02/15 PERSONALquarterly
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tisch, als sie nur Personen erreicht, die diese Form der sozialen
Unterstützung nutzen. Die Online-Rekrutierung schließt alle
Personen ohne Internetzugang aus. Außerdem kann der re-
trospektive Bericht über das Erleben und den Umgang mit
kritischen Lebensereignissen durch Erinnerungsfehler ver-
fälscht sein. Und schließlich muss beachtet werden, dass auf
die persönliche Reifung noch andere Einflussgrößen als der
Bewältigungsstil wirken können: z.B. der Typ und die Schwere
des belastenden Ereignisses, unterschiedliche Persönlichkeits-
eigenschaften oder das individuelle soziale Unterstützungssys
tem (Zöllner/Calhoun/Tedeschi, 2006, S. 40)
Eine gewichtige Einschränkung ergibt sich überdies aus dem
methodischen Design einer korrelativen Fragebogenstudie.
Tatsächlich können so nur Aussagen über Zusammenhänge,
nicht aber über kausale Auswirkungen getroffen werden. Das
in dieser Studie identifizierte Ursache/Wirkungs-Verhältnis
von Bewältigung und Reifung sollte daher in weiterführenden
Studien mit experimentellen Designs abgesichert werden. Da-
bei würden die Bedingungen in verschiedenen Versuchsgrup-
pen gezielt manipuliert oder durch Erhebungen im Zeitverlauf
an der gleichen Stichprobe sichergestellt. Auf diese Weise
könnten Veränderungen der abhängigen Variable „Reifung“
eindeutig auf die Veränderungen der unabhängigen Variable
„Bewältigungsstil“ zurückgeführt werden.
Trotz der genannten Einschränkungen tritt das Ergebnis mit
einem empirischen Geltungsanspruch auf, der Beachtung von
Seiten des Personalmanagements verdient, weil gereifte Mit-
arbeiter aufgrund neu erworbener Eigenschaften einen Wert
für das Unternehmen haben können (Filipp/Aymanns, 2010, S.
115). Ein Konstrukteur etwa, der durch die Krisenbewältigung
einen Zuwachs an persönlicher Stärke und Selbstvertrauen er-
fährt, wird eher den Mut aufbringen, bei der Produktentwick-
lung einen durchdachten, aber unkonventionellen Entwurf zur
Diskussion zu stellen. Ein Vertriebsmitarbeiter, der eine größe-
re Authentizität imUmgang mit anderen erwirbt, besitzt – weil
er sich besser kennt als vorher – günstigere Voraussetzungen,
die zu seiner Persönlichkeit passende Vertriebsstrategie zu
wählen. Und der Führungskraft, die eine höhere Bereitschaft
zur Selbstöffnung erworben hat, fällt es leichter, auch die un-
angenehmen Nebenwirkungen geplanter Maßnahmen zu the-
matisieren – bekanntermaßen ein wichtiger Erfolgsfaktor im
Change Management.
Die im Zuge einer Reifung neu erworbenen Eigenschaften
können also durchaus zu einer Vergrößerung der beruflichen
Leistungsfähigkeit führen. Bleibt die Frage, was Führungskräf-
te tun können, um die flexible Anpassung von Lebenszielen bei
ihren Mitarbeitern im Fall einer Krise zu fördern.
Eine Lebenskrise erkennen und das erste Gespräch führen
Die erste Aufgabe für Führungskräfte besteht darin, das Auftre-
ten einer Lebenskrise bei Mitarbeitern zu erkennen. Mögliche
Anzeichen hierfür sind die abrupt auftretende und lang anhal-
tende Minderleistung eines ansonsten verlässlich arbeitenden,
einsatzfreudigen Mitarbeiters oder die plötzliche Veränderung
seiner Persönlichkeit (Matyssek, 2012, S. 198): Er/sie lacht
nicht mehr oder wird zynisch und macht immer öfter pessi-
mistische Aussagen. Er/sie beginnt zur Unpünktlichkeit zu
neigen und wird reizbar. Es häufen sich Konflikte mit Kollegen
und so genannte Eintageserkrankungen.
Ist dies der Fall, wird ein Gespräch erforderlich. Es zu führen
ist für Ungeübte allerdings nicht leicht. Private Themen – und
eine Lebenskrise ist etwas sehr Privates – liegen üblicherwei-
se außerhalb des Themenspektrums, das zwischen Führungs-
kraft und Mitarbeiter als akzeptabel gilt. Es besteht daher die
Gefahr, dass Mitarbeiter einen solchen Gesprächsversuch als
Einmischung in ihre Privatangelegenheiten begreifen und ab-
lehnen. Darüber hinaus ist Vorsicht geboten vor kritischen
Aussagen bei der Gesprächseröffnung. Je stärker sich Men-
schen angegriffen fühlen, desto größer ist die Wahrschein-
lichkeit, dass sie sich einem offenen Gespräch verweigern.
Für Führungskräfte bietet es sich vielmehr an, das Gespräch
anhand der drei folgenden Formulierungen zu strukturieren,
die sich nach unseren Erkundungen in der Beratungspraxis
bewährt haben: „Mir fällt auf …“, „Ich mache mir Sorgen um
Sie“, „Unser Unternehmen bietet an …“.
Gesprächshindernis Unternehmenskultur?
In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass es stark von der
Unternehmenskultur abhängt, ob und wie offen man sich über
gesundheitliche Probleme und eine empfundene Überforde-
rung austauschen darf (Ducki/Felfe, 2011, S. IX f.). Ein solcher
Hinweis ist zwar wichtig, aber auch nicht ungefährlich, weil
er das Entstehen einer resignativen Einstellung begünstigt.
Führungskräfte könnten auf den Gedanken kommen, dass
die Kultur als Gesamtheit aller im Unternehmen verankerten
Überzeugungen zu Wahrheit, Werten und Normen kurzfristig
ohnehin kaum zu ändern ist und man eben mit derjenigen
Kultur leben muss, die man hat.
Nun ist zwar in der Tat eine gewisse Vorsicht vor populärwis-
senschaftlichen Konzepten des Kulturmanagements angebracht.
Unternehmen können aber durchaus die Voraussetzungen für
das Führen von Mitarbeitergesprächen über psychische Belas
tungen verbessern, indem die Führungskräfte von der Perso-
nalabteilung dabei konkret unterstützt werden. Zu denken wäre
etwa an die Erstellung eines Leitfadens für das Anbahnen und
Führen solcher Gespräche. Als Vorbild kann die Rewe AG die-
nen. Sie hat eine „Toolbox“ mit Informationen zum betrieblichen
Gesundheitsmanagement entwickelt, die über das Intranet des
Unternehmens zugänglich ist. Darüber hinaus ist es wichtig,
dass die Geschäftsleitung ein entsprechendes Engagement der
Führungskräfte honoriert. Kontraproduktiv ist es hingegen,
wenn offiziell ein fürsorgliches Führungsverhalten eingefordert