wirtschaft und weiterbildung 7-8/2016 - page 15

wirtschaft + weiterbildung
07/08_2016
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Foto: Axel Schulten
Mobbing. Der analytische Erzählstrang des Buchs „Unsicht­
bare Wunden“ basiert auf sehr vielen Interviews mit Experten
und auf der Auseinandersetzung mit der entsprechenden Fach­
literatur – von der Trauma-Psychologie bis hin zu rechtlichen
Fragen. Ohne viel nachdenken zu müssen, lässt sich aus dem
analytischen Erzählstrang ableiten, wie Mobbing auch in den
Wirtschaftsunternehmen funktioniert.
Know-how der Gruppendynamik hilft
Erfahrene Personaler werden sich in ihrer Forderung bestätigt
sehen, dass alle, die eine Führungsfunktion übernehmen sol­
len, zuerst einmal ein Gruppendynamikseminar durchlaufen
sollten. Denn Mobbing hat laut Frank ausschließlich etwas mit
einer bestimmten Dynamik in einer Gruppe zu tun, wenn nor­
male Rangordnungskämpfe aus dem Ruder laufen. Frank ist
sich sicher: Mobber sind Gruppenmitglieder, die mit der ihnen
zugewiesenen Position nicht zufrieden sind, die nach mehr
Anerkennung beziehungsweise nach einem stärkeren persön­
lichen Verbundenheitsgefühl mit der restlichen Gruppe stre­
ben. Die Täter zeichnen sich durch ein unzureichendes Selbst­
wertgefühl aus. Indem sie andere in ihrer Stellung degradieren,
erhöhen sie ihre eigene Position innerhalb der Gruppe. Dabei
verfügen sie über ein enormes Maß an sozialer Intelligenz:
Sie erkennen die jeweiligen Schwächen anderer und verste­
hen es, die Gruppenmitglieder zu manipulieren. Autoritätsper­
sonen gegenüber verhalten sie sich häufig besonders höflich
und freundlich. Ihre Angriffe finden im Verborgenen statt und
bleiben in der Regel unbemerkt.
Auf ihrer Homepage
ietet
Frank zusätzliche Hintergrundinformationen und Materialien
an, mit denen sich auch im betrieblichen Kontext arbeiten
lässt. So kommt es laut Frank entscheidend darauf an, wie
sich die „schweigende Mehrheit“ gegenüber einem Außensei­
ter verhält. Verteidigt sie ihn, bleibt sie neutral oder schließt sie
sich nach und nach der vom Täter vorgegebenen Sichtweise
an? Fazit: Mobbing beginnt nicht beim Opfer. Nicht die indivi­
duellen Eigenschaften eines potenziellen Opfers sind entschei­
dend, sondern das Bedürfnis des Täters nach Bestätigung. Jede
„Schwäche“ oder von der Masse abweichende Charaktereigen­
schaft kann zum Grund für Mobbing deklariert werden.
Man merkt dem Buch „Unsichtbare Wunden“ an, dass die Au­
torin Romane überzeugend konstruieren kann. Um den Lesern
etwas Positives mit auf den Weg zu geben, hat sie die Figur
des Anton erfunden. Das ist ein Klassenkamerad von Anna,
der schon länger als diese die Rolle eines Außenseiters inne­
hat. Anton lässt sich davon aber nicht beschädigen. Er zeigt
vorbildlich, wie man sich vor Mobbing schützen kann, wenn
einem sonst keiner hilft. Eine Möglichkeit ist, dass man sich
Rückhalt außerhalb der Schule sucht – zum Beispiel überall
dort, wo es Menschen gibt, die einem etwas zutrauen.
Martin Pichler
Astrid Frank.
Die Autorin hat im Februar
2016 das Buch „Unsichtbare Wunden“
veröffentlicht (Verlag Urachhaus,
288 Seiten, 15,90 Euro).
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