PERSONALquarterly 3/2017 - page 43

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Es gibt kein einheitliches Erklärungsmodell zum psychischen
Wohlbefinden von Mitarbeitern am Arbeitsplatz, das der Kom-
plexität der unterschiedlichen Arbeitskontexte gerecht wer-
den könnte. Allerdings hat die Bundesanstalt für Arbeitsschutz
und Arbeitsmedizin (BAuA) die Normen DIN EN ISO 10075
1-3 als Orientierungshilfe bei der Untersuchung psychischer
Belastungen am Arbeitsplatz definiert. Nach diesen Normen
wird zwischen psychischen Belastungen, psychischen Bean-
spruchungen und langfristigen Folgen unterschieden. Die
psychische Belastung bezieht sich auf „die Gesamtheit aller er-
fassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukom-
men und psychisch auf ihn einwirken“ (Joiko et al., 2010, S. 9).
Die psychische Beanspruchung hingegen ist „die unmittelbare
(nicht langfristige) Auswirkung der psychischen Belastung im
Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen überdau-
ernden und augenblicklichen Voraussetzungen, einschließlich
der individuellen Bewältigungsstrategien“ (Joiko et al., 2010, S.
10). Die kurzfristige Beanspruchung kann für die Mitarbeiter
anregend sein und bspw. zu Aktivierungen führen oder aber
als beeinträchtigend (z.B. Ermüdungen) erlebt werden. Auch
die langfristigen Folgen können positiv oder negativ ausfallen.
Positive langfristige Folgen wären bspw. das Wohlbefinden und
die Weiterentwicklung körperlicher und geistiger Fähigkeiten
der Mitarbeiter. Negative langfristige Folgen würden das Erle-
ben allgemeiner psychosomatischer Störungen, Burn-out oder
Fehlzeiten am Arbeitsplatz beinhalten (Joiko et al., 2010). Zu-
sammenfassend kann festgehalten werden, dass psychische
Belastungen zunächst als neutral zu werten sind und nicht
notwendigerweise mit negativen Folgen einhergehen müssen.
Psychische Fehlbeanspruchungen am Arbeitsplatz:
Bedeutsamkeit und wissenschaftliche Evidenz
Jackson und Schuler untersuchten bereits 1985 in ihrer Me-
taanalyse zwei wichtige Stressfaktoren am Arbeitsplatz und
zwar Rollenambiguität und Rollenkonflikte. Rollenambiguität
entsteht durch mangelnde Informationen hinsichtlich Aufga-
ben und Zielen, die notwendig sind, um eine Arbeitsrolle aus-
zuüben. Rollenkonflikte hingegen entstehen, wenn Individuen
inkompatible Rollenbelastungen im Rahmen ihrer Arbeitsrolle
erleben. Jackson und Schuler zeigten, dass das Erleben beider
Stressfaktoren amArbeitsplatz mit einer erhöhtenWahrschein-
lichkeit einhergeht, Anspannung und Angst zu fühlen, und
auch die Intention eines Unternehmenswechsels verstärkt. Zu-
dem erleben Individuen mit Rollenambiguität und Rollenkon-
flikten weniger Bindung an die Arbeit und Zufriedenheit mit
der Arbeit. Die Metaanalysen von Lee und Ashforth (1996) und
von Meyer und Kollegen (2002) bestätigen diese Befunde. Lee
und Ashforth unterscheiden zwischen affektiver, normativer
und kontinuierlicher Arbeitsbindung. Affektive und normative
Bindung hängen negativ mit den Stressfaktoren Rollenambigu-
ität und Rollenkonflikten zusammen. Zudem korrelieren alle
drei Formen der Arbeitsbindung negativ mit Rückzugsgedan-
ken und Unternehmenswechsel. Darr und Johns (2008) bele-
gen einen positiven Zusammenhang zwischen Arbeitsstress
und Absentismus, psychischen Erkrankungen und Absentis-
mus sowie auch physischen Erkrankungen und Absentismus.
