PERSONALquarterly 3/2017 - page 53

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03/17 PERSONALquarterly
PROF. DR. BERND MARCUS
Lehrstuhl für Organisations- und Personalpsychologie
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät
Universität Rostock
und Lehre in die Hochschule zog. An der Technischen Univer­
sität Chemnitz habilitierte Bernd Marcus 2004 am Lehrstuhl
für Differentielle und Diagnostische Psychologie. Nach einer
Stippvisite als Lehrstuhlvertretung im Fach Arbeits- und Or­
ganisationspsychologie an der Universität Marburg ging der
Forscher für zwei Jahre als Assistant Professor for Industrial
and Organizational Psychology an die University of Western
Ontario im kanadischen London.
Mit dem Verhalten von Bewerbern beschäftigt sich auch sein
zweites Forschungsthema: die Selbstdarstellung. „Oft heißt es,
man könne Bewerber vergessen, die im Auswahlgespräch lü­
gen“, beschreibt er. „Aber die Sache ist viel komplizierter.“
Es gehöre zum Spiel, sich in der Auswahl positiv darzustel­
len. „Die dosierte Selbstdarstellung zeigt auch, wie motiviert
jemand sich um den Job bemüht“, so Marcus. Der Bewerber
nähert sich den Erwartungen des Rekrutierers an – wie weit,
das entscheidet er selbst. „Die Suche nach der reinen Wahrheit
führt zu nichts“, betont der Forscher. „Man muss abwägen, was
im Interview eine nützliche Information ist und was Nützlich­
keit verhindert.“ Bei der Frage nach Schein und Sein im Bewer­
bungsverfahren sollten deshalb die motivationalen Elemente
unbedingt mit erfasst werden, die in der Gesprächssituation
zwischen Kandidat und Personaler mit aktiviert werden.
Zur Motivation im Beruf gehört wiederum das Interesse an
dem, was Beschäftigte tun. Dieser Zusammenhang hat Bernd
Marcus zum Thema Berufsberatung geführt. Die greift sei­
ner Ansicht nach zu kurz, wenn sie Interessen testet unter
der Voraussetzung, dass Interessen und die Umfelder in ab­
strakter Form zusammenpassen müssen. In mehreren Unter­
suchungen konnte der Hochschullehrer Berufstätige fragen:
Machen Sie das, was Sie machen, gern? Stimmt das, was Sie
machen, mit Ihren Erwartungen überein? Sein Ergebnis: In
den frühen Interessentests fehlt die Dimension der Aspira­
tion. Der Wissenschaftler hat die zielgerichtete Erwartung,
also umgangssprachlich Wunsch und Wirklichkeit, im Längs­
schnitt untersucht – und findet darin die Bestätigung, dass
die testbasierte Interessendiagnostik durch Aspiration ergänzt
werden muss, um Prognosen über beruflichen Erfolg und Zu­
friedenheit im Job zu erstellen.
Misstrauen gegen die eigenen Daten bewahren
Professor Marcus rät zu einem kritischen Umgang mit den
eigenen Online-Datenerhebungen. In Stichproben hat er schon
einmal herausgefunden, dass Mitarbeiter, die sich von ihren
Vorgesetzten und Kollegen beurteilen lassen sollten, deren Fra­
gebögen selbst ausgefüllt haben: Es wurden zum Beispiel alle
Bögen in derselben Nacht und an nur einem PC abgesendet.
Marcus: „Hat man einen Verdacht, sollte man die Daten lie­
ber herausnehmen, damit sie das Ergebnis nicht verfälschen.“
Schneeballsysteme sind verführerisch. Auch, dass nicht alle
Befragten antworten, beeinflusst das Ergebnis. „Ein leichtes
Misstrauen gegen seine eigenen Daten sollte man sich be­
wahren“, meint der Forscher. Dazu passt es, dass er auch die
Vorgehensweise bei jedem Untersuchungsgegenstand neu und
gründlich reflektiert. Denn bei all seinen wirtschaftspsycho­
logischen Themen will er sich nicht einer bestimmten theo­
retischen Schule verpflichten. „Ich sehe mich als theoretisch
denkender Wissenschaftler und versuche Phänomene vom
Phänomen aus zu erklären“, schildert Marcus seine Vorge­
hensweise. „Ich klopfe verschiedene Ansätze ab und kombi­
niere die Theorien, die helfen, den Forschungsgegenstand zu
verstehen.“
Auch in seiner Freizeit klopft der Hochschullehrer gerade
einiges ab: die Region in und um Rostock, in der er ein Haus
sucht, und eine Arbeitsmöglichkeit für seine Lebensgefährtin,
die als selbstständige Psychologin den Niederlassungswechsel
plant. Die Hansestadt und die Dörfer an der Ostseeküste locken
mit Lebensqualität und sind reizvoller als das wöchentliche
Pendeln in die über 500 Kilometer entfernte Ruhrregion, in der
Professor Marcus rund zehn Jahre verbrachte.
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