PERSONALquarterly 1/2017 - page 10

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PERSONALquarterly 01/17
SCHWERPUNKT
_FÜHRUNG
M
ehr als zwei Jahrzehnte lang war die transfor-
mationale Führung (Bass/Riggio, 2005) das be-
liebteste Thema der Führungsforschung, sowohl
in der Wissenschaft als auch in der Praxis. Zu
diesem Ansatz wurden weit mehr Studien veröffentlicht als
zu allen anderen Führungsthemen. Von etwa 1985 – dem
Erscheinungsjahr von Bernard Bass‘ Buch „Leadership and
Performance Beyond Expectations“ – bis etwa 2013 und der
Veröffentlichung eines kritischen Artikels von van Knippen-
berg und Sitkin – hieß es oft, salopp formuliert: immer und
überall transformational führen, da dieser Führungsstil allen
anderen Ansätzen überlegen ist. Lange Zeit wurde dabei über-
sehen, welche eklatanten Schwächen die diesbezügliche Lite-
ratur aufweist.
Transformationale Führung – Aufstieg und Fall eines
Führungskonstrukts
In der einflussreichsten Konzeptualisierung dieses Konstrukts
von Bass und Avolio besteht dieser Ansatz aus vier Kompo-
nenten: dem vorbildhaften, charismatischen Wirken der Füh-
rungskraft; der inspirierenden Motivation, die von der durch
die Führungskraft vorgegebenen Vision ausgeht; der intellek-
tuellen Stimulierung sowie der individualisierten Rücksicht-
nahme auf die jeweiligen Bedürfnisse und Besonderheiten
einzelner geführter Personen. Üblicherweise wurde durchaus
plausibel argumentiert (z.B. in Bass/Riggio, 2005), dass die
so konzeptualisierte transformationale Führung die Geführten
nicht nur auf rationaler, sondern auch auf emotionaler Ebene
anspricht sowie übergeordnete, mit zentralen Werten im Ein-
klang stehende Ziele vorgibt und somit Sinn und Orientierung
vermittelt. Dadurch seien Geführte stärker und nachhaltiger
zu Höchstleistungen zu motivieren als durch eine reine Aus-
tauschbeziehung (z.B. Arbeitsleistungen gegen Geld), die bei
der transaktionalen Führung im Vordergrund steht. Gerade
dieser Unterschied zwischen der transformationalen und der
transaktionalen Führung wurde häufig betont.
Die transaktionale Führung besteht in der Konzeptualisie-
rung von Bass und Avolio aus mehreren Varianten, wobei vor
allemdie sogenannte bedingte Belohnung („contingent reward“)
wichtig ist und sich für eine Gegenüberstellung mit der trans-
Visionäre und ermächtigende Führung:
Führungsstile der Zukunft?
Von
Prof. Dr. Eric Kearney
(Universität Potsdam)
formationalen Führung anbietet. Im Rahmen der bedingten Be-
lohnung spezifizieren Führende, welche Belohnungen Geführte
für die Erbringung bestimmter Leistungen erhalten werden.
Während demzufolge die transformationale Führung vornehm-
lich die intrinsische Motivation fördern soll, zielt die bedingte
Belohnung auf die extrinsische Motivation ab.
Empirisch ist es jedoch nie befriedigend gelungen, die Über-
legenheit der transformationalen Führung gegenüber anderen
Ansätzen zu belegen. So zeigen etwa Meta-Analysen, dass im
Vergleich zur transformationalen Führung die bedingte Be-
lohnung (transaktionale Führung) im Durchschnitt ähnlich
hoch und teilweise sogar höher mit Kriterien wie der Arbeits-
zufriedenheit, Motivation und Arbeitsleistung individueller
Geführter sowie der Leistung von Gruppen korreliert (siehe
z.B. DeRue/Nahrgang/Wellman/Humphrey, 2011; Wang/Oh/
Courtright/Colbert, 2011; Judge/Piccolo, 2004). Insgesamt gibt
es daher für die Empfehlung, möglichst immer und überall
transformational (statt transaktional) zu führen, keine empi-
rische Grundlage.
Weitere Probleme, die insbesondere von van Knippenberg
und Sitkin (2013) detailliert erläutert wurden, bestehen darin,
dass es keine überzeugende Theorie gibt, die zu erklären ver-
mag, warum die vier Facetten der transformationalen Führung
als eine sinnvolle Einheit angesehen werden sollten, die sich
theoretisch von anderen Führungsverhaltensweisen abgren-
zen lässt. Warum gerade diese vier Elemente (siehe oben) und
nicht andere? Empirisch korrelieren diese vier Aspekte häu-
fig genauso hoch untereinander wie mit anderen Führungs­
aspekten, die nicht als Teil der transformationalen Führung
angesehen werden (z.B. auch mit der bedingten Belohnung).
Dadurch drängt sich der Eindruck auf, die Entwickler dieses
Ansatzes haben hier einfach das zu einer Einheit zusammen-
gefasst, was ihnen persönlich gut gefiel, ohne dies ausreichend
theoretisch begründen und empirisch belegen zu können. Die-
ses Vorgehen ist allerdings eine unzureichende Basis für die
mit großem Erfolg in die Praxis transportierte Botschaft, der
zufolge die transformationale Führung der Weisheit letzter
Schluss in Sachen Führung sei.
Darüber hinaus ist die Operationalisierung der verschie-
denen Elemente der transformationalen Führung problema-
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