Podsakoff et al. (2007) unterscheiden in ihrer Metaanalyse
zwischen zwei Typen von Stressfaktoren und zwar hemmenden
Stressfaktoren und herausfordernden Stressfaktoren und regen
damit zu einer differenzierteren Betrachtung der Zusammenhän-
ge an. Beide Stressfaktoren gehen mit einem erhöhten Erleben
von Stress am Arbeitsplatz einher. Allerdings haben lediglich
hemmende Stressfaktoren negative Konsequenzen für Unterneh-
mensergebnisse. Hemmende Stressfaktoren korrelieren negativ
mit Arbeitszufriedenheit und Arbeitsbindung und positiv mit der
Intention, das Unternehmen zu verlassen, tatsächlichem Unter-
nehmenswechsel sowie auch mit sogenanntem Rückzugsverhal-
ten, zu dem Absentismus und Unpünktlichkeit zählen.
Bedeutung sozialer Unterstützung durch Kollegen
Soziale Unterstutzung durch Kollegen am Arbeitsplatz wird zu
einer signifikanten Ressource, wenn es um die Bewältigung von
Arbeitsaufgaben geht. Viele Tätigkeiten lassen sich erst durch
die mentale und/oder physische Hilfe von Kollegen realisieren.
Soziale Hilfe meint dabei nicht alleine die gemeinsame Tätigkeit
in einem Gruppenprojekt. Marchand und Blanc (2011) analysie-
ren die Bedingungsfaktoren zur Entwicklung chronischer Belas­
tungen (Distress) unter 5.500 kanadischen Berufstätigen. Neben
betrieblichen Rahmenbedingungen (z.B. Arbeitsplatzsicherheit)
und dem Einfluss von Arbeitsinhalten (z.B. Handlungsspielräu-
me) betrachteten die Autoren die sozialen Beziehungen, die sich
aus den Interaktionen mit den Kollegen ergeben. Die Ergebnisse
weisen auf einen bedeutsamen Zusammenhang zwischen dem
Sozialklima und dem wiederholten Auftreten von psychischen
Belastungen hin. Demnach vermindert eine hohe soziale Un-
terstützung das Risiko für wiederholte Distress-Episoden (OR =
0,94)
1
. Zu analogen Erkenntnissen kommen Stansfeld und Candy
(2006). Sie berichten ein erhöhtes Risiko für die Entstehung von
psychischen Störungen (Depression, psychischer Distress), wenn
am Arbeitsplatz schlechte zwischenmenschliche Beziehungen
vorherrschen (OR = 1,32).
Auf Basis dieser Erkenntnisse stellt sich die Frage nach
einem Zusammenhang zwischen sozialer Unterstutzung und
Fehlzeiten wegen Krankheit. Falkenberg und Kollegen (2012)
1 Empirische Forschung zum BGM verwendet häufig Instrumente und Kennzahlen der Medizin. Für
die Stärke von Zusammenhängen werden in der Managementforschung häufig standardisierte
Korrelationskoeffizienten oder Regressionskoeffizienten herangezogen. Für das BGM ist als weiteres
Effektstärkemaß das relative Risiko RR von Bedeutung. RR setzt die Anzahl von Erkrankungen
einer Behandlungsgruppe mit der Anzahl der Erkrankungen in einer Kontrollgruppe in Beziehung.
Angenommen 1.000 Patienten erhalten eine Präventionsmaßnahme, 1.000 Patienten sind in der
Kontrollgruppe. Erkranken 10 Patienten in der Behandlungs- und 20 in der Kontrollgruppe beträgt RR =
(10/1.000)/(20/1.000) = 0,5, d.h. das relative Risiko wurde um 50% reduziert. Das Odds Ratio (auch
Quotenverhältnis) ist eine statistische Maßzahl, die etwas über die Stärke eines Zusammenhangs von
zwei Merkmalen ausdrückt. Das statistische Verfahren wird häufig in der Medizin eingesetzt, um zu
erfahren, wie stark ein vermuteter Risikofaktor mit einer bestimmten Erkrankung zusammenhängt.
Odds Ratios setzen Erkrankungshäufigkeiten von Risiko- und Nichtrisikogruppen ins Verhältnis und
drücken aus, um wie viel größer die „Chance“ der Risikogruppe ist zu erkranken.
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