PERSONALquarterly 02/15
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NEUE FORSCHUNG
_TALENT MANAGEMENT
W
issenschaft, Politik und Wirtschaft befinden sich
seit einigen Jahren in einer intensiven Debatte
darüber, wie die Anzahl von Frauen in Führungs-
positionen in Deutschland erhöht werden kann
und wie weibliche Talente effektiver in organisationale Entschei-
dungsfindungsprozesse integriert werden können. ImVergleich
zu anderen Ländern, wie beispielsweise den USA oder Groß-
britannien, sind Frauen in Führungspositionen in Deutschland
immer noch in der Minderheit (Holst, Busch und Kröger, 2012).
Dies war ein Anlass für die deutsche Regierung zur Einfüh-
rung einer gesetzlichen Geschlechterquote, die unter anderem
festlegt, dass mindestens 30% der Aufsichtsratspositionen mit
Frauen besetzt werden müssen (ab 2016). Infolgedessen, aber
auch vor dem Hintergrund des demographischen Wandels ste-
hen deutsche Unternehmen unter Zugzwang und müssen Lö-
sungen entwickeln, um eine vielfältigere Belegschaft zu fördern.
Gleichzeitig hat das Interesse an Talent Management (TM)
als eine der zentralen Personalmanagementpraktiken in deut-
schen Unternehmen in den vergangenen Jahren stark zuge-
nommen. TM kann definiert werden als die Fähigkeit einer
Organisation, Talente anzuwerben, auszuwählen, zu entwickeln
und langfristig an ein Unternehmen zu binden (Stahl et al.,
2007). Diese Talente sind von strategischer Bedeutung für die
Organisation, da sie per Definition wertvoll, selten und schwer
zu imitieren sind und daher einen Wettbewerbsvorteil für die
Organisation darstellen können. Wenn TM jedoch so gestaltet
ist, dass bestimmte MitarbeiterInnengruppen wie hochquali-
fizierte Frauen geringere Chancen haben als ihre männlichen
Kollegen, als Talent identifiziert zu werden, schöpft das Unter-
nehmen den verfügbaren Talentpool nicht vollständig aus und
verhindert damit die effektive Partizipation aller MitarbeiterIn-
nengruppen an der unternehmerischen Wertschöpfung.
Es gibt zahlreiche Studien, die die Gründe für die Unter-
repräsentanz von Frauen in Führungspositionen untersuchen,
jedoch bislang kaum akademische Beiträge, die einen theore-
tischen und empirischen Bezug zur Talent-Management-For-
schung herstellen (Ausnahme Tatli et al., 2012) und TM aus
einer genderspezifischen Perspektive analysieren. Angesichts
dieser Forschungslücke werden im vorliegenden Beitrag insbe-
sondere die folgenden Forschungsfragen beantwortet:
Think talent – think male? Eine gender
spezifische Analyse von Talent Management
Von
Prof. Dr. Marion Festing, Dr. Angela Kornau
und
Dr. Lynn Schäfer
(ESCP Europe, Campus Berlin)
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Unter welchen Bedingungen kann man von genderspezi-
fischen Verzerrungen oder geschlechtsspezifischer Diskri-
minierung im TM sprechen?
3
Verfolgen Unternehmen unterschiedliche Ansätze im TM,
umweibliche Talente zu fördern? Wenn ja, wie unterscheiden
sich diese Ansätze?
Diesen Fragen wurde konzeptionell und empirisch auf der Ba-
sis einer vergleichenden Fallstudie von zwei deutschen Medi-
enkonzernen nachgegangen. Der vorliegende Beitrag ist ein
Auszug eines bereits veröffentlichten Fachartikels (Festing,
Kornau und Schäfer, 2014).
Genderspezifische Verzerrungen und geschlechtsspezifische
Diskriminierung im Talent Management
In der Literatur herrschen zwei Definitionen von Gender vor:
Gender als soziale Konstruktion und Gender als biologisches
Geschlecht. In diesem Artikel beziehen wir uns auf beide De-
finitionen, um eine differenzierte genderspezifische Analyse
des TM zu ermöglichen. Dementsprechend umfasst der hier
vorgeschlagene Bezugsrahmen zwei Indikatoren: erstens gen-
derspezifische Verzerrungen im TM und zweitens geschlechts-
spezifische Diskriminierung im TM.
In Anlehnung an Maier (1999) definieren wir genderspezi-
fische Verzerrungen im TM als jene Praktiken, die Werte und
Eigenschaften widerspiegeln, die häufiger mit dem einen als
dem anderen Geschlecht assoziiert werden. Dieser Indika-
tor basiert auf der grundlegenden Idee, dass organisationale
Praktiken auf Geschlechterstereotypen basieren und damit die
Ungleichheit zwischen Frauen und Männern verstärken. Da
der öffentliche Raum mit den dazugehörigen Institutionen his
torisch gesehen männlich dominiert war (im Gegensatz zum
privaten Raum), orientieren sich die entsprechenden organisa-
tionalen Praktiken stärker an stereotypen maskulinen Werten
und Attributen, wie zum Beispiel Aggressivität, Wettbewerb,
Statusorientierung, Hierarchie oder Kontrolle (Maier, 1999).
Mithilfe des Indikators genderspezifische Verzerrungen im TM
soll systematisch analysiert werden, inwieweit TM-Praktiken
unterschiedliche genderrelevante Werteorientierungen glei-
chermaßen reflektieren oder ob eine Verzerrung in Richtung ei-
ner stereotypen maskulinen (oder femininen) Prägung besteht.