PERSONALquarterly 02/15
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STATE OF THE ART
_HOME OFFICE
len (Possenriede/Plantenga, 2014). Dieser Befund ist überra-
schend vor dem Hintergrund, dass viele unternehmerische
und politische Initiativen die Vereinbarkeit von Beruf und
Familie als Hauptziel von Flexibilisierungsmaßnahmen in den
Vordergrund stellen. Tammy D. Allen untersucht mit Kollegen
(2013) in einer Metaanalyse, der mehr als 100.000 Beschäf-
tigte zu Grunde liegen, den Zusammenhang zwischen Work-
Life-Balance und Arbeitszeit- und Arbeitsortflexibilisierung
deshalb gründlicher. Sie unterscheiden einerseits zwischen
dem Angebot und der tatsächlichen Nutzung von Flexibilisie-
rungsmaßnahmen. Übergreifend sind auch hier die Effekte
zwar positiv, aber eher gering. Andere betriebliche Maßnah-
men zur Unterstützung bei Konflikten zwischen Arbeits- und
Familienleben erweisen sich als deutlich effektiver (Kossek
et al., 2011), d.h., Maßnahmen, die auf eine unterstützende
Unternehmenskultur abzielen, oder Trainingsmaßnahmen für
Führungskräfte zur Sensibilisierung und Unterstützung bei
solchen Konflikten sind deutlich effektiver als das isolierte
Angebot von Vertrauensarbeitsort oder -zeit.
Einfluss auf die Karriere
Schadet es der Karriere, wenn Arbeitnehmer verstärkt von
zu Hause arbeiten und damit nicht mehr für den Vorgesetz-
ten unmittelbar sichtbar sind? Aus der Karriereforschung ist
bekannt, dass „face-time“, das heißt, die physische Sichtbar-
keit des Mitarbeiters, die Beförderungswahrscheinlichkeit er-
höht. Fragt man die Teilnehmer von Home-Office-Programmen
selbst, so sehen diese im Durchschnitt weder positive noch
negative Effekte auf ihre subjektiv wahrgenommenen Karrie-
reaussichten (Gajendran und Harrison, 2007: 1533). Auf der Ba-
sis eines großen niederländischen Panel-Datensatzes, der auf
Haushaltsbefragungen mehrerer Jahre basiert, untersuchten
Daniel Possenriede und Kollegen (2014) die tatsächliche Kar-
riereentwicklung unter Bedingungen von Arbeitszeit- und Ar-
beitsortflexibilität. Arbeitszeitflexibilität hat generell keinen
Einfluss auf die Karriereentwicklung. Gelegentliche Heimar-
beit ist ebenfalls neutral für die Beförderungswahrscheinlich-
keit. Lediglich überwiegendes Arbeiten von zu Hause reduziert
die Karriereentwicklung schwach negativ.
Einfluss auf Arbeitgeberattraktivität und Mitarbeiter
bindung
Neben direkten und indirekten Produktivitätseffekten gewinnt
wegen des wahrgenommenen Fachkräftemangels für Unter-
nehmen die positive Beeinflussung der Arbeitgeberattrakti-
vität und der Mitarbeiterbindung zunehmend an Bedeutung.
In beiden Fällen ist ein positiver Effekt größerer Autonomie
bezüglich Arbeitsort und -zeit nachweisbar: Die subjektiv ge-
äußerte Kündigungsneigung der Beschäftigten sinkt bei Home
Office leicht (r=0,10; Gajendran/Harrison, 2007). Bezüglich
der Bedeutung flexibler Arbeitsgestaltung untersuchte Krista
L. Uggerslev zusammen mit Kollegen (2012) den relativen
Einfluss flexibler Arbeitsgestaltung mit anderen Einfluss-
faktoren metaanalytisch. Die Kategorie Flextime/Work-Life-Balance weist dabei einen schwachen positiven Effekt (r=0,11)
auf die Arbeitgeberattraktivität aus, wobei auch hier anderen
Einflussfaktoren (z.B. Reputation, Arbeitsbeziehungen) ver-
gleichsweise höhere Bedeutung zukommt.
Leidet das Privatleben unter der Arbeit oder die Arbeit
unter dem Privatleben?
Ein wichtiges Ziel von Home Office und flexiblen Arbeitszeiten
in der Personalpraxis besteht in der Verbesserung der Work-
Life-Balance, das heißt, das Privatleben soll nicht mehr als
erforderlich durch das Arbeitsleben beeinträchtigt werden.
Dem liegt die implizite Annahme zu Grunde, dass sich Kon-
flikte im Arbeitsleben negativ auf das Privatleben auswirken.
Gleichermaßen plausibel, aber in der Personalpraxis kaum
diskutiert ist die umgekehrte Annahme, dass Konflikte im
Familienleben die Produktivität am Arbeitsplatz reduzieren.
In der Forschung werden beide Kausalitätsrichtungen vonei-
nander getrennt: Einerseits gibt es Konflikte bei der Arbeit,
die das Privatleben beeinflussen („work-to-family conflicts“),
andererseits gibt es Konflikte bei der Arbeit durch die Fami-
lie („family-to-work conflicts“). Ford und Kollegen (2007) un-
tersuchten in ihrer Metaanalyse diese Zusammenhänge und
unterscheiden zudem bezüglich der Ursache der negativen
Beeinflussung. Übergreifend lassen sich negative Effekte in
beide Richtungen nachweisen, wobei der negative Einfluss
aus dem Arbeitsleben auf das Privatleben größer ist als um-
gekehrt. Der personalwirtschaftliche Fokus auf betriebliche
Maßnahmen ist somit gerechtfertigt, die Auswirkungen des
Privatlebens auf die Arbeitszufriedenheit sollten jedoch nicht
vollständig ausgeblendet werden. Interessant ist zudem, dass
der negative Effekt wesentlich stärker vom erlebten Stress in
der Arbeitssituation bestimmt wird als von den geleisteten
Arbeitsstunden, die Gestaltung der qualitativen Arbeitsbe-
ziehungen somit bedeutsamer ist als die reine quantitative
Reduzierung der Arbeitszeit.
Zusammenfassung und praktische Schlussfolgerungen
3
Der Vorteil von Home-Office-Angeboten besteht in einem
schwach positiven Effekt auf die Mitarbeiterzufriedenheit,
die Mitarbeiterbindung und die Arbeitgeberattraktivität.
3
Vertrauensarbeitszeit führt zudem zu einer leichten Pro-
duktivitätssteigerung, zur Selbstausbeutung kommt es im
Durchschnitt nicht.
3
Die Beziehungsqualität zu Vorgesetzten und Kollegen lei-
det bei Home Office grundsätzlich nicht, solange die Arbeit
nicht vollständig oder fast vollständig von zu Hause erledigt
wird. Regelmäßiges Arbeiten in den Räumen des Unterneh-
mens sollte gewährleistet sein.