wirtschaft und weiterbildung 11-12/2016 - page 30

personal- und organisationsentwicklung
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wirtschaft + weiterbildung
11/12_2016
Beispiel aus der Praxis: Viele Unterneh-
men starten agile Veränderungsprozesse
in ihren IT-Bereichen. Nach einiger Zeit
stellt sich die Frage, ob Agilität nur auf
Projekt- oder Produktentwicklungsebene
verstanden werden sollte oder doch auch
für weitere Bereiche der Organisation.
Spätestens dann hilft es, eine gemein-
same Vorstellung davon zu entwickeln,
wie mit der „Agilität“ des Unternehmens
umgegangen werden soll.
2. Dimension:
Entwicklung kunden­
orientierter Organisationsstrukturen
Unternehmen benötigen Organisations-
strukturen, die Anpassungsfähigkeit er-
möglichen und fördern. Während in tradi-
tionellen Organisationen in „Pyramiden“
und „Silos“ gedacht und gearbeitet wird,
sehen wir in agilen Organisationen eine
deutliche Ausrichtung auf den Kunden. In
der Praxis entwickeln agile Organisatio-
nen netzwerkartige Strukturen oder brin-
gen die Ablauforganisation mithilfe von
cross-funktionalen Teams in Richtung
Kunde ins Zentrum des Denkens und
Handelns. Die Aufbauorganisation rückt
in den Hintergrund, weil dort keine un-
mittelbare Wertschöpfung stattfindet. Sie
wird nun als Befähiger der Ablauforgani-
sation verstanden. Dies setzt in der Praxis
aber ein großes Umdenken im Selbstver-
ständnis und der Haltung der Linienfüh-
rungskräfte voraus.
3. Dimension:
Einführen iterativer
Prozesslandschaften
Bisher ist es in traditionellen Organisati-
onen üblich, Projekte und Produkte was-
serfallartig zu planen. Fünf-Jahrespläne
führen zu „erzwungenen Lügen“, weil
noch keiner weiß, was wirklich passieren
wird. Es wird viel Zeit auf das Planen und
Konzipieren verwendet, bis schließlich
nach Monaten erste Ergebnisse präsen-
tiert werden. In agilen Organisationen
sehen wir bei den Prozessen den Kunden
an zentraler Position.
Um die Kundenbedürfnisse möglichst
rasch bedienen zu können, setzen agile
Unternehmen auf ein iteratives, also er-
fahrungsorientiertes Vorgehen und das
Liefern in Inkrementen, also kurzfristi-
gen Ergebnissen. Hierfür nutzen sie häu-
fig Vorgehensmodelle wie zum Beispiel
Scrum. Dadurch können dem Kunden
sehr schnell angemessene Ergebnisse
präsentiert werden. Die Teams arbeiten
so eng am Kunden, dass ein entspre-
chend hoher Grad an Selbstverpflich-
tung herrscht, sodass sie sich gegenüber
dem Kunden als ergebnisverantwortlich
zeigen. Dies führt zu einer ausgeprägten
Selbstverantwortung der Mitarbeiter.
4. Dimension:
Mitarbeiterzentriertes
Führungsverständnis
In den traditionellen Organisationen ar-
beiten die Mitarbeiter für die funktiona-
len Führungskräfte. Diese sind als ausge-
bildete Experten häufig der Engpass und
erzeugen oftmals über Vorgaben Druck,
um Ergebnisse zu erzielen. In agilen Or-
ganisationen ändert sich die Rolle der
Führungskräfte komplett und damit auch
die Anforderung an deren Kompetenzen
und Haltungen. Die Führungskraft stellt
sich in den Dienst der Teams, um zusam-
men schneller Nutzen für den Kunden
zu schaffen. Dieses „sich-in-den-Dienst-
Stellen“ wird auch als das Prinzip des
„Servant Leadership“ bezeichnet. Die
Führungskraft will damit den Reifegrad
der Mitarbeiter erhöhen, um den Teams
weitere Verantwortung übertragen zu
können. Damit wiederum können die
Kundenbedürfnisse entsprechend besser
bedient werden.
Das Führungsverständnis in agilen Un-
ternehmen ist von einer anderen Haltung
der Führungskräfte geprägt als bisher.
Hier zeigt sich in der Praxis häufig, ob
Agilität nur ein Modewort in den Unter-
nehmen ist oder ob die Prinzipien und
Werte verinnerlicht worden sind.
5. Dimension:
Implementierung agiler
Personal- und Führungsinstrumente
In traditionellen Organisationen wird HR
oftmals als reiner Administrator wahrge-
nommen. HR steht weit weg vom echten
Geschäftsleben und gilt sogar als Ver-
hinderer von Agilität. Wenn sich aber
das Führungsverständnis verändern soll,
benötigen Unternehmen andere Perso-
nal- und Führungsinstrumente: In agilen
Organisationen übertragen nicht nur Füh-
rungskräfte Verantwortung und Aufgaben
zunehmend in die cross-funktionalen
Teams, auch die HR-Bereiche treiben den
Prozess voran. Dies kann zum Beispiel
die vollständige Übertragung der Verant-
wortung für die Entwicklung der Mitar-
beiter (in Form von „Peer Feedback“)
oder auch eine Verantwortungsübergabe
in Recruiting-Prozessen sein. Die Mitar-
beiter werden dafür stärker in die HR-
Prozesse eingebunden, passend zur vor-
herrschenden ausgeprägten Feedbackkul-
tur. Das bedeutet, dass HR im Dialog mit
Mitarbeitern und Führungskräften arbei-
tet und mit einem klaren Kundennutzen
Werte schafft. HR ist der entscheidende
Katalysator agiler Transformation. Ohne
HR werden agile Transformationen schei-
tern. Leider sind in der Praxis die wenigs-
ten Bereiche dafür aufgestellt.
6. Dimension:
Das Leben einer agilen
Unternehmenskultur
Die Kultur der traditionellen Organisa-
tionen verhindert häufig ein höheres
Maß an Agilität. Absicherungsmecha-
nismen, Monologe, enge Regeln, viele
standardisierte Vorgaben oder wenig
Entscheidungsfreiheiten für Mitarbeiter
sind Elemente solcher Kulturen. Agile
Organisationskulturen sind geprägt von
Transparenz, Dialog, einer Haltung des
Vertrauens sowie von kurzfristigen Feed-
backmechanismen. Diese Merkmale zei-
gen sich auch darin, dass eine proaktive
Wissensweitergabe erfolgt und offen und
konstruktiv mit Fehlern umgegangen
wird. Viele bisherige Statussymbole wer-
den unwichtiger, weil auf Augenhöhe ge-
handelt wird. Agile Organisationen haben
eine Kultur, die Veränderungen willkom-
men heißt. Dies ermöglicht eine deutlich
schnellere Anpassung der Organisation
an neue Rahmenbedingungen, was ein
elementarer Wettbewerbsvorteil der Zu-
kunft sein wird.
Idealerweise gelingt es den Unternehmen,
die Veränderungen in diesen sechs Di-
mensionen des Trafo-Modells in Einklang
R
„Das Grundprinzip ist: Schnelles und richtiges Anpassen
fördert die Wettbewerbsfähigkeit!“
Häusling / Fischer
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