PERSONALquarterly 1/2017 - page 20

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PERSONALquarterly 01/17
SCHWERPUNKT
_FÜHRUNG
F
ührung von Mitarbeitern in Organisationen wird über­
wiegend aus der Perspektive der Führungskräfte be­
trachtet. Mitarbeiter werden dabei meist als passive
Empfänger von Führung gedacht. In einem noch stär­
keren Maße trifft dies auf Führung von Mitarbeitern in der
öffentlichen Verwaltung zu. Das Sinnbild der Verwaltungen
als inflexible Institutionen, die sich allem voran durch starre
hierarchische Führungsstrukturen auszeichnen, begünstigt die
Fokussierung auf die Führungskräfte in diesen Kontexten. Es ist
wenig verwunderlich, dass die bisherigen Forschungsarbeiten
auf diesemGebiet überaus häufig auf führungskräfteorientierte
Theoriekonzepte zurückgreifen, wie z.B. transformationale
oder neocharismatische Führung, (Rybnikova/Lang, 2016, S.
243). Theorieansätze, die im Führungsgeschehen auf Mitar­
beiter abstellen, sind bei Weitem weniger populär. Zu solchen
gehört Führung von unten, die den Mitarbeitern Führungsfä­
higkeiten und Führungshandeln zuspricht. Mehr noch: Füh­
rung von unten verdeutlicht, dass Mitarbeiter keinesfalls als
passive Führungsempfänger zu denken sind, sondern als jene
Akteure verstanden werden sollten, die sowohl geführt werden
als auch ihre Führungskräfte selbst führen. Nun gilt öffentliche,
darunter auch kommunale Verwaltung als ein denkbar ungüns­
tiger Kontext für die Führung von unten. Bereits Wunderer
(2009) zweifelt stark daran, dass die öffentliche Verwaltung,
im Unterschied zu innovativen Unternehmen, Einflussnahme
seitens der Mitarbeiter auf die Führungskräfte gewährleisten
kann. In unserer Studie werfen wir die Frage, inwiefern Füh­
rung von unten auch in Verwaltungsorganisationen anzutreffen
ist, neu auf. Indem wir uns empirisch den kommunalen Ver­
waltungsorganisationen zuwenden, befassen wir uns mit drei
Fragestellungen: Gibt es Einflussversuche von Mitarbeitern im
Führungsprozess? Welche Taktiken wenden Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter an, um auf ihre Führungskraft einzuwirken?
Welche Rahmenbedingungen fördern bzw. hemmen diese Füh­
rung von unten?
Besinnen auf eine zu Unrecht vernachlässigte Führungsidee
Ungeachtet der Fokussierung auf die Führungskraft in der
Forschung zur Personalführung haben auch alternative theo­
retische Ansätze, die auf die Partizipation von Mitarbeitern im
Führung von unten in der kommunalen
Verwaltung: undenkbar und allgegenwärtig?
Von
Wiebke Genze, Katja Wavrousek, Prof. Dr. Rainhart Lang
und
Dr. Irma Rybnikova
(Technische Universität Chemnitz)
Führungsprozess abstellen, eine lange Tradition (vgl. Lang/
Rybnikova, 2014, S. 157). Dazu gehören u.a. Konzepte der
Co-Leadership, der partizipativen Zielsetzung oder Entschei­
dungsfindung, der Selbstführung und der kooperativen Füh­
rung, wie auch neuere Ansätze der verteilten oder geteilten
Führung. Dabei betonen diese Perspektiven im Kern allenfalls
eine begrenzte Teilung der Führungsverantwortung unter den
Mitwirkenden. Eine deutlich stärkere Beachtung des Mitar­
beitereinflusses findet sich dagegen in der mikropolitischen
Führungsperspektive (vgl. Lang, 2014), und hier insbesondere
im Konzept der Führung von unten.
Das Konzept der Führung von unten ist fokussiert auf die
Führungsaktivitäten und die Einflussnahme von Mitarbei­
tern im Führungsprozess (u.a. Wunderer, 1992/2009). Es
wird angenommen, dass alle Akteure über Handlungsspiel­
räume verfügen, die ihnen Freiräume bei der Durchsetzung
von individuellen und Gruppeninteressen ermöglichen.
Zur Durchsetzung ihrer Interessen greifen Führungskräfte
wie Mitarbeiter auf verschiedene Strategien und Taktiken
zurück (vgl. zusammenfassend Lang, 2014, 198ff.). Zu den
typischen Taktiken zählen zunächst die rationale Überzeu­
gung, Konsultation oder auch die Koalitionsbildung (Yukl/
Falbe, 1990). Für den spezifischen Kontext der Verwaltung
wurde weiterhin das Anrufen höherer Autoritäten, Institu­
tionen oder Prinzipien genannt, etwa der Bezug auf Gesetze
oder Regelungen der Verwaltung (Neuberger, 1995). Blickle
(2004) unterscheidet davon nochmals die aktive Einschal­
tung höherer Instanzen oder Dritter, z.B. die Einschaltung
des Betriebs- oder Personalrats, der Personalabteilung oder
der Unternehmensleitung. Als weitere mögliche Taktik der
Führung von unten nennt Blickle auch das Blockieren von
Aktionen, etwa durch mangelnde oder fehlende Umsetzung
von Anweisungen. Von der Oelsnitz (1999) erwähnt wei­
terhin die Taktik der Informationskontrolle, Domsch und
Ostermann (2014) verweisen auf das Eskalieren und das
Nachhaken als typische Taktiken einer Führung von unten.
Darunter wird zum einen das deutlich sichtbare Verhalten
von Akteuren verstanden, eine Situation verbal zuzuspitzen
oder sich hineinzusteigern und zum anderen den Sinn einer
Entscheidung zu hinterfragen.
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