PERSONALquarterly 1/2017 - page 6

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SCHWERPUNKT
_INTERVIEW
PERSONALquarterly 01/17
PERSONALquarterly:
Sie sind als E-Commerce-Unternehmen die
deutsche Nummer eins. Wie wollen Sie mit deutscher Führungs-
kultur im globalen Wettbewerb gegen Amazon bestehen?
Sandra Widmaier:
Dies klingt gerade so, als sei die deutsche Füh-
rungskultur konservativ und langsam. Aber ja, es stimmt, wenn
man im digitalen Wettbewerb bestehen möchte, dann muss
sich die Unternehmens- und Führungskultur verändern. Des-
halb haben wir zu Beginn des Jahres eine große gruppenweite
Initiative zum Kulturwandel 4.0 gestartet. Dabei spielen neben
wichtigen Themen wie Customer Centricity auch Führungsthe-
men wie Agile Leadership und Empowerment eine große Rolle.
Um unser Ziel zu erreichen, investieren wir viel in die Ausbil-
dung unserer Führungskräfte. Heute bieten wir zertifizierte
Trainings zu Agilität an und haben dieses Modul in jedem un-
serer Nachwuchsentwicklungsprogramme verankert. Unsere
Mitarbeiter zu ermutigen und zu ermächtigen, mehr selbst zu
initiieren und zu entscheiden, ist ein weiterer wichtiger Schritt
in der Entwicklung unserer Führungskultur. Wir müssen al-
lerdings dabei beachten, dass die Generation X bis Z ohnehin
gerne selbstständig und ortsunabhängig arbeitet. Es gilt hier
vor allem, die Führungskräfte der Generation Golf mehr zu
ermutigen, diese Selbstständigkeit zu unterstützen und auch
Fehler zuzulassen, ohne es als Machtverlust zu empfinden.
PERSONALquarterly:
Amazon hat das Silicon Valley als Ökosystem,
um junge Talente zu finden und Innovationen voranzutreiben.
Haben Sie mit Hamburg einen gravierenden Standortnachteil
bei der Personalrekrutierung und -entwicklung?
Sandra Widmaier:
Nein, wir empfinden Hamburg nicht als Stand-
ortnachteil. Im Übrigen ist auch das Silicon Valley nicht mehr
das Maß aller Dinge. Heute wird bereits Singapur als neuer
digitaler Hotspot gehandelt, da die örtliche Regierung sehr of-
fen für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und digitaler
Produkte ist und entsprechende Gesetze erlassen hat, die eine
offensive Entwicklung von digitalen Industrien ermöglichen.
Es ist vielmehr der Wirtschaftsstandort Deutschland insge-
samt, der mir hier Sorge bereitet. Es gibt hierzulande zu viele
behördliche Restriktionen, Verordnungen und Gesetze, die die
Entwicklung und das Ausprobieren von mutigen und innova-
tiven digitalen Arbeitsweisen und Produkten im Alltag nicht
Digitale Transformation fordert Offenheit und
Veränderungsbereitschaft von Führungskräften
Das Interview mit
Sandra Widmaier,
Personaldirektorin Konzern der Otto Group, führte
Ruth Lemmer
erlauben. Aus meiner Sicht muss Deutschland darauf achten,
in den nächsten 50 Jahren den Ruf als innovativer Wirtschafts-
standort und damit als interessantes Land für digitale Talente
insgesamt nicht zu verlieren.
PERSONALquarterly:
Otto ist eine Traditionsmarke. Wie geben Sie
der Marke ein E-Commerce-Image, um die entsprechenden
Talente anzusprechen?
Sandra Widmaier:
Otto ist ja nur eines von 123 Unternehmen
der Otto Gruppe. Wir haben den Anspruch, dass alle unsere
Unternehmen intensiv an ihren jeweiligen Arbeitgebermar-
ken arbeiten. Dennoch ist Otto ein sehr gutes Beispiel, das
mit dem Relaunch seiner Arbeitgeber-Kampagne „Rot4“ sehr
erfolgreich auf das Unternehmensimage eingezahlt hat. Wir
sind heute hochprofessionell auf Facebook, Twitter und Co
vertreten und sprechen damit genau die digitalen jungen Ta-
lente an, die wir suchen. Darüber hinaus haben wir eine App
entwickelt und auf den Markt gebracht, den „Otto Group Job
Finder“. Mit der App können vakante Stellen weltweit flexibel
und ortsunabhängig auf allen mobilen Endgeräten gefunden
und Bewerbungen direkt vorgenommen werden. Auch hier gibt
uns die Resonanz der Bewerber recht. Es haben sich mittler-
weile mehrere tausend User angemeldet und circa 70 Prozent
der Bewerbungen entfallen auf Stellen mit einem technischen
oder digitalen Profil.
PERSONALquarterly:
Die digitale Transformation wird als disruptiv
definiert, Uber und Airbnb gelten als Vorbild. Wie verträgt sich
Disruption mit Ihrem Anspruch, Führung stetig zu entwickeln
und sie nicht abrupt zu verändern?
Sandra Widmaier:
Es ist aus meiner Sicht richtig, dass eine Füh-
rungskultur nicht disruptiv verändert werden kann, denn Kul-
tur wird von Menschen geprägt, die eher geneigt sind, sich
zu entwickeln. Das kann man nicht mit Geschäftsmodellen
vergleichen, die man etablieren und den Wettbewerb disruptiv
aufmischen kann. Dennoch kann man die Entwicklung einer
Führungskultur beschleunigen und sehr nachhaltig in kurzer
Zeit verändern. Dies erfordert ein oder zwei Leuchtturminiti-
ativen – wie unsere Initiative bei der Otto Gruppe, bei der die
Mitglieder des Konzernvorstands allen Mitarbeitern das Du an-
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