PERSONALquarterly 2/2015 - page 40

PERSONALquarterly 02/15
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NEUE FORSCHUNG
_FÜHRUNG UND GESUNDHEIT
F
undamentale Krisen gehören zum menschlichen Le-
ben, das weiß jeder von uns aus eigener Erfahrung.
Die Ursachen dafür sind vielfältig und können sowohl
im Privatleben als auch im Berufsleben verortet wer-
den. Sie treten auf in der Form von Todesfällen, Partnerschafts-
problemen oder schwerer Krankheit. Aber auch der Verlust des
Arbeitsplatzes, Burnout oder eine Mobbingerfahrung können
eine Lebenskrise auslösen. Ist dies für Personalmanager ein
relevantes Thema? Augenscheinlich schon, denn die Leistungs-
fähigkeit betroffener Mitarbeiter lässt regelmäßig nach. Füh-
rungskräfte müssen dann darauf reagieren, aber sie reagieren
oft genug falsch. Schauen wir auf zwei Beispiele:
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Birgit W. hatte gerade ihre Ausbildung bei einer Hannover-
schen Versicherung beendet, als ihr Lebenspartner völlig
überraschend starb. W.s Leben wurde von tiefer Traurigkeit
erfasst, das Lebensziel der Familiengründung war obsolet
geworden. Ihre Konzentrationsfähigkeit sank, und ihre Leis-
tungen ließen nach. Als sich dieser Zustand auch nach meh-
reren Monaten nicht änderte, war die Abteilungsleiterin von
ihrer jungen Mitarbeiterin so enttäuscht, dass sie diese nicht
mehr als High Potential ansah und auch nicht weiter förderte.
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Ähnliches widerfuhr Rainer U. Als Pharmareferent brachte
es U. bis zum Vertriebschef eines rheinland-pfälzischen Un-
ternehmens. Er war einsatzfreudig, strotzte vor Optimismus,
und er hatte Erfolg. In dieser Zeit erhielt er immer wieder
berufliche Angebote von anderen Pharmaunternehmen.
Nachdem U. allerdings wegen Meinungsverschiedenheiten
mit seinemVorgesetzten entlassen worden war und eine tiefe
Krise durchlebte, kam kein einziges Jobangebot mehr. Bei den
Personalchefs galt er als „Gescheiterter“.
Wie ist das Verhalten der Führungskräfte aus den beiden
Beispielen zu beurteilen? Stimmt die Vermutung, dass Le-
benskrisen zu einer bleibenden Beeinträchtigung der Leis­
tungsfähigkeit in dem Sinne führen, dass den Betroffenen
keine anspruchsvolle Position mehr anvertraut werden kann?
Oder ist vielleicht das Gegenteil der Fall? Denn immer wieder
lässt sich beobachten, dass Menschen ihre Lebenskrisen nicht
nur überstehen, sondern in ihren Persönlichkeiten dadurch
wachsen. Sie entwickeln neue Fähigkeiten, die auch für ihren
Beruf wertvoll sind.
Umgang mit Lebenskrisen
Von
Carena Skrabek
(Hochschule Fresenius) und
Prof. Dr. Matthias Graumann
(Hochschule Offenburg)
Genau dies widerfuhr Andreas D., der als Assistent der Ge-
schäftsleitung eines großen Vereins tätig war. D. war am Boden
zerstört, nachdem seine Frau sich unerwartet von ihm getrennt
hatte. Seine Lebensplanung erwies sich als Makulatur. Seine
Leistungen verschlechterten sich, und schließlich schied er frei-
willig aus demUnternehmen aus. Er benötigte noch mehr als ein
Jahr, um die Trennung von Frau und Kind zu verarbeiten. Die Le-
benskrise führte zunächst zu einer spürbaren Beeinträchtigung
seiner Produktivität, ließ ihn schließlich aber auch eine beson-
dere Fähigkeit zur Empathie entwickeln. Diese Fähigkeit hilft
ihm heute als Unternehmensberater, Menschen einfühlsam in
der schwierigen Anfangsphase einer Unternehmensgründung,
in der bei den Gründern zwangsläufig Versagensängste und
Selbstzweifel auftreten, zu begleiten.
Psychologische Entwicklungen wie diese lassen sich unter
den Begriff der Reifung subsumieren. Darunter versteht man
die Summe positiver psychologischer Veränderungen, die als
Folge einer Auseinandersetzung mit belastenden und herausfor-
dernden Lebensereignissen („Krisen“) eintreten (Tedeschi/Cal-
houn, 2004, S. 1). Das Spektrum dieser Veränderungen ist breit.
Es reicht von einem Zuwachs an persönlicher Stärke und Selbst-
vertrauen über den Erwerb neuer Handlungsmöglichkeiten bis
zu einer größeren Authentizität im Umgang mit anderen. Berich-
tet wird auch von einer höheren Bereitschaft zur Selbstöffnung in
Verbindung mit einer veränderten geistigen Sicht auf das Leben,
indem etwa der „Wert der kleinen Dinge“ erkannt wird (Filipp/
Aymanns, 2010, S. 115). Solche Veränderungen sind für Unter-
nehmen interessant, weil die neuen Eigenschaften zu einer Ver-
größerung der beruflichen Leistungsfähigkeit führen können.
In diesem Fall würde die Krise zur Chance. Es lohnt sich daher,
Antworten auf die folgenden beiden Fragen zu suchen:
1) Unter welchen Umständen macht eine Lebenskrise die
persönliche Reifung wahrscheinlich?
2) Welche Implikationen hat das für Führungskräfte im
Unternehmen?
Das Zwei-Prozess-Modell der Entwicklungsregulation
Ausgangspunkt für die Beantwortung der ersten Frage ist die
plausible Annahme, dass die Reifung primär abhängig ist von
der Art und Weise, wie Menschen eine Lebenskrise bewältigen
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