das bei einem Mann völlig in Ordnung erscheint,
könnte einer Frau negativ ausgelegt werden, da an die Ge-
schlechter unterschiedliche Erwartungen gestellt werden. Ob
solche Unterschiede tatsächlich vorliegen, hat Caleo in einer
Reihe von vier experimentellen Studien untersucht. Ihr Fokus
lag auf der prozeduralen und interaktionalen Gerechtigkeit.
Prozedurale Gerechtigkeit beschreibt, ob Verteilungsprozesse
(z.B. bei der Aufteilung der Mitarbeiter auf neue Büroräume;
Studie 2) als gerecht angesehen werden. Dies umfasst, ob die
Führungskraft neutral, systematisch und konsistent vorgeht.
Interaktionale Gerechtigkeit bezieht sich auf den direkten Um-
gang mit den Mitarbeitern und beschreibt, inwieweit ihnen mit
Würde und Respekt begegnet wird.
Die Ergebnisse zeigen ein klares Bild. Weibliche Führungs-
kräfte wurden deutlich negativer bewertet als Männer, wenn
sie sich interaktional ungerecht verhalten haben (z.B. Unhöf-
lichkeit, Ignorieren vonWünschen). Dies ist besonders vor dem
Hintergrund erstaunlich, dass in den Studien einzig der Name
der beschriebenen Person variiert wurde (Cathy vs. Kevin oder
Karen vs. Brian). Bezüglich der prozeduralen Gerechtigkeit gab
es keine Geschlechtereffekte. Männer und Frauen wurden ähn-
lich bewertet, wenn sie sich prozedural ungerecht verhielten.
Insgesamt zahlen Frauen einen höheren Preis, wenn sie sich
interaktional – aber nicht prozedural – ungerecht und damit
nicht rollenkonform verhalten. Es wird folglich mit zweierlei
Maß gemessen, wobei Männer einen größeren Spielraum nutzen
können. Das Aufbrechen dieser Stereotype und rollenkonformen
Erwartungshaltungen ist z.B. im Zuge von organisationalen Be-
wertungsprozessen, wie im Mitarbeitergespräch, wichtig.
Besprochen von
Annika L. Meinecke
, Lehrstuhl für Arbeits-,
Organisations- und Sozialpsychologie, Technische Universität
Braunschweig
Ist es schlimmer, wenn
Frauen ungerecht handeln?
Suzette Caleo
(Louisiana State University): Are organizational
justice rules gendered? Reactions to men’s and women’s justice
violations. Journal of Applied Psychology, Vol. 101, No. 10,
pp.1422-1435.
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