PERSONALquarterly 2/2015 - page 41

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(Tedeschi/Calhoun, 2004). Das Wort „Bewältigung“ bezeichnet
dabei alle Arten von Versuchen, einen unerwünschten Zustand
zu überwinden und ihn in einen besseren zu überführen (Fi-
lipp/Aymanns, 2010, S. 127). Hierbei muss zwar in Rechnung
gestellt werden, dass die Überführung durch situative Gege-
benheiten und individuelle Dispositionen beeinflusst wird.
Gleichwohl ist zu vermuten, dass es übergeordnete Bewälti-
gungsstile gibt, von denen einige einen stärkeren Einfluss auf
die persönliche Reifung haben als andere. Ableiten lassen sie
sich aus dem Zwei-Prozess-Modell der Entwicklungsregula-
tion, das Brandtstädter und Renner (1990) entwickelt haben.
Die beiden Psychologen gehen davon aus, dass sich Men-
schen wichtige Ziele setzen und ihre Lebenspraxis auf deren
Erreichung ausrichten. Auf dieser Grundlage gibt es ein lebens-
langes Wechselspiel von zwei miteinander konkurrierenden
Regulationsprozessen, die als Assimilation und Akkommoda-
tion bezeichnet werden. Diese Prozesse aktivieren sich als Re-
aktion auf erwartete Entwicklungsverluste und dienen dazu,
persönliche Ziele und Entwicklungswünsche auf die eigenen
Handlungsressourcen abzustimmen. Hierbei wird eine be-
stimmte Sequenz unterstellt (Brandtstädter, 2007, S. 418):
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Treten Schwierigkeiten bei der Zielerreichung auf, reagieren
Menschen zunächst mit Assimilation, das heißt, sie halten an
der Verfolgung ihrer Ziele und Entwicklungswünsche auch
gegenüber auftretenden Hindernissen fest. Hierbei lassen
sich drei Stufen unterscheiden: Zunächst wird die Anstren-
gung verstärkt. Stellt sich kein Erfolg ein, bemüht man sich,
die eigenen Ressourcen zu vergrößern, indemman beispiels-
weise neue Fähigkeiten erlernt und diese zur Zielerreichung
einsetzt. Bleibt der Erfolg weiterhin aus, wird versucht, ex-
terne Unterstützung zu beschaffen.
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Führt Assimilation nicht zum Ziel, beginnt eine Phase der
Resignation. Man ist enttäuscht, grübelt und wird anfällig
für depressive Störungen. Jetzt setzt die Akkommodation ein.
Sie führt zu einer Loslösung von unerreichbaren Zielen, zur
Anpassung eigener Wertestandards und zur Neuordnung der
persönlichen Lebensprioritäten.
Die Übergänge zwischen den Regulierungsprozessen sind im
Einzelnen abhängig von den individuell zur Verfügung stehen-
den Handlungsressourcen, von der Wichtigkeit der jeweiligen
ABSTRACT
Forschungsfrage:
Wie sollte eine Lebenskrise bewältigt werden, um die Wahrscheinlichkeit
einer persönlichen Reifung zu vergrößern: durch eine hartnäckige Verfolgung der Lebensziele
oder durch eine flexible Zielanpassung?
Methodik:
Die quantitative Auswertung einer Befragung von 516 Personen zeigt, dass die
flexible Anpassung der Lebensziele die Wahrscheinlichkeit für eine persönliche Reifung stär-
ker vergrößert als eine hartnäckige Zielverfolgung.
Praktische Implikationen:
Da mit einer persönlichen Reifung häufig neue Fähigkeiten
erworben werden und diese für Unternehmen interessant sein können, sollten Personalma-
nager die Einrichtung eines Unterstützungsprogramms erwägen.
Lebensziele und von der Verfügbarkeit entlastender Kognitionen
(Brandtstädter, 2007, S. 419). Mit zunehmender akkommodativer
Bewältigung verringern sich die assimilativen Bemühungen und
umgekehrt. Die beiden Prozesse stehen also in einem substitu-
tiven Verhältnis zueinander. Gleichwohl haben beide positive
Effekte auf das psychische Wohlbefinden.
Alternative Bewältigungsstile von Lebenskrisen
Um diese im ersten Augenblick vielleicht überraschende Be-
hauptung empirisch zu stützen, haben Brandtstädter und
Renner (1990) zwei faktorentheoretisch hergeleitete Skalen
konzipiert, die als „tenacious goal pursuit“ (Hartnäckigkeit in
der Zielverfolgung) und „flexible goal adjustment“ (Flexibilität
in der Zielanpassung) bezeichnet werden. Da es sich um von-
einander unabhängige Dimensionen der Bewältigung handelt,
lassen sie sich als eigenständige Bewältigungsstile begreifen.
Brandtstädter und Renner (1990) konnten nachweisen, dass
beide Bewältigungsstile depressionsmindernde und zufrieden-
heitsfördernde Wirkungen haben. Es zeigten sich jeweils posi-
tive Zusammenhänge zu Lebenszufriedenheit und Optimismus,
wobei die optimistische und positive Haltung gegenüber demLe-
ben verstärkt mit akkommodativer Flexibilität zusammenhing.
Die assimilative Hartnäckigkeit hingegen wies einen stärkeren
Zusammenhang zu generalisierten Kontrollüberzeugungen auf.
Diese positiven Befunde konnten in anderen Studien repliziert
werden (Wahl et al., 2005; Heyl et al., 2007).
Halten wir fest: Sowohl der Hartnäckigkeit der Zielverfolgung
als auch der Flexibilität der Zielanpassung lassen sich posi-
tive Effekte auf verschiedene Maße des psychologischen „Well-
being“ zusprechen. Wie aber wirken die Bewältigungsstile auf
die persönliche Reifung im Fall einer Lebenskrise? Haben beide
den gleichen Effekt, sodass es aus Unternehmenssicht keine
Rolle spielt, welchen Stil die Mitarbeiter wählen? Oder besitzt
ein Bewältigungsstil deutliche Vorteile gegenüber dem anderen
in dem Sinne, dass er die Reifung besser unterstützt? Um diese
Frage zu klären, wurde eine empirische Studie durchgeführt.
Erhebung
Die Studie basiert auf einer Stichprobe, für die das persönliche
Umfeld der Erstautorin unter Nutzung von E-Mail und sozialen
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