personal- und organisationsentwicklung
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wirtschaft + weiterbildung
11/12_2016
wird. Macht funktioniert immer noch
genauso. Menschen sind Menschen und
menschliche Psychologie funktioniert
genauso wie immer und zwar über alle
Kulturen hinweg, weil wir nun mal so
veranlagt sind, uns in einer bestimmten
Weise zu verhalten. Dazu gibt es unzäh-
lige empirisch belegte Beispiele. Nehmen
Sie zum Beispiel das Konzept der morali-
schen Lizensierung.
Was steckt dahinter?
Pfeffer:
Wenn Menschen sich einmal
ethisch oder moralisch verhalten haben,
fühlen sie sich danach freier, sich unmo-
ralisch und unethisch zu verhalten. Das
ist so was wie ein Ablasshandel, der viel-
fach empirisch belegt ist. Es ist also kein
Zufall, dass gerade die größten Heuch-
ler und die schlimmsten Führungskräfte
manchmal eine große Reputation als be-
sonders gute Führungskraft haben und
viel über gute Führung schreiben oder
sogar dazu lehren. Das bietet ihnen quasi
den Schutz, in Wirklichkeit völlig anders
agieren zu können.
Also sollte man ihnen lieber nicht glau-
ben?
Pfeffer:
Reden ist oft ein Ersatz für die
Realität. Und es scheint tatsächlich einen
negativen Zusammenhang zwischen den
Aktivitäten einer Führungskraft in der
Leadership-Branche und ihrem tatsächli-
chen Führungsverhalten zu geben. Denn
zu der moralischen Lizensierung kommt
noch ein anderer psychologischer Pro-
zess. Menschen produzieren Bücher und
halten Vorträge, um von ihrem wahren
Verhalten abzulenken. Je schlechter ihr
wirkliches Führungsverhalten ist, desto
größer ist ihr Bedürfnis, sich bei solchen
Aktivitäten zu engagieren. Das ist eben
genauso wie bei Unternehmen, die damit
werben, wie umweltfreundlich sie sind,
in Wirklichkeit aber zu den größten Um-
weltsündern gehören.
Was könnte denn die Leadership-Bran-
che anders machen?
Pfeffer:
Man muss den Menschen er-
klären, wie Menschen ticken und wie
menschliches Verhalten funktioniert. Und
man muss sie anleiten, viel genauer hin-
zuschauen. Jeder, der eine Firma kaufen
will und nicht völlig dumm ist, schaut
sich das Unternehmen doch genau an.
Seltsamerweise ist das bei Managern
nicht der Fall. Je heroischer und weniger
plausibel ihre Geschichten sind, umso
eher werden sie geglaubt, ohne sie in ir-
gendeiner Weise zu überprüfen. Machen
Sie doch den Test. Suchen Sie sich irgend-
einen Manager, von dem Sie viele wun-
derbare Geschichten gehört haben. Neh-
men Sie sich eine halbe Stunde Zeit und
recherchieren einmal, ob das alles stim-
men kann. Schauen Sie nach, was Sie in
den Arbeitgeber-Bewertungsportalen fin-
den, was andere Manager über ihn oder
sie gesagt haben. Nutzen Sie möglichst
viele Quellen und überprüfen Sie die In-
formationen soweit wie möglich – so wie
es ein Personalmanager bei einem künfti-
gen Mitarbeiter machen würde.
Wir müssen also alle viel misstrauischer
sein?
Pfeffer:
Auf jeden Fall. Menschen glauben
gern, dass sie besser als die anderen sind
und nicht betrogen werden. Und sie wol-
len geschätzt werden. Sie sind der irrigen
Überzeugung, wenn sie sich engagieren
und hart arbeiten, wird das Unternehmen
das auch belohnen. Aber das passiert
eben meist nicht. Jedes Unternehmen
versucht, so viel wie möglich aus seinen
Mitarbeitern herauszuholen.
Also nur noch Dienst nach Vorschrift?
Pfeffer:
Nein, man muss sich schon für
ein Unternehmen verpflichten, aber man
muss gleichzeitig die Augen offen halten,
mehr auf sich selbst achten und letztlich
das machen, was die Führungsspitze
macht. Die kümmert sich auch in erster
Linie um ihr Wohl und die Erhaltung
ihrer Machtposition.
Aber in letzter Zeit wird doch verstärkt
betont, wie wichtig heute Vertrauen für
den Erfolg eines Unternehmens ist …
Pfeffer:
Vertrauen ist wichtig, aber im
Arbeitsleben auch sehr gefährlich. Ich
erinnere mich an einen ehemaligen Stu-
denten, der ein erfolgreiches Technologie-
Unternehmen gegründet hat und dabei
von Investoren aus dem Silicon Valley
unterstützt wurde. Dann wurde er plötz-
lich aus seiner eigenen Firma gefeuert.
Forciert wurde das ausgerechnet von der
Frau, die ihn als Mentorin beim Aufbau
der Firma unterstützt hatte. Sie hatte ein-
fach gelernt, wie sie gute Beziehungen
zu ihrem Vorteil ausnützt und war damit
finanziell sehr erfolgreich. Ihr Verhalten
war nicht gegen den Gründer persönlich
gerichtet, es war einfach ihre bewährte
Arbeitsweise. Und hier liegt doch die ei-
gentliche Dramatik. Viele sehr talentierte
und kompetente Mitarbeiter ruinieren
ihre Karriere oder verlieren sogar ihren
Job, weil sie nicht wissen, wie diese Me-
chanismen funktionieren. Wenn ich zum
Mars fliegen will, muss ich Physik verste-
hen. Wenn ich Führung verstehen will,
muss ich wissen, wie menschliches Ver-
halten funktioniert.
Also muss ich fies sein, um erfolgreich
zu sein?
Pfeffer:
Natürlich. Und manchmal muss
eine Führungskraft auch schlechte Sa-
chen tun, um das Unternehmen auf Kurs
zu halten. Ein CEO sagte mir einmal,
wenn ich gemocht werden will, dann
schaffe ich mir einen Hund an. Der we-
delt immer mit dem Schwanz. Leadership
heißt nicht unbedingt, geliebt zu werden.
Wenn Manager scheitern, werden sie oft-
mals auch noch dafür belohnt mit einer
hohen Abfindung oder einem neuen Job.
Wie erklären Sie das?
Pfeffer:
Das ist leider richtig. Versagen
wird fast nie sanktioniert. Im Gegenteil.
Das liegt eben oft auch daran, dass die
Verantwortlichen nicht zugeben wollen,
dass sie bei der Auswahl eines Managers
einen Fehler gemacht haben.
Interview: Bärbel Schwertfeger
R
„Seminar-Anbieter wollen uns weismachen, dass
erfolgreiche Manager bescheiden, aufrichtig
und authentisch sein müssen. Doch was diese
Laienprediger erzählen, sind nur Mythen.“