wirtschaft und weiterbildung 11-12/2016 - page 21

wirtschaft + weiterbildung
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den Klienten mittels lernpsychologischer
Methoden dabei, das erwünschte, neue
Verhalten zu üben. Dieser Prozess voll-
zieht sich bei leichteren Belastungen
im limbischen und damit prinzipiell be-
wusstseinsfähigen Cortex. Schwere Defi-
zite haben sich hingegen tief in subcor-
ticale limbische Strukturen, vornehmlich
in Basalganglien einschließlich Amygdala
und Nucleus accumbens, eingegraben.
Dann hilft nur „Üben, Üben und noch-
mals Üben“, um ernsthafte Fortschritte
zu erreichen. Das Üben ist stark vom
Dopamin und damit von motivierenden
Belohnungen abhängig.
„Die Amygdala vergisst nichts“
Grundlegende Verhaltensveränderungen
dauern also lange und sind mühsam. Der
Coach macht seine Sache gut, wenn er
dafür sorgt, dass der ganze Prozess in
einer vertrauensvollen Atmosphäre mit
Ermunterung und freundlicher Kritik ab-
läuft. Kommt bei harscher Kritik Stress
auf, verfällt der Klient in der Regel wieder
in die alten Gewohnheiten. Die Neurobio-
logie hat herausgefunden, dass die neuen
Verhaltensweisen die alten Gewohnheiten
nur zuschütten oder überschreiben, ohne
sie zu löschen. In der klassischen Verhal-
tenstherapie ging man noch davon aus,
dass durch geeignete Maßnahmen, wie
zum Beispiel einer Konfrontationsthe-
rapie, bestimmte Verhaltensweisen ge-
löscht und durch andere ersetzt werden
können. Das ist laut neuester Forschung
nicht möglich: Es kommt laut Roth nur zu
einem Einkapseln alter Inhalte, die unter
starker Belastung wieder hervorbrechen
können, denn „die Amygdala vergisst
nichts“
Der Neurobiologie verdanken wir noch
eine weitere Erkenntnis, wenn es um
das „Überschreiben“ oder „Einkapseln“
schlechter Gewohnheiten geht. Um
etwas zu überschreiben, muss man es
erst einmal aktivieren. Die neuronalen
Netzwerke, die an einem Problem betei-
ligt sind, müssen gereizt werden. Das ge-
schieht im Coaching zum Beispiel indem
der Klient schwierige Situationen nach-
stellt oder realitätsnahe Erinnerungen
durchlebt oder sich von emotionalen
Berichten anrühren lässt. Probleme wer-
den so emotional erfahrbar gemacht, um
sie sogleich wirksam zu bearbeiten. Die
verschiedenen Coaching-Ansätze bieten
unterschiedliche Techniken an, um Pro-
bleme erfahrbar zu machen. „Jeder An-
satz nutzt aber nur einen Bruchteil der
vorhandenen Möglichkeiten“, betont
Roth.
Welche Interventionen ein Coach vorneh-
men sollte, hängt davon ab, ob es sich um
leichtere oder schwere Belastungen han-
delt. Das muss der Profi zu Beginn des
Coaching-Prozesses durch eine differen-
zierte Betrachtung der Problemursachen
und der Problemtiefe erforschen. Er sollte
schließlich wissen, ob im anstehenden
Coaching „nur“ einfache Lernprozesse
angestoßen werden sollen oder ob Refle-
xionsprozesse oder gar eine Persönlich-
keitsentwicklung anstehen. „Einfach“
ist der Fall, wenn der Klient in einer be-
stimmten Situation die richtige Vorge-
hensweise nicht kennt, etwas übersieht
oder missversteht. Der Coach kann dann
mit den passenden Tools schnell etwas
bewirken, indem er Situationen klärt
und hilft, Wege zum Ziel zu entdecken.
Ein anderer Klient kann sich im Gegen-
satz dazu mit hartnäckigen inneren Kon-
flikten herumschlagen. Daran gekoppelte
destruktive Überzeugungen können tief
im Unbewussten verankert sein. Solche
Unterschiede im Problem muss der Coach
rechtzeitig erkennen, um die passenden
Interventionen zu wählen.
Ressourcen aktivieren
Der Blick in die Vergangenheit zeigt dem
Coach nicht nur wie schwer das anste-
hende Problem ist, er kann so auch er-
kunden, welche Stärken der Klient in sei-
nem Leben schon einmal gezeigt hat. Da-
rauf kann das Coaching jetzt aufbauen.
Laut Neurobiologie ist es extrem wichtig,
dass der Coach seinem Klienten Zugang
zu (verschütteten) Ressourcen, zum Bei-
spiel zu den positiven Selbsterfahrungen
vergangener Jahre, verschafft. Der Klient
soll durch diverse Übungen seine Stärken
neu erfahren, denn das