PERSONALquarterly 1/2017 - page 26

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PERSONALquarterly 01/17
SCHWERPUNKT
_FÜHRUNG
T
echnischer Fortschritt, Globalisierung und demogra-
fische Veränderungen führen zu einer Transformati-
on der Arbeitsprozesse. So sind Teile der Arbeitswelt
durch eine Enttraditionalisierung klassischer Hand-
lungsvorgaben, Vervielfältigung der Handlungsoptionen und In-
dividualisierung der Aufgabenbewältigung gekennzeichnet. Die
räumliche Distanz, über die Teams in der globalisierten Arbeits-
welt zusammenarbeiten und koordiniert werden müssen, stellt
eine zusätzliche Herausforderung dar. Diese Veränderungen
führen dazu, dass Arbeitsprozesse immer komplexer gewor-
den und Einzelne nicht mehr in der Lage sind, alle Prozesse zu
überblicken und alle beteiligten Themen vollständig zu durch-
dringen. Vielmehr ist es entscheidend, situations- und themen-
spezifisch gezielt auf das Wissen von Experten zurückgreifen
zu können, die ein tiefer gehendes Verständnis der relevanten
Sachverhalte erlangen und die bereit sind, dieses Wissen zu tei-
len, zu kooperieren und Verantwortung zu tragen. Hier setzt das
Konzept der geteilten Führung an. Geteilte Führung ist definiert
als „[…] ein dynamischer, interaktiver Beeinflussungsprozess
zwischen Individuen in Gruppen mit dem Ziel, sich gegenseitig
zu führen, um Gruppen- oder Organisationsziele oder beides zu
erreichen“ (Piecha/Wegge/Werth/Richter, 2012, S.560).
Durch den Einbezug der Mitarbeiter in die Führung werden
sie dazu angeregt, individuelles Wissen und Fähigkeiten ge-
zielt dort einzubringen, wo es gebraucht wird. Auf diese Wei-
se gestalten sie ihre eigene Arbeitsumgebung aktiv mit und
bauen ihre Führungskompetenzen aus. Geteilte Führung ist
dabei durch einen intensiven sozialen Austausch zwischen den
Teammitgliedern gekennzeichnet. Die Interaktionen formen ein
soziales Netzwerk, in dem die Beziehungen der Teammitglieder
als strukturelle Muster abgebildet werden. Je stärker die Füh-
rungsaufgaben unter den Teammitgliedern aufgeteilt sind, des­
to dezentraler ist die Struktur des Führungsnetzwerks (Small/
Rentsch, 2010). Mithilfe von sozialer Netzwerkanalyse konnte
bereits nachgewiesen werden, dass dezentralisierte Interak-
tionsstrukturen eine wichtige Rolle für den Erfolg von Teams
spielen. So hängt eine dezentralisierte Interaktion in Meetings
positiv mit Teamleistung zusammen (Sauer/Kauffeld, 2013).
Wichtig ist dabei allerdings, zu beachten, dass geteilte Führung
keinen Ersatz für vertikale Führung darstellt. Vielmehr wird
Führung teilen, Leistung ernten mit dem
Online-Tool SPLIT
Von
Dr. Amelie Grille, Prof. Dr. Simone Kauffeld, Dr. Nils Christian Sauer
und
Dr. Eva-Maria Schulte
(Technische Universität Braunschweig)
angenommen, dass geteilte Führung vertikale Führung ergänzt
und im Team gefördert werden kann, indem Teammitglieder
von ihrer Führungskraft lernen (Grille/Schulte/Kauffeld, 2015).
Ziel dieses Beitrags ist es, geteilte Führung in die Füh-
rungs- und Teamforschung einzuordnen sowie aktuelle For-
schungsbefunde aufzugreifen. Weiterhin wird mit dem Shared
Professional Leadership Inventory for Teams, kurz SPLIT, ein
neu entwickeltes und validiertes Tool zur Erfassung geteilter
Führung in Teams vorgestellt. Die Möglichkeiten und der Nut-
zen der Anwendung dieses Tools in der Praxis werden abschlie-
ßend diskutiert.
Vertikale und geteilte Führung
In den 50er-Jahren identifizierten die aufwendig gestalteten
Ohio-Studien
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zwei wichtige Kernaspekte vertikalen Führungs-
verhaltens: Aufgabenorientierung („Initiating structure“, auch
„Aufgabenmanagement“) und Mitarbeiterorientierung („Con-
sideration“, auch „Beziehungsmanagement“). Aufgabenma-
nagement umfasst vor allem die Steuerung und Organisation
der Aktivitäten der Mitarbeiter. Beziehungsmanagement be-
zeichnet den wertschätzenden Umgang der führenden Person
mit anderen sowie den Einbezug der Meinung anderer durch
die Führungsperson. In einem Versuch, sämtliche Literatur
zu relevanten Führungsaufgaben zusammenzufassen, veröf-
fentlichten Yukl und Kollegen (2002) eine Taxonomie des Füh-
rungsverhaltens. Hier identifizieren sie neben Aufgaben- und
Beziehungsmanagement zusätzlich den Aspekt Veränderungs-
management als einen wichtigen Führungsbereich. Demnach
ist Führung vor allem dann effektiv, wenn die führende Per-
son den Mitarbeitern innovative Ideen entlockt, sie bei der
Umsetzung dieser unterstützt, dazu anregt, aus vergangenen
Ereignissen zu lernen und somit kontinuierlich Optimierungs-
prozesse anstößt. Grote und Kauffeld (2007) ziehen noch ei-
nen vierten Aspekt wichtigen Führungsverhaltens hinzu – das
Mikropolitische Management. Demnach zeichnen sich gute
Führungskräfte auch dadurch aus, in kritischen Situationen
den Rat wichtiger Experten einzuholen, Netzwerke aufzubauen
und zu pflegen und auch die Mitarbeiter darin zu unterstützen,
1 Als „Ohio-Studien“ bezeichnet man eine Reihe empirischer Untersuchungen, die in den 1950er-Jahren
an der Ohio State University zur Untersuchung von Führung durchgeführt wurden.
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