PERSONALquarterly 2/2015 - page 35

02/15 PERSONALquarterly
35
Im Gegensatz dazu werden unter geschlechtsspezifischer Dis-
kriminierung im TM in Anlehnung an die US-amerikanische
Kommission für Chancengleichheit (2013) jene Praktiken defi-
niert, die mit einer Ungleichbehandlung von Talenten aufgrund
des biologischen Geschlechts einhergehen. Personalmanage-
mentpraktiken können eine wichtige Funktion einnehmen,
um die Karrierechancen von Frauen zu verbessern, allerdings
werden diese in der Praxis oft nicht hinreichend geschlechter-
sensibel umgesetzt, sodass sie diskriminierende Effekte zur Fol-
ge haben können, wie z.B. die geschlechtsspezifische Lohnlücke
oder Verzerrungen im Leistungsbeurteilungsprozess (Festing,
Knappert und Kornau, 2014). Dementsprechend wird mithilfe
des Indikators geschlechtsspezifische Diskriminierung unter-
sucht, inwieweit auch TM-Praktiken ein Diskriminierungsrisiko
ABSTRACT
Forschungsfrage:
Unter welchen Bedingungen kann man von genderspezifischen Verzer-
rungen oder geschlechtsspezifischer Diskriminierung im Talent Management sprechen? Gibt
es geschlechtsspezifische Ansätze im Talent Management, und wenn ja, wie unterscheiden
sich diese voneinander?
Methodik:
Vergleichende Fallstudie mit 43 Interviews in der deutschen Medienbranche.
Praktische Implikationen:
Talent Management sollte regelmäßig auf genderspezifische
Verzerrungen oder geschlechtsspezifische Diskriminierung untersucht werden, um eine „Think
talent – think male“-Problematik zu vermeiden.
enthalten und die Wahrscheinlichkeit verringern können, dass
Frauen vom Unternehmen als Talente identifiziert und gefördert
werden. Zusammengefasst geht es demnach um die Frage, inwie-
weit TM-Praktiken stärker stereotype maskuline (oder feminine)
Werte widerspiegeln (genderspezifische Verzerrung) und/oder
ein Diskriminierungspotenzial gegenüber weiblichen Talenten
aufweisen.
Auf Basis der oben eingeführten Indikatoren (Indikator I:
genderspezifische Verzerrungen; Indikator II: geschlechtsspe-
zifische Diskriminierung) werden im Folgenden Annahmen
entwickelt, um einen konzeptionellen Bezugsrahmen für die
Analyse von TM aus Genderperspektive zu spezifizieren. Dazu
werden ausgewählte TM-Charakteristika betrachtet, die in der
Literatur häufig diskutiert werden und eine besondere Rele-
vanz für eine genderspezifische Untersuchung haben. Bei der
gendersensiblen Auswertung der einzelnen TM-Charakteristi-
ka werden aktuelle Forschungsergebnisse und -konzepte aus
der Genderforschung, wie z.B. das „Think manager – think
male”-Phänomen (Schein, 1973), genutzt und auf TM-Praktiken
übertragen.
Die entwickelten Annahmen wurden mithilfe ei-
ner vergleichenden Fallstudienanalyse von zwei Unternehmen
der deutschen Medienbranche untersucht. Um mögliche Un-
terschiede im TM zu identifizieren, wurden – basierend auf
öffentlich zugänglichen Informationen und Vorgesprächen
mit UnternehmensvertreterInnen – zwei Unternehmen ausge-
wählt mit unterschiedlicher Anzahl von Frauen in Führungs-
positionen (der Frauenanteil in Unternehmen A ist höher als
in Unternehmen B). Beide Unternehmen haben ihren Hauptsitz
in Deutschland, verfügen über mehrere Tausend Mitarbeite-
rInnen und setzen umfangreiche TM-Aktivitäten um.
1
Es wurden 6 Interviews mit TM- und HR-Experten sowie 37
Interviews mit Teilnehmenden von Talentförderprogrammen
(20 Frauen, 17 Männer) durchgeführt. Zudem wurden Unter-
nehmensunterlagen (z.B. Evaluierungsbögen) für die Analyse
hinzugezogen. Die semi-strukturierten Interviews beinhalteten
Fragen zum fachlichen Hintergrund, zur Wahrnehmung der TM-
Praktiken im Unternehmen, zur Organisationskultur sowie zu
Maßnahmen der Frauenförderung (Dauer ca. 90 Minuten).
Quelle: Eigene Darstellung
Abb. 1:
Beschreibung der Talentförderprogramme
der Unternehmen A und B
Unter­
nehmen
Art des Förder­
programms
Auswahlmethode Anteil von
Frauen im
Programm
A
Networking Programm Initiativbewerbung Ca. 60%
Mentoring Programm Initiativbewerbung Ca. 60%
Nachwuchskräfteförder­
programm
Nominierung durch
Vorgesetzte, As­
sessment Center
Ca. 30%
B
Networking Programm Nominierung
durch Vorge­
setzte (Auswahl
durch Gremium),
Initiativbewerbung
nur bei Mentoring
Programm für
Frauen
50%
Geschlechter­
quote
Mentoring Programm für
Frauen
Nachwuchskräfte­
förderprogramm
Führungskräfteprogramm
Expertenprogramm (ohne
Führungsverantwortung)
1 Nähere Informationen zu den Unternehmen können aus Gründen der Anonymität nicht gegeben
werden.
1...,25,26,27,28,29,30,31,32,33,34 36,37,38,39,40,41,42,43,44,45,...60
Powered by FlippingBook