PERSONALquarterly 02/15
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NEUE FORSCHUNG
_TALENT MANAGEMENT
Es wurde ein komplexes Kategoriensystem entwickelt, um
einen systematischen Vergleich der Unternehmen zu ermögli-
chen. Dabei wurden insbesondere die Wahrnehmungen und Prä-
ferenzen der Talente untersucht (in Bezug auf Auswahlprozesse
für Talentförderprogramme oder deren Inhalte) sowie Organisa-
tionswerte, Ansatz der Frauenförderung und wahrgenommene
Diskriminierung betrachtet und verglichen.
In beiden Unternehmen spielt die Förderung von Talenten im
Rahmen verschiedener Talentprogramme eine große Rolle: Un-
ternehmen A verfügt über 3 Förderprogramme, Unternehmen
B über 5
(siehe Abb. 1). Inhaltlich ähneln sich die Programme
in einigen Fällen (Networking, Mentoring, Förderprogramm
für junge Nachwuchsführungskräfte), die Auswahlmethoden
unterscheiden sich jedoch (Initiativbewerbung vs. Nominie-
rung durch den Vorgesetzten). Die Dauer der Programme liegt
im Durchschnitt bei 12 bis18 Monaten. Im Folgenden werden
die Ergebnisse der einzelnen TM-Charakteristika vorgestellt
und anhand der aufgeführten Annahmen diskutiert.
Genderspezifische Verzerrungen im TM
Talentdefinition
.
Die Unternehmen führen keine firmenweit
einheitliche Definition/Beschreibung von „Talent“. Basierend auf
den Talentinterviews gibt es aber unterschiedliche Auffassungen
zu wahrgenommenen, zugrunde liegenden Talentkriterien.
In Unternehmen A wurden Kreativität, ein gutes Netzwerk
und am häufigsten (von 60% der Befragten) die Fähigkeit, sich
gut zu präsentieren und zu verkaufen, sowie Durchsetzungsver-
mögen (mehrheitlich stereotype maskuline Eigenschaften) als
entscheidende Faktoren genannt, um als Talent anerkannt zu
werden. In Unternehmen B hingegen waren die Antworten etwas
vielfältiger und umfassten u.a. Flexibilität, Kommunikation und
soziale Kompetenz ebenso wie analytisches Denken sowie die
Fähigkeit, sich ein gutes Netzwerk innerhalb des Unternehmens
aufzubauen und zu pflegen (stereotype feminine und maskuline
Eigenschaften). Diese vielfältigere Talentdefinition in Unterneh-
men B spiegelt sich auch in der Vielzahl an Förderprogrammen
für die unterschiedlichen MitarbeiterInnengruppen wider und
verdeutlicht den Stellenwert, den Vielfalt als zentraler Organisa-
tionswert einnimmt, und deutet auf eine ausgewogenere Würdi-
gung stereotyper femininer und maskuliner Eigenschaften hin.
Da in Unternehmen B einige entscheidende Führungspositionen
von Frauen besetzt werden und die wahrgenommene Talentde-
finition stereotype maskuline wie auch feminine Züge umfasst,
ergibt sich die Schlussfolgerung, dass die Talentdefinition in
Unternehmen B eine geringere genderspezifische Verzerrung
vorweist. Dagegen scheint in Unternehmen A eine „Think talent
– think male“-Philosophie (Schein, 1973) verbreitet, was dadurch
deutlich wird, dass der Begriff Talent indirekt mit männlichen
Führungskräften und stereotypen maskulinen Eigenschaften as-
soziiert wird (z.B. Durchsetzungsvermögen, Fähigkeit, sich gut
zu verkaufen/präsentieren).
Zugrunde liegende Karriereorientierung
. Die zugrunde lie-
gende Karriereorientierung ist in beiden Firmen vertikal und
daher ist Führungspotenzial auch in beiden Unternehmen als
wichtiges Kriterium für die Anerkennung als Talent genannt
worden. Dennoch sind einige Unterschiede erkennbar: In Unter-
nehmen A wird bspw. als Kriterium für die Auswahl von Talenten
die Frage gestellt, ob es sich bei der/dem Kandidaten/-in um
eine/n zukünftige/n Top-Manager/-in handelt, was stark für eine
vertikale Karriereorientierung spricht. Auch in Unternehmen B
richtet sich ein Großteil der Programme an Führungskräfte und
den Führungsnachwuchs (vertikale Orientierung), aber durch
das Expertenprogramm, das ausdrücklich für MitarbeiterInnen
ausgeschrieben ist, die keine Personal- und Führungsverantwor-
tung innehaben, werden auch horizontale Karrierebewegungen
berücksichtigt. Gleichzeitig werden durch die fehlenden Altersbe-
schränkungen in den Programmen in Unternehmen B nicht nur
ein linearer und schneller Karriereverlauf belohnt, sondern auch
(familienbedingte) Erwerbsunterbrechungen abgefedert. Unter-
nehmen B zeigt damit im Vergleich zu A eine größere Wertschät-
zung für eine horizontale, nicht-lineare Karriereorientierung und
einen umfassenderen Ansatz im TM, der Männer und Frauen,
die aufgrund familiärer Verpflichtungen eine Karrierepause ein-
gelegt haben, nicht kategorisch ausschließt. Daher ist die Gefahr
einer genderspezifischen Verzerrung in diesem Fall geringer.
Inhalt der Talentprogramme
. Der Inhalt des Nachwuchs-
kräfteprogramms in Unternehmen A konzentriert sich auf die
weitere fachliche Qualifizierung (Management, Strategie, Me-
dienmanagement). Auch im Networking-Programm finden viele
der Veranstaltungen zu arbeitsbezogenen Themen statt. Dage-
gen fokussieren sich die Förderprogramme in Unternehmen B
fast ausschließlich auf die persönliche Entwicklung, Coaching,
soziale Kompetenzen, Teamfähigkeit und Führungskompetenz.
HR- und TM-Experten und Interviewpartner aus Unternehmen
B bestätigen, dass der Hauptzweck des TM nicht nur darin liegt,
geeignete Kandidaten für Führungspositionen zu finden, son-
dern die Programme auch zur Motivation der Mitarbeiter zu
nutzen und einen Rahmen zu bieten, im dem man sich entfalten
und seine eigene Persönlichkeit entwickeln kann. Demnach ist
die zugrunde liegende Karriereorientierung bei Unternehmen B
weniger genderspezifisch verzerrt als in Unternehmen A.
TM-Ansatz
. Die vorherige Beschreibung der TM-Praktiken
und Förderprogramme verdeutlicht, dass beide Unternehmen
einen gemischten TM-Ansatz verfolgen (mit elitäreren, exklu-
siveren wie auch offeneren, universelleren Elementen), was
typisch für deutsche Firmen ist und durch vorherige Studien
zu TM-Praktiken im Mittelstand bereits belegt wurde (Festing,
Schäfer und Scullion, 2013). Ein bedeutender Unterschied be-
steht jedoch in der Definition der Zielgruppe für die Förder-
programme: Unternehmen B bietet Programme für vielfältige
MitarbeiterInnengruppen ohne Altersbeschränkungen und für
Menschen mit und ohne Führungsverantwortung an, wohinge-