PERSONALquarterly 02/15
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NEUE FORSCHUNG
_TALENT MANAGEMENT
Verzerrungen gekennzeichnet ist (z.B. maskulin geprägte
Talentdefinition und vertikales Karriereverständnis) und ein
größeres Hindernis für weibliche Karrieren darstellen könnte
als in Unternehmen B. Letzteres ist durch stereotype femi-
nine Organisationswerte wie Freundlichkeit und Kooperation
(Maier, 1999) gekennzeichnet und weist weniger genderspezi-
fische Verzerrungen auf. In einigen Bereichen kann man sogar
von einem femininen Bias sprechen, z.B. weil sich Inhalte der
Förderprogramme ausschließlich auf die persönliche Entwick-
lung und Soft Skills beziehen. Es war jedoch zu beobachten,
dass sich diese stereotype feminine Werteorientierung und
Ausrichtung nicht auf die Top-Management-Ebenen bezog, in
denen nach wie vor das traditionelle männliche Familienernäh-
rermodell vorherrscht mit langen Arbeitszeiten und schlech-
ter Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Der Frauenanteil
in Führungspositionen ist also nicht automatisch mit einer
genderfreundlichen Organisation auf allen Hierarchieebenen
verbunden. Beide Unternehmen engagieren sich intensiv im
TM und versuchen geschlechtsspezifische Diskriminierung zu
vermeiden: Unternehmen A versucht diskriminierende Effekte
durch transparente Prozesse und Initiativbewerbungen zu re-
duzieren, während Unternehmen B eine formelle Quotenrege-
lung für alle Förderprogramme eingeführt hat.
Fazit
Ziel dieses Forschungsprojektes war es, einen konzeptionellen
und empirischen Beitrag für das Forschungsfeld Talent Ma-
nagement zu leisten und einen ersten konzeptionellen Bezugs-
rahmen für die genderspezifische Analyse von TManzustreben.
Dies erfolgte durch die Ableitung von Annahmen auf Basis der
Literatur und durch die Ergänzung einer detaillierten Fallstu-
dienanalyse in der deutschen Medienindustrie.
Es wurde analysiert, unter welchen Bedingungen gender-
spezifische Verzerrungen und ein geschlechtsbedingtes Dis-
kriminierungspotenzial im TM bestehen. Es wurde deutlich,
dass, wenn TM-Charakteristika wie die Talentdefinition, die
zugrunde liegende Karriereorientierung, die Inhalte der För-
derprogramme, der TM-Ansatz und bestimmte Aspekte der
Talentauswahl geringe Verzerrungen und diskriminierende
Aspekte aufweisen, alle talentierten MitarbeiterInnen gleicher-
maßen durch das TM angesprochen und unterstützt werden,
unabhängig von ihrem Geschlecht und/oder genderstereo-
typen Wertorientierung (siehe Abb. 2).
Für die Praxis und Forschung ergeben sich demnach einige
Implikationen. Für die weitere Forschung im Bereich Gender
und Talent Management bietet es sich beispielsweise an zu
untersuchen, ob ein geringerer Frauenanteil in Führungspo-
sitionen genderspezifische Verzerrungen oder geschlechtsbe-
dingte Diskriminierung im TM verursacht oder ob umgekehrt
eine wenig gendersensible Umsetzung von TM dazu führt, dass
weniger Frauen leitende Positionen erreichen.
gewährleistet. Umgekehrt gibt es in Unternehmen B eine offizi-
elle Geschlechterquote von 50% für alle Talentförderprogramme
als Teil einer unternehmensweiten Gender-Diversity-Initiative,
um die Chancengleichheit weiblicher Talente zu fördern. Diese
Quotenregelung ist allerdings auch mit Herausforderungen, zu-
sätzlichemAufwand und Kosten verbunden, da TM-Experten den
Auswahl- und Nominierungsprozess intensiver steuern müssen,
um die Zielvorgaben zu erreichen. Dies ist bei einer freien Nomi-
nierung durch den Vorgesetzten nicht der Fall. Zudem diskutiert
eine weibliche TM-Expertin die Nominierungslisten kritisch mit
den vorwiegend männlichen Vorgesetzten. Damit kommt ihr
eine wichtige Unterstützungsfunktion für weibliche Talente zu.
In Unternehmen A besteht aufgrund der numerischen Do-
minanz von männlichen Vorgesetzten, die mit der alleinigen
Nominierung von Talenten betraut sind und der Tendenz un-
terliegen, männliche Kandidaten zu bevorzugen (same sex-
bias), also das Risiko, Frauen zu diskriminieren, wohingegen
in Unternehmen B dieses Risiko durch die Institutionalisierung
einer expliziten Geschlechterquote und die Einbindung weib-
licher HR-Experten aufgehoben wird, sprich der Einsatz von Ge-
schlechterquoten wird als strategisches Element im TM genutzt
(Tatli, Vassilopoulou und Özbilgin, 2012). Was die Explizitheit
von Auswahlkriterien und Transparenz der Programme angeht,
so war die Existenz der Talentprogramme oft nicht bekannt und
es fehlte an Informationen (in Unternehmen A wurde lediglich
das Mentoring Programm im Intranet angepriesen). Andere Ele-
mente im Auswahlprozess, wie beispielsweise Kriterien im As-
sessment Center für das Nachwuchskräfteprogramm, wurden
hingegen als sehr transparent wahrgenommen, was zu einer
größeren wahrgenommenen Fairness und Objektivität führte.
Im Gegensatz dazu beruhte der Auswahlprozess in Unterneh-
men B rein auf der Nominierung des Vorgesetzten, und Kriterien
und Prozesse sind wenig transparent (keine Initiativbewerbung
möglich, kein Feedback zu erfolglosen Nominierungen). Eine
Folge der Geheimhaltung der Nominierungsprozesse ist jedoch,
dass ein persönliches Netzwerk und Fürsprecher auf höherer
Managementebene die Wahrscheinlichkeit erhöhen, für ein För-
derprogramm nominiert zu werden. Aufgrund der Dominanz
männlicher Netzwerke und der Tendenz zur Homophilie (Ibar-
ra, 1993), erhöht eine solche Vorgehensweise das Risiko der
Diskriminierung von Frauen bei Auswahlprozessen.
Die vergleichende Fallstudie ermöglichte die Identifizierung von
unternehmensspezifischen Mustern genderspezifischer Verzer-
rungen und geschlechtsspezifischer Diskriminierung im TM.
Ein Faktor, der erklären könnte, warum sich die Herange-
hensweise an TM zwischen den betrachteten Unternehmen so
stark unterscheidet, könnte der Unterschied in der Anzahl von
Frauen in Führungspositionen sein (Samplingkriterium für
die zwei Fallunternehmen). Unsere genderspezifische Analyse
deutet darauf hin, dass das TM des männerdominierten Unter-
nehmens A durch einen höheren Grad an genderspezifischen