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PERSONALquarterly 02/15
SCHWERPUNKT
_CHANGE
keit der Veränderung. Aussagen, die die Veränderung in Frage
stellen und für eine Beibehaltung des gegenwärtigen Status
sprechen, sollten hingegen nur in geringerem Maße auftreten.
Hypothese 1: In den Workshops äußern die Change-Rezipi-
enten mehr Change Talk als Sustain Talk.
Die erste Hypothese nimmt an, dass Change-Rezipienten am
Ende eines Workshops mehr für die Veränderung als gegen
die Veränderung geäußert haben. Trotzdem sind partizipative
Maßnahmen wie Workshops per se interaktiv, d.h. die Teilneh-
menden können sich gegenseitig beeinflussen und es kann
zu Gruppendynamiken kommen. Teilnehmende können sich
durch ihre Verhaltensweisen sowohl sozial anstecken als auch
gegenseitig hemmen. Einem Jammern in einer Besprechung
folgt überzufällig häufig ein weiteres Jammern (Kauffeld,
2012). Deshalb interessiert uns auch der Verlauf der Verän-
derungsbereitschaft innerhalb der Workshops. Da wir davon
ausgehen, dass sich die Teilnehmer im Vorbereitungsstadium
befinden, sollte die Veränderungsbereitschaft trotz interak-
tiver Gruppendynamiken eine positive Steigung aufweisen.
Hypothese 2: Die geäußerte Veränderungsbereitschaft hat
im Verlauf der Workshops eine positive Steigung.
Wir untersuchen, ob die Hypothesen zutreffen, anhand einer
exemplarischen Auswertung von partizipativen Workshops.
Die Stichprobe besteht aus drei Workshops mit jeweils vier bis
sechs Change-Rezipienten (insg. = 14). Die Workshops wurden
im Vorfeld einer organisationalen Veränderung – der Inbetrieb-
nahme eines technologisch hochfunktionalen Arbeitsgebäudes
– durchgeführt. Ziel dieser Maßnahme war es, dass sich die
Teilnehmenden auf anstehende Aufgaben im Zuge der Inbe-
triebnahme des Gebäudes vorbereiten (z.B. Umgang mit Notfäl-
len und Störungen, Restarbeiten, Einweisungen in technische
Anlagen). Die teilnehmenden Change-Rezipienten setzten sich
jeweils aus Mitarbeitern einer Erziehungseinrichtung und Ver-
waltungseinheiten des Bauherrn zusammen. Das Alter der Teil-
nehmenden reichte von 23 bis 61 Jahren (M= 42.64, SD = 12.57).
Bis auf einen Teilnehmer waren alle Teilnehmenden weiblich.
Alle Workshops wurden per Video aufgezeichnet. Die verba-
len Äußerungen der Teilnehmenden wurden mit Hilfe des in
Abb. 1 dargestellten Kategoriensystems in Change-Talk- und
Sustain-Talk-Äußerungen klassifiziert (Klonek/Kauffeld, 2012;
Klonek/Paulsen/Kauffeld, in Druck).
Um zu ermitteln, ob die Aussagen konsistent kategorisiert
worden sind, wurde eine Zufallsstichprobe von 120 Minuten
(25%) des Videomaterials separat von zwei Beobachterinnen
kategorisiert. Als Maß der Übereinstimmung wurde Cohen’s
Kappa
1
berechnet. Der Übereinstimmungswert von
κ
=.74 zeigt,
dass beide Beobachterinnen Change Talk und Sustain Talk sehr
messgenau klassifizieren konnten.
Zur Darstellung der interaktiven Dynamik von Verände-
rungsbereitschaft (readiness) und Widerstand (resistance) der
Teilnehmenden über den zeitlichen Verlauf der Workshops
wurde der R-Index berechnet. Es handelt sich um einen In-
dex, der gruppendynamische Veränderungen über die Zeit von
starkem Widerstand bis hin zu starker Veränderungsbereit-
schaft abbilden kann (Klonek/Paulsen/Kauffeld, in Druck). Im
Wesentlichen berücksichtigt der Index, dass mit jeder Change
Talk-Äußerung die Veränderungsbereitschaft der Gruppe um
den Wert +1 steigt, während sie mit jeder Sustain-Talk-Äuße-
rung um den Wert -1 sinkt. Kumulierte positive Werte deuten
auf eine hohe Veränderungsbereitschaft (readiness to change)
hin, während negative Werte auf Widerstand (resistance to
change) hinweisen. Ein R-Index nah an null deutet darauf hin,
dass die Gruppe ambivalent gegenüber der Veränderung ist.
Die Abbildung des R-Indexes über die Zeit führt zur Darstel-
lung einer R-Kurve. Diese visualisiert die gesamte Dynamik
der Veränderungsbereitschaft einer Gruppe über die Zeitspan-
ne des Workshops (siehe Abb. 3).
Ergebnisse
Change Talk überwiegt im Vergleich zu Sustain Talk in den
Workshops (Abb. 2). Der prozentuale Anteil von Change Talk
an allen veränderungsbezogenen Äußerungen variiert von 60%
bis 82%. CHI²-Tests zeigen, dass die Häufigkeiten von Change
Talk und Sustain Talk sich in allen Workshops statistisch si-
gnifikant von der Gleichverteilung von 50% Change zu 50%
Sustain Talk unterscheiden (
χ
²
1
≥26.20, p<.01). Damit kann die
erste Hypothese, dass die Change-Rezipienten mehr Change
Talk als Sustain Talk äußern, angenommen werden.
Um Hypothese 2 zu prüfen und die zeitliche Dynamik ab-
zubilden, wurden für alle drei Workshops R-Kurven erstellt
(Abb. 3). In allen drei Workshops gibt es einen signifikanten
Anstieg des R-Index (alle ß>.85, alle ps<.01). Hypothese 2, dass
die Veränderungsbereitschaft von Change-Rezipienten durch
Partizipation steigt, kann angenommen werden.
Die unstandardisierten Regressionskoeffizienten B geben die
Steigung der R-Indizes pro durchschnittliches Zeitintervall (ca.
6 Min.) an. Die Steigungen sind in Workshop 1 (B=22.87) und
Workshop 2 (B=19.30) sehr steil; Workshop 3 (B=5.17) hat eine
flache Steigung. Dies bedeutet, dass z.B. im ersten Workshop
ca. 6 Minuten der partizipativen Maßnahme (1 Zeitintervall) zu
einer Erhöhung der Bereitschaft (R-Index) um 22.87 Einheiten
führen. Insgesamt sind die Steigungen in Workshop 1 und 2
des R-Indexes etwa vier Mal so hoch wie im ersten Workshop.
Doch was genau ist in Workshop 3 passiert?
Ein Vorteil der Interaktionsanalyse mit Videomaterial be-
steht darin, dass im Nachgang kritische Situationen anhand
1 Der Kappa-Koeffizient (auch Cohen’s Kappa,
κ
) ist ein statistisches Maß für die Beobachterüberein-
stimmung (auch Inter-Rater-Reliabilität). Er gibt an, wie gut zwei Beurteilungen übereinstimmen,
die von zwei Beobachtern gemacht wurden. Sein Wert kann -1.0 bis 1.0 betragen. Dabei gibt ein
Wert von
κ
= 1.0 eine perfekte Übereinstimmung an, wohingegen
κ
= -1.0 auf eine perfekte Nicht-
Übereinstimmung hinweist, d.h., die Beobachter haben immer ein unterschiedliches Urteil gefällt. Ein
Wert von
κ
= 0 zeigt keine Übereinstimmung, die über ein zufälliges Maß hinausgeht.