PERSONALquarterly 2/2015 - page 57

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Die konkrete Frage, welchen Einfluss CSR auf die Ehrlichkeit
von Mitarbeitern hat, treibt auch Lin-Hi um. „Motivierte und
zufriedene Mitarbeiter bekommt man nicht durch schön klin-
gende Unternehmenswerte“, betont der Forscher. „Es ist das
reale Erleben, das zählt, also die Erfahrung, welche Werte im
unternehmerischen Alltag zur Geltung gebracht werden.“ An-
gelpunkte der Unternehmenskultur sind für ihn deshalb nicht
die hehren Sätze auf Websites und in Hochglanzbroschüren,
sondern die ganzheitliche Übernahme von Verantwortung,
vorbildliches Verhalten der Unternehmensführung und die
Konsistenz zwischen Worten und Taten.
Lin-Hi warnt vor der Hoffnung, einen schnellen Verhaltens­
umschwung durch Vorschriften oder formal definierte Werte
zu erzielen: „Ein Kulturwandel ist immer ein sehr langsamer
Prozess. Aber es lohnt sich, diesen Weg zu gehen, da eine gute
Unternehmenskultur einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil
darstellt.“ Damit steht er nicht in Widerspruch zu den Wirt-
schaftskollegen der Universität Zürich, die ebenfalls informelle
Normen für gewichtig halten.
Kleine Zahl von Versuchspersonen
Einen ganz anderen Blick auf die Schweizer Studie hat Erika
Regnet. Die Professorin, die an der Hochschule Augsburg in
der Fakultät für Wirtschaft das Personalmanagement vertritt,
findet das Studiendesign der Kollegen aus der Universität Zü-
rich interessant. Sie hält es aber für problematisch, „aufgrund
einer so kleinen Zahl von Versuchspersonen einen ganzen Be-
rufsstand schlecht zu machen“.
Über alle Gruppen hinweg zeigen sich rund zehn Prozent be-
sonders Unehrliche. „Das ist ein spannendes Experiment, aber
wohl eher ein Zufallsergebnis“, meint die Hochschullehrerin.
Im Vergleich mit der Gruppe aus anderen Wirtschaftszweigen
könne man aus den Daten sogar schließen, dass Banker grund-
sätzlich ehrlicher sind als der Rest der Bevölkerung.
V. l. n. r.: Prof. Dr. Michel Maréchal (Universität Zürich), Prof. Dr. Nick Lin-Hi (Universität Mannheim),
Prof. Dr. Erika Regnet (Hochschule Augsburg)
Doch solche Verallgemeinerungen scheinen ihr ebenso ge-
wagt wie die Aussage, Banker seien in der Tendenz unehr-
licher im Beruf als Mitarbeiter anderer Branchen. Regnet, die
vor Jahren Leiterin der Personalentwicklung der Kreditanstalt
für Wiederaufbau war und somit Personal- und Bankenpraxis
mitbringt, will den Thesen ihrer Forscherkollegen gar nicht
widersprechen. „Der Vertriebsdruck in den Banken war früher
nicht so hoch, die Kunden waren treuer und der Führungsstil
war sicher weniger strikt“, sagt sie. „Aber Unehrlichkeiten fin-
den sich auch in anderen Branchen. Weitere Studien sind hier
sicher nötig.“
Feldforschung zur Vertiefung der Ergebnisse
Genau die würde Michel Maréchal gerne in Folgeexperimenten
generieren. Er wird dem Thema Unehrlichkeit und Unter-
nehmenskultur treu bleiben – mit Laborsituationen für Ver-
suchsteilnehmer und mit Untersuchungen in Unternehmen.
Feldforschung könnte die Ergebnisse vertiefen, den ersten Auf-
schlag, der vor allem publizistisch breiten Niederschlag fand,
auf eine breitere Basis stellen.
Das Team der Universität Zürich verhandelt gerade mit
Kooperationspartnern unter den Banken, um weitere Experi-
mente durchzuführen. Erneute peppige Schlagzeilen fürchtet
Assistenzprofessor Michel Maréchal nicht. Er ist sicher, dass
als Ergebnis auch bei einer repräsentativen Studie kein simp-
les „Alle Banken und alle Banker sind unehrlich“ herauskäme
– was den Journalisten der Onlineportale dann vielleicht keine
Schlagzeile wert wäre, aber die Unternehmenskultur durch
konkrete Hinweise an Personalmanager und CSR-Verantwort-
liche bewegen könnte.
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