wirtschaft und weiterbildung 7-8/2016 - page 29

wirtschaft + weiterbildung
07/08_2016
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„Als Intrapreneur zu handeln will gelernt sein“
Der Großteil der Studienteilnehmer schätzt ihre
Organisation bereits heute als selbstorganisierend ein.
Das klingt doch ziemlich fortschrittlich, oder?
Marion Festing:
Es handelt sich hier um keine absolute
Aussage, die Teilnehmer schätzen ihr Unternehmen eher
als „selbstorganisierend“ statt als „gesteuert“ ein. Dies
zeigt auch das Bild, das sich ergibt, wenn man die Unter-
nehmen im Haufe-Quadranten abbildet. Sie verorten sich in
Richtung Mittelpunkt und es besteht auf jeden Fall Verbes-
serungspotenzial hin zu einem selbstorganisierten Unter-
nehmen.
... etwa, wenn es um die Eigenverantwortung der
Mitarbeiter geht: Hier sehen die Befragten noch
deutliches Verbesserungspotenzial. Gleichzeitig wollen
die meisten Mitarbeiter aber mehr Mitbestimmung und
Gestaltungsfreiheit. Wie passt das zusammen?
Festing:
Eigenverantwortung, selbständiges Arbeiten
sowie Motivation der Mitarbeiter sind in der Tat Vorausset-
zungen dafür, dass Unternehmen mit einer selbstorgani-
sierten Organisationsform erfolgreich sind. Allerdings soll-
ten Unternehmen, die eine Selbstorganisation anstreben,
ihre Mitarbeiter durch Personalentwicklungsmaßnahmen
unterstützen, denn im Sinne eines Intrapreneurs – einem
Unternehmer im Unternehmen – zu handeln, will erst ein-
mal gelernt sein. Zudem ist nicht nur die Rolle der Mitar-
beiter entscheidend, sondern auch das Organisations­
design. Unternehmen sollten über entsprechende Struk-
turen und Prozesse verfügen, um die Mitbestimmung und
Gestaltungsfreiheit der Mitarbeiter zu fördern. Auch sollte
die Unternehmenskultur entsprechend gestaltet sein, bei-
spielsweise im Hinblick auf Fehlertoleranz und flache Hie­
rarchien, um Selbstorganisation zuzulassen und zu fördern.
Sie verorten die meisten teilnehmenden Unternehmen
in der Kategorie „agile Netzwerkorganisation“. Halten
Sie das für realistisch? Oder liegt es vielleicht auch
daran, dass „Agilität“ oft uneinheitlich definiert wird?
Festing:
Agilität ist im Moment ein Trendbegriff und wird
in der Tat sehr unterschiedlich verstanden. Für uns ist ein
„agiles Netzwerk“ ein Unternehmen, in dem Selbstorgani-
sation vorherrscht und Mitarbeiter als Gestalter tätig sind.
In unserer Studie haben die Studienteilnehmer in diesem
Zusammenhang ihr Unternehmen anhand folgender Berei-
Interview.
In der Studie von Haufe Akademie und ESCP Europe bezeichnen die meisten
Befragten ihr Unternehmen schon jetzt als selbstgesteuert. Studienautorin Professor Marion
Festing, ESCP Europe, gibt ihre Einschätzung zum Status quo agiler Organisationsformen in
deutschen Unternehmen und nennt Voraussetzungen für deren Gelingen.
che eingeschätzt: Zentralisierung versus Dezentralisierung,
zeitliche Verfügbarkeit, Formalisierungs- und Bürokratie­
grad, Führung und Delegation, Autonomie und Selbstbe-
stimmung, Partizipation, Unternehmenskultur und Manage-
menttools. Zudem haben die Teilnehmer eine Einschätzung
für die Mitarbeiter ihres Unternehmens vorgenommen
bezüglich Eigenschaften der Führungskräfte, Verantwort-
lichkeit und Entschlossenheit der Mitarbeiter, Motivation
und Intrapreneurship-Potenziale. So kommt dem Begriff
„Agilität“ im Rahmen dieser Studie eine vielschichtige, aber
konkrete Bedeutung zu.
Was denken Sie: Ist das agile Unternehmen die Organi-
sationsform der Zukunft – oder gibt es auch Unterneh-
men oder Unternehmensbereiche, in denen diese Orga-
nisationsform gar nicht oder nur schwer funktioniert?
Festing:
Wir können keine Prognose für die Zukunft abge-
ben. Im Rahmen der Studie haben wir die Teilnehmer
gefragt, wie das Organisationsdesign aussehen sollte und
wie die Rolle der Mitarbeiter erwartet wird. Die Ergebnisse
zeigen, dass die Organisationsform des agilen Netzwerks
von den Studienteilnehmern als Ideal betrachtet wird. Ob
sich diese Organisationsform allerdings in Unternehmen
durchsetzen wird, können wir nur schwer sagen, da es auch
Bereiche gibt, in denen diese Organisationsform nur schwer
funktioniert – beispielsweise in der Massenfertigung.
Interview: Andrea Sattler
Prof. Dr. Marion
Festing
ist Lehr-
stuhlinhaberin für
Personalmanage-
ment und Interkul-
turelle Führung an
der ESCP Berlin.
Foto: ESCP Europe
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