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wirtschaft + weiterbildung
07/08_2016
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nung, wenn sie verletzt werden. Und
dann sind emotionale Reaktionen ganz
normal, denn Mitarbeiter binden sich
vor allem aufgrund einer bestimmten Un-
ternehmenskultur an ein Unternehmen
und verbinden sich mit dem Unterneh-
men über ihre eigene Identität. Es gehört
stark zu unserem Selbstverständnis, was
und für wen wir arbeiten. Wir definie-
ren unser Selbstbild stark darüber. Wenn
nun jemand die Kultur verletzt oder in-
frage stellt, dann erleben Mitarbeiter das
als Angriff gegen sich selbst, gegen ihre
eigene Identität. Deshalb reagieren sie
emotional, vor allem auf Veränderungs-
vorhaben oder neue Projektideen, die die
bestehende Ordnung infrage stellen. Un-
ternehmenskulturen wirken stets bewah-
rend, so innovativ sie auch sein mögen
– eine schöne Paradoxie.
Die teilnehmende Beobachtung ist die
wirksamste und effizienteste Methode,
um Unternehmenskulturen zu erfassen.
Weit anschlussfähiger scheinen allerdings
Interviews zu sein, die ich auch für einen
guten Weg halte, sich der Unternehmens-
kultur zu nähern. Die Hauptkritik daran
ist schnell formuliert: Interaktionen zwi-
schen den Akteuren und Muster können
im Interview nicht direkt beobachtet wer-
den. Es kann aber sehr gut erfasst wer-
den, wie eine Person die Organisation auf
kulturelle Phänomene hin beobachtet.
Werden die Interviews teilstrukturiert
und ungestützt geführt, das heißt, fragen
die Interviewer offen, sodass jedwede
Antworten zu erwarten sind, lassen sich
schon mit wenigen Interviews die typi-
schen Phänomene und Themencluster
herausarbeiten. Vorteil dieser offenen
und teilstrukturierten Interviews ist, dass
die Interviewer von Interview zu Inter-
view dazulernen und bereits bekannte
Phänomene weiter hinterfragen können.
Es werden also nicht in jedem Interview
unbedingt dieselben Fragen gestellt. Und
eigentlich geht das Gespräch auch erst so
richtig los, nachdem eine Frage gestellt
wurde. Denn dann heißt es hinterfragen,
weiterbohren, so konkret wie möglich auf
beobachtbares Verhalten hin fragen. Und
vor allem auch hier in Kreisen denken,
nach den Folgen und Auswirkungen fra-
gen sowie nach den Bedingungen, den
Auslösern für ein bestimmtes Verhalten.
So nähern sich die Interviewer den Mus-
tern des Miteinanders.
Es gibt zehn Fragen, die sich sehr gut eig-
nen, um kulturelle Spielregeln zu erfor-
schen:
• Wie ist es denn so, bei X (Name des
Unternehmens) zu arbeiten? Und
woran kann man das merken, dass das
so ist und nicht anders? Was ist eine
typische Situation, die zeigt, wie es bei
der Firma X so ist?
• Erinnern Sie sich noch an Ihre ersten
Arbeitstage hier? Was hat Sie über-
rascht? Was hätten Sie anders erwartet?
• Was muss man hier tun, um einen
guten Stand bei den Kollegen zu
haben?
• Wie kann man die Kollegen am ehesten
gegen sich aufbringen?
• Was muss man hier tun, um ein hohes
Ansehen beim Chef zu genießen?
• Was muss man hier tun, um sich un-
möglich zu machen oder sogar rauszu-
fliegen?
• In welche Fettnäpfchen sollte man hier
lieber nicht treten?
• Gab es Kollegen, die die Probezeit nicht
überstanden haben? Warum haben sie
das Unternehmen verlassen?
• Wer sollte sich besser nicht bei X be-
werben? Wieso nicht? Was würde denn
sonst passieren?
• Wenn Sie vorhätten, bis zur Rente bei X
zu arbeiten, wie ginge das?
Noch ein Wort zu Fragebogen: Häufig
werden standardisierte Mitarbeiterbefra-
gungen empfohlen, wenn man die Unter-
nehmenskultur an vorher festgelegten Di-
mensionen entlang erheben will. Diesen
Aufwand kann man sich jedoch sparen.
Denn wer vorher festlegt, was er finden
möchte, findet selbstverständlich auch
nur die selbst versteckten Ostereier. Der
Individualität einer jeden Unternehmens-
kultur kann so jedenfalls nicht begegnet
werden.
Besser über Bande spielen
Wer meint, er könne durch gezielte Inter-
ventionen Unternehmenskulturen in eine
gewünschte Form bringen, wird schei-
tern. Denn Unternehmenskulturen be-
ziehen sich immer auf die Vergangenheit.
Sie folgen der formalen Unternehmens-
struktur wie ein Schatten. Niemand hat
darüber entschieden, welche Kultur ein
Unternehmen hat, oder könnte entschei-
den, welche Kultur es in Zukunft haben
wird. Unternehmenskulturen entwickeln
sich von selbst, sozusagen hinter dem Rü-
cken der Akteure. Unternehmenskulturen
sind nicht per Anordnung zu verändern,
sie lassen sich nicht beschließen. Das
Ende der Kontrollideen über die Kultur
soll aber nicht das Ende der Interventi-
onsversuche sein.
Auch wenn sich Unternehmenskultu-
ren nicht instruktiv verändern lassen,
so lassen sie sich dennoch beeinflussen,
allerdings indirekt ... über Bande. Wer
unbedingt will, kann auch weiterhin von
Steuerung der Unternehmenskultur spre-
chen, sollte dafür jedoch einen neuen
Steuerungsbegriff verwenden. Statt Steu-
erung an einem zu erreichenden Ziel
mit einem fest definierten Plan mit kal-
kulierbaren Folgen festzumachen, sollte
es darum gehen, dass man aufmerksam
beobachtet, was im Unternehmen pas-
siert, um dann Stück für Stück an klei-
nen Differenzminderungen zwischen
dem, was passiert, und dem, wohin die
Reise gehen soll, zu arbeiten. Ein guter
Ansatz ist jedenfalls, Unternehmenskul-
turen über Bande anzuspielen. Gemeint
ist, Unternehmenskulturen indirekt zu
beeinflussen, indem formale (entscheid-
bare) Strukturen verändert werden, wie
Programme, Kommunikationswege oder
Personen. Jede Veränderung auf perso-
neller Ebene, in der programmatischen
Christina
Grubendorfer,
Diplom-Psycholo-
gin, ist Geschäfts-
führerin der LEA
Leadership Equity Association GmbH.
Sie arbeitet seit 20 Jahren als systemi-
sche Organisationsberaterin und führt
in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Fritz
B. Simon und Simon, Weber & Friends
systemische Beraterqualifizierungen
durch. Ihr Arbeitsschwerpunkt: Trans-
formationsprozesse in den Themen
Führung, Markenstrategie, Kultur.
LEA Leadership Equity
Association GmbH
Kurfürstendamm 190-192
10707 Berlin
Tel. 030 700159630
AUTORIN
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