PERSONALquarterly 3/2017 - page 50

50
SERVICE
_DIE FAKTEN HINTER DER SCHLAGZEILE
PERSONALquarterly 03/17
D
er Mindestlohn ist zum Jahreswechsel nicht nur in
Deutschland gestiegen sondern auch in 19 Bundes-
staaten der USA – regional unterschiedlich, aber
die Marke liegt dicht an zehn US-Dollar oder wie in
New York City sogar darüber. Davon profitieren zum Beispiel
die Beschäftigten in der Gastronomie, vor allem in Fastfood-
Lokalen. Statt mit schwer durchsetzbaren Preiserhöhungen
reagieren manche der Lokale mit der Verkleinerung von Por-
tionen, der Extraberechnung von bisher kostenlosen Beilagen
oder der Automatisierung der Herstellungs- und Servicepro-
zesse. Das Handelsblatt zitierte am 30. Dezember die New Yor-
ker Restaurantverbandspräsidentin: „Die Restaurants werden
einen Preisschock vermeiden wollen. Sie werden kreativ sein
müssen.“
Kreativ waren auch Dara Lee Luca und Michael Luca. Die
Wissenschaftlerin am Institut Mathematica Policy Research
und der Dozent an der Havard Business School haben die Be-
wertungsplattform Yelp als Datenbasis für ihre Untersuchung
der Auswirkung des Mindestlohns auf die Beschäftigung in
der Gastronomie ausgewählt. Die gelisteten Restaurants auf
Yelp werden von den Gästen kommentiert, mit bis zu fünf Ster-
nen bewertet und sind nach vier Preiskategorien sortiert. Mit
den klassischen Bewertungen von Restauranttestern haben
die Yelp-Rankings nichts zu tun. Das Forscherpaar Luca zieht
aus der Analyse der Yelp-Daten für die Region San Francisco
den Schluss, dass mit dem Anstieg des Mindestlohns um ei-
nen Dollar die Wahrscheinlichkeit steigt, dass ein Restaurant
schließen muss. Dies gilt nach ihrer Aussage vor allem für
Lokale mit schlechten Bewertungen. Auch bei mittel klassi-
fizierten Restaurants steigt demnach die Wahrscheinlichkeit
um 14 Prozent. Nur in Fünf-Sterne-Restaurants wirkt sich die
Steigerung des Mindestlohns nicht aus. Michael Luca sagt
außerdem: „Es scheint, dass es nach dem gestiegenen Mindest-
lohn weniger Neueröffnungen gibt.“
Quelle erfasst Zahl der Arbeitsplätze nicht
Die Studie folgt der Logik, dass insgesamt die Zahl der Ar-
beitsplätze sinkt, wenn Gastronomen aufgeben. Genau hier
liegt ein Haken: Yelp erfasst die Zahl der Beschäftigten nicht.
Aussagen über die Zahl der Arbeitsplätze haben also keiner-
Die Erhöhung des Mindestlohns zum Beginn des Jahres 2017 hat die Forscher
aufmerken lassen. Doch die Beschäftigungseffekte bleiben umstritten.
Frieden mit dem Mindestlohn schließen
lei Faktenbasis. Handelsblatt-Redakteur Norbert Häring setzt
sich am 20.4.2017 unter der Überschrift „Wie schädlich sind
Mindestlöhne?“ mit den Luca-Ergebnissen auseinander – und
hinterfragt die statistische Signifikanz: Die Wissenschaftler
räumen ein, dass diese bei ihrem Hauptergebnis nur in be-
stimmten Spezifikationen greift; und beim Gesamteffekt der
Marktaustrittswahrscheinlichkeit fällt der Begriff „suggestive
Evidenz“ – für den Wirtschaftsredakteur „die unterste Katego-
rie der Verlässlichkeit“. Häring rechnet nach: In der mittleren
Kategorie würde nach der Wirkungsanalyse jedes 140. Lokal
schließen und unter allen Restaurants wäre jeder 500. gastro-
nomische Betrieb. Diese Quote bewirkt keine Erschütterung
in der wissenschaftlichen Diskussion um die Auswirkungen
des Mindestlohns auf den Arbeitsmarkt – nicht in den USA
und schon gar nicht in Deutschland mit seiner noch kurzen
Mindestlohntradition.
Mindestlohn mit Zugangssicherung umgangen
Die Mindestlohnforscher am Institut Arbeit und Qualifikation
(IAQ) der Universität Duisburg-Essen wählten 2015 in dem
Projekt „Kontrolle und Durchsetzung von Mindestarbeitsbe-
dingungen“ einen qualitativen Ansatz: Im Baugewerbe, in
der Fleischwirtschaft und im Gastgewerbe werden Interviews
mit Arbeitgebern, Arbeitnehmern, Subunternehmern und
Kontrolleuren geführt. Claudia Weinkopf, Stellvertretende
Geschäftsführende IAQ-Direktorin, und ihr Forscherteam
werten diese neben statistischen Daten bis 2018 aus. Erste
Ergebnisse zeigen, dass in der Fleischwirtschaft nach dem
Abschluss eines Mindestlohntarifvertrags Subunternehmen
jetzt häufiger als deutsche GmbH auftreten und sich damit
deutschen Gesetzen unterwerfen. Aber es wird auch klar, dass
die Arbeitszeiterfassung durchaus als Hebel zur Umgehung
des Mindestlohns genutzt werden kann. Dann nämlich, wenn
die elektronische Zugangssicherung einen erheblichen Puffer
zwischen dem Betreten des Geländes und der Arbeitszeit kal-
kuliert. Das mindert den realen Stundenlohn.
Die Forscherin kritisiert, dass im Jahr der Einführung des
Mindestlohns die Finanzkontrolle Schwarzarbeit um 31 Pro-
zent zurückgefahren wurde. Weinkopf, die die Forschungs-
abteilung Flexibilität und Sicherheit leitet und sich schon in
Ruth Lemmer
, Freie Wirtschaftsjournalistin in Duisburg
1...,40,41,42,43,44,45,46,47,48,49 51,52,53,54,55,56
Powered by FlippingBook