wirtschaft und weiterbildung 7-8/2016 - page 32

personal- und organisationsentwicklung
32
wirtschaft + weiterbildung
07/08_2016
Etwa auf Personalmessen für Maschinen-
bauer. Dort bietet die WGFS eine Alterna-
tive für Messebesucher, die sich fehl am
Platz fühlen. Wenn die Zwei in Mathe für
ein Mechatronik-Studium fehlt, fangen
WGFS-Vertreter die Frustration der Jungs
und Mädels ab. „Wir zeigen den Jugendli-
chen, dass sie gebraucht werden“, berich-
tet die Chefin. Gleichzeitig kooperieren
die Schwaben im Speckgürtel Stuttgarts
mit lokalen Schulen aller Ausrichtungen.
Denn im Zuge der Akademisierung der
Pflege werden auch Abiturienten ge-
braucht, die beispielsweise ein duales
Sozial- oder Pflegestudium absolvieren,
das auch Aspekte wie Betriebswirtschaft,
Arbeitsrecht oder Marketing umfasst.
Über ein Sozialpraktikum im Pflegeheim
während der Schulferien ist der Einstieg
niederschwellig und viele Teenies mer-
ken dabei, dass diese Branche mit ihren
Perspektiven und Ausbildungen für sie
infrage kommt.
Neben Bildungskonzept, Gesundheitsma-
nagement und kreativem Recruiting prägt
eine vierte Komponente die Personal-
strategie des Pflegeunternehmens. Denn
nicht nur betriebliche Rahmenbedingun-
gen bestimmen, wie glücklich Pflegende
sind. Auch die Atmosphäre unter Kolle-
gen, Angehörigen und Bewohnern beein-
flusst die Arbeitsplatzzufriedenheit. Die-
sen Belangen gibt die WGFS Raum.
200 Mitarbeiter, 32 Nationen
Seit zwei Jahren steht Wohlfühlmanage-
rin Ivanna Großgut Mitarbeitern, Klienten
und Angehörigen zur Seite. Die studierte
Sozialpädagogin vermittelt etwa bei Kon-
flikten. Reibungspunkte sind oft man-
gelnde Absprachen oder die Zusammen-
setzung der Teams. Die meisten Probleme
ließen sich mit kleinem Aufwand lösen.
Da in der Pflege Mitarbeiter aus verschie-
denen Ländern arbeiten, sei es wichtig,
Stimmungen und Fehlentwicklungen früh
zu erkennen. Vor allem aber hört die ge-
bürtige Ukrainerin zu. Wenn jemand etwa
die Sorgen mit den Kindern loswerden
will oder über seine Mehrfachbelastung
als Alleinerziehende sprechen muss. Die
Wohlfühlmanagerin macht dabei keine
Unterschiede. Ihre Tür steht für jeden der
200 Pflegenden offen, die bei der WGFS
aktuell aus 32 Ländern kommen. Nach
Geburtsland stellen Rumänien, Polen und
die Philippinen die größten Ethnien, weil
zum Beispiel viele türkische Mitarbeiter
bereits in Deutschland geboren sind.
Mitarbeiter werben Mitarbeiter
in Familie und Freundeskreis
Ein anderer Aspekt ist, wer welche (zu-
sätzliche) Staatszugehörigkeit hat. Hier
lassen sich Netzwerkeffekte nutzbar ma-
chen: Arbeiten etwa ein Ghanese oder
eine Pakistani bei der WGFS, ist die Wahr-
scheinlichkeit groß, dass die Mitarbeiter
weitere Interessenten aus dem Freundes-
kreis oder der Familie mitbringen. Dies
spricht für die Mitarbeiterzufriedenheit,
für die der Arbeitgeber etwa Teament-
wicklungsprozesse moderiert oder be-
triebliches Gesundheitsmanagement im-
plementiert, wie man sie bislang primär
in der Industrie kannte.
2015 starteten bei der WGFS 27 Auszu-
bildende aus 14 verschiedenen Nationen
von drei Kontinenten in den Beruf, zum
Beispiel aus Pakistan, Brasilien und der
Ukraine. Geschäftsführerin Amos-Ziegler,
die Kandidaten Probearbeiten lässt, sieht
dies als Vorteil. „Schließlich kommen
auch immer mehr Migranten ins Pflege-
Alter“, so die Leiterin von drei Senioren-
heimen: „Dafür sind wir gerüstet. Unsere
Mitarbeiter sprechen zahlreiche Sprachen
und bringen ihre Kultur ein.“
Fünf Asylsuchende, deren Deutschkennt-
nisse noch nicht perfekt sind, machen
aktuell die normalerweise einjährige
Ausbildung zum Altenpflegehelfer auf
zwei Jahre verteilt. „Der Sprachkurs ist
in die Ausbildung integriert“, sagt Amos-
Ziegler, was den Spracherwerb und die
soziale Integration massiv beschleunige.
Denn die Teilnehmer sind motiviert und
erleben im Alltag täglich Lernerfolge.
Lobkärtchen und Mentoren
Für ihr Migrationsengagement haben
die Filderstädter 2014 den „Arbeitgeber-
Award“ erhalten. Begründung der Jury:
Die WGFS habe es vorbildlich verstanden,
Vielfalt als Reichtum zu leben. Interkul-
turelles Training findet in den drei Pfle-
geheimen der WGFS quasi täglich statt:
So lernen etwa muslimische Mitarbeite-
rinnen entgegen der Tradition in ihrem
Herkunftsland, Männer von sich aus an-
zusprechen und Blickkontakt zu halten.
Denn das gebiete die Höflichkeit hierzu-
lande, wie die Vorgesetzten in konkreten
Situationen ideologiefrei vermitteln.
Das Ausbildungsjahr beginnt am 1. Sep-
tember mit der Einweisung durch die
Chefin. Am zweiten Arbeitstag findet
das Seminar „Dienstleistungsservice“ mit
externem Trainer statt. Ein Kinästhetik-
seminar schult ausführlich das rücken-
schonende Arbeiten und am Beruflichen
Ausbildungszentrum Esslingen (BAZ)
werden die Azubis über ihre Rechte und
Pflichten unterwiesen.
Alle Neuen in der WGFS erhalten eine
schriftliche Anleitung für ihren Azubi-
alltag. Den „Starterguide“ haben zuvor
ältere Azubis als Jahresprojekt erstellt.
Wertschätzung erhalten und lernen die
Lehrlinge auch über Lobkärtchen und
persönliche Mentoren, die speziell mul-
tikulturelle Themen im Blick haben. Um
die Gemeinschaft zu kultivieren, gibt es
ein gemeinsames Projekt pro Jahr; die
Auszubildenden des Vorjahrs richten eine
Party für die Neuen mit deren Angehöri-
gen aus und bei der Weihnachtsfeier wer-
den jeweils die Jahrgangsbesten (bis Note
2,5) gewürdigt. Für Verbesserungsvor-
schläge können Reisen gewonnen wer-
den und zusätzliches Engagement wird
mit Gutscheinen belohnt.
Ein Cabrio samt Sprit für je drei Monate
winkt Azubis mit einem Notenschnitt
von 2,0 und besser. Nach bestandenen
Prüfungen gibt es Blumen und ein Essen
inklusive kultureller Veranstaltung mit
der Geschäftsleitung. All diese Anreize
dienen dem Ziel, für die Neuen die Phi-
losophie des Hauses spürbar werden
zu lassen. Im Leitbild ist die Liebe das
oberste Gebot, gültig für alle Menschen,
unabhängig von Religion, Rasse oder
Weltanschauung.
Die 134 Bewohner der Seniorenresiden-
zen reagieren laut Amos-Ziegler positiv
auf die Kulturvielfalt. „Im Pflege-Alltag
geht es um Freundlichkeit, Geduld und
Zeit“, weiß die WGFS-Gründerin. Sie be-
obachte immer wieder, dass Mitarbeiter
mit Migrationshintergrund diese Eigen-
schaften zu 100 Prozent leben, weil in
deren Heimat dem Alter besondere Wert-
schätzung entgegengebracht wird.
Ronja Gysin
R
1...,22,23,24,25,26,27,28,29,30,31 33,34,35,36,37,38,39,40,41,42,...68
Powered by FlippingBook