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Die ermächtigende Führung wird häufig theoretisch, aber
auch empirisch der direktiven Führung gegenübergestellt.
Während die Geführten bei der ermächtigenden Führung
nicht nur an entscheidungsvorbereitenden Diskussionen teil-
nehmen dürfen (wie in der partizipativen Führung), sondern
sogar weitgehend autonom und eigenverantwortlich agieren
können, spezifizieren direktiv Führende genau, wer was wann
und wie zu erledigen hat.
Eine Studie von Lorinkova/Pearsall/Sims (2013) zeigt, dass
kurzfristig die direktive Führung bessere Teamleistungen er-
möglicht als ermächtigende Führung, während es etwas länger
dauert, bevor ermächtigend geführte Teams gleich gute und
letztlich sogar bessere Leistungen erzielen. Es ist anzunehmen,
dass dies in ähnlicher Weise auch für individuelle Geführte
und nicht nur für Teams gilt. (Diese Annahme bedarf jedoch
noch einer empirischen Überprüfung.) Die praktische Konse-
quenz aus diesem Befund ist, dass ermächtigende Führung
einer Investition in die Zukunft gleichkommt. Es braucht seine
Zeit, bis ermächtigte Geführte sich in ihre Aufgaben einge-
arbeitet, wichtige Lernerfahrungen gemacht und aus anfäng-
lichen Fehlern gelernt haben und auch im Kollektiv besser
zusammenarbeiten als in Situationen, in denen Führungskräf-
te genaue Vorgaben bezüglich der Aufgabenerledigung machen
und Freiräume einschränken. Zur Erreichung kurzfristiger
Ziele erscheint die direktive Führung somit als besser geeig-
net, während sich bei mittel- und langfristigen Zielen eher die
ermächtigende Führung anbietet.
Eine andere Studie (Martin/Liao/Campbell, 2014), die eben-
falls die ermächtigende mit der direktiven Führung verglichen
hat, zeigte, dass es zwischen den Effekten dieser beiden Füh-
rungsansätze praktisch keinen Unterschied gibt, wenn es um
die Erledigung von Routineaufgaben geht. Die ermächtigende
Führung erwies sich jedoch als wesentlich effektiver als die
direktive Führung in Bezug auf die Förderung von proaktivem
Verhalten – dem Ausmaß, in dem Geführte aus Eigeninitiative
Verbesserungsvorschläge einbrachten und selbstständig krea-
tive Lösungen entwickelten.
Lassen sich visionäre und ermächtigende Führung kombi-
nieren?
Aus alledem ergibt sich, dass visionäre Führung im Vergleich
zur bedingten Belohnung und ermächtigende Führung im Ver-
gleich zur direktiven Führung nicht immer effektiver sind. Es
ist für Führungskräfte daher durchaus von Vorteil, auch die
bedingte Belohnung und das direktive Führen in ihr Verhal-
tensrepertoire aufzunehmen. Letztere eignet sich offenbar vor
allem unter Zeitdruck und beim Streben nach kurzfristigen
Zielen. Es gibt allerdings gute Gründe dafür, warum insbeson-
dere die visionäre und die ermächtigende Führung künftig in
vielen Situationen ganz besonders angemessen und wirkungs-
voll sein könnten.
Routinetätigkeiten in Organisationen werden allmählich der
Digitalisierung und Robotisierung zum Opfer fallen und die
verbliebenen Geführten werden vornehmlich kognitive und
kreative Aufgaben zu bewältigen haben. Insbesondere bei
diesen komplexeren Aufgaben ist die intrinsische Motivation
von großer Bedeutung – ebenso wie die von der visionären
Führung vermittelte Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns. Darüber
hinaus führen die aktuellen technologischen Veränderungen
zu einem hohen Maß an Unsicherheit. Für viele Jobs ist es
noch unklar, ob es sie in fünf bis zehn Jahren noch geben
wird, und wenn, wie genau sie dann aussehen und welche
neuen Herausforderungen sich für Personen in bestimmten
Aufgabenbereichen in den nächsten Jahren ergeben werden.
Gerade bezüglich des Umgangs mit dieser Unsicherheit kann
visionäre Führung – in der die zu erwartende und angestrebte
Zukunft klar beschrieben wird – hilfreich sein. Die ermächti-
gende Führung erscheint vor allem vor dem Hintergrund der
im Durchschnitt zunehmend besser werdenden Bildung und
Kompetenz der Geführten und einer zunehmenden Nachfra-
ge nach flachen, egalitären (nicht-hierarchischen) Strukturen
attraktiv. Darüber hinaus dient sie der nachhaltigen Kompe-
tenzentwicklung der Geführten und fördert deren proaktives,
über den bloßen „Dienst nach Vorschrift“ hinausgehendes En-
gagement. Geführte, die diese durch ermächtigende Führung
ermöglichte und geförderte Entwicklung nicht mitmachen bzw.
mitmachen können, laufen Gefahr, entbehrlich zu werden.
Theoretisch lassen sich die visionäre und die ermächtigende
Führung gut voneinander abgrenzen. Bereits Bernard Bass,
der den Grundstein für die Dominanz des transformationalen
Führungsansatzes legte, betonte, dass transformationale Füh-
rung entweder direktiv oder partizipativ sein könne. Dies gilt
zweifellos auch für den Teilaspekt der visionären Führung.
Auch diese kann direktiv oder partizipativ bzw. ermächtigend
sein. Bemerkenswerterweise wird jedoch kaum jemals empi-
risch untersucht, wie unterschiedliche Führungsverhaltens-
weisen interagieren. Dies liegt vor allem daran, dass in der
Führungsforschung häufig breite, mehrdimensionale Füh-
rungsstil-Konstrukte untersucht werden – wie zum Beispiel
die transformationale Führung oder auch neuere Ansätze wie
die „authentische“ oder die „ethische“ Führung. Meines Erach-
tens erscheint es jedoch lohnenswert, das Zusammenwirken
unterschiedlicher konkreter Führungsverhaltensweisen zu un-
tersuchen (siehe auch Yukl, 2012). Auch für Praktiker ist dieses
Vorgehen meines Erachtens ergiebiger, da auf diese Weise sehr
viel besser geklärt werden kann, welches konkrete Verhalten
welche Effekte hat und wie diese Effekte durch die Kombina-
tion mit anderen Verhaltensweisen entweder verstärkt oder
abgeschwächt werden.
Es gibt theoretisch gute Gründe dafür, ermächtigende und
visionäre Führung zu kombinieren. Die im Durchschnitt po-
sitiven Wirkungen dieser beiden Führungsverhaltensweisen
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