wirtschaft und weiterbildung 7-8/2016 - page 20

titelthema
20
wirtschaft + weiterbildung
07/08_2016
04.
...
wie man ohne Stress, aber
möglichst schnell viele neue
Ideen
produzieren kann.
05.
... wie der
Lösungsfokus
zu
einem neuen Beratungsansatz
werden kann.
06.
... was hinter dem Begriff
systemische Haltung“
alles
steckt.
R
klassische Hierarchie wird abgeschafft
und die Macht auf alle verteilt. Das Sagen
haben nicht mehr Leute mit Titeln, son-
dern sogenante „Rollen“.
Jeder Mitarbeiter übernimmt eine oder
mehrere Rollen. Die Rollen werden je
nach Aufgabengebiet zu Kreisen zusam-
mengefasst, die sich selbst organisieren.
Jeder Kreis hat ein Ziel. Jeder Kreis wählt
Vertreter in „benachbarte“ Kreise oder in
hierarchisch höher oder tiefer stehende
Kreise. Diese Vertreter geben aktuelle
Informationen aus dem Kreis, aus dem
sie kommen, weiter und vertreten ihre
Interessen in den Kreisen, die sie besu-
chen. Sie sind an allen Entscheidungen
gleichberechtigt beteiligt. Die Kreise sind
zwar autonom, aber ihre Entscheidungen
dürfen nicht völlig unabhängig von an-
deren fallen. Motto: Keine Zelle darf dem
ganzen Körper schaden.
Damit das wirklich gewährleistet ist und
die ganze Organisation nicht im Chaos
versinkt, gibt es ein Regelwerk
as genau
festlegt, wie zum Beispiel in den „Krei-
sen“ diskutiert und entschieden wird. Die
Kreise suchen nicht lange nach einem
Optimum. „Gut genug reicht“, heißt eine
Entscheidungsregel. Grundsätzlich fällt
eine Entscheidung immer dann, wenn
in einer Diskussion keiner mehr einen
„wichtigen Einwand“ gegen einen Vor-
schlag vorbringen kann. Für die Art der
Diskussion gibt es sehr rigide Vorgaben
wer wann das Wort ergreifen darf. Also:
Zuerst redet der Antragsteller, dann gibt
es Verständnisfragen, dann sind alle An-
wesenden mit einer Meinungsäußerung
dran, dann macht der Antragsteller einen
verbesserten Vorschlag, dann kommt die
Frage nach letzten gravierenden Einwän-
den, dann Abstimmung. Die disziplinierte
Einhaltung der Kommunikationsregeln
soll von einem Facilitator überwacht wer-
den. Wie hoch der Schulungsaufwand ist,
damit die diversen Meeting-Formate be-
herrscht werden, war aus dem Buch nicht
herauszulesen. Er dürfte aber erheblich
sein. Für Moderatoren und Kommunika-
tionstrainer lohnt es sich, die auf Schnel-
ligkeit und Klarheit getrimmte Kommuni-
kation in einem Holacracy-Unternehmen
zu studieren – unabhängig davon, ob
man mit dem Organisationsdesign etwas
anfangen kann oder nicht. In allen Be-
sprechungen soll die Aufmerksamkeit
auch auf möglichen „Spannungen“ zwi-
schen den Mitarbeitern liegen. Robertson
will verhindern, dass Konflikte, die sich
aus den Entscheidungsprozessen heraus
ergeben können, sich zu Dauerfehden
auswachsen. Wichtigstes Referenzunter-
nehmen, das Holacracy einführte, ist der
amerikanische Onlinehändler Zappos mit
über 1.500 Mitarbeitern. Im Zuge der Um-
stellung sollen rund 30 Prozent der Mitar-
beiter spontan gekündigt haben, weil sie
Probleme mit ihren Rollen hatten.
Holacracy erinnert an „post-bürokratische
Organisationskonzepte“, die vor über
zehn Jahren die Diskussion bestimmten.
Sie sollten den Abbau hierarchischer und
disziplinärer Schranken innerhalb von
Organisationen einleiten. Und diese Kon-
zepte sollten den Informationsaustausch
(damals via Intranet) vereinfachen und
die Flexibilität einer Organisation erhö-
hen. Ob Holacracy mehr Erfolg haben
wird, ist noch völlig offen. Robertsons
selbst ist von seinem System aber so
überzeugt, dass er es wie ein Heilsver-
sprechen verkauft. Sein Dogmatismus,
mit dem er seine Erfindung zum „einzig
richtigen Weg“ hochstilisiert, dürfte der
Sache mehr schaden als nutzen.
Ab jetzt immer ohne Chef?
Seit im März das Buch „Holacracy“ auch
auf Deutsch erschienen ist und gleich auf
Platz zwei im Amazon-Bestseller-Ranking
zum Thema „Organisationsmanagement“
landete, gilt Holacracy bei Trainern und
Beratern endgültig als „das“ Trendthema.
Also sollte man dieses Buch schon alleine
deshalb durcharbeiten, weil die Kunden
es lesen.
Holacracy (altgriechisch: Herrschaft für
alle) wurde von Brian Robertson, einem
Informatiker aus Philadelphia (USA), in
der von ihm gegründeten Ternary Soft-
ware Corporation entwickelt. Dieses „re-
volutionäre Managementsystem“ versteht
sich als ein „Betriebssystem“, das die Or-
ganisation in den Mittelpunkt stellt. Die
Brian J. Robertson:
Holacracy: Ein revolutionäres Manage-
ment-System für eine volatile Welt,
Verlag Franz Vahlen, München,
März 2016, 205 Seiten,
24,90 Euro
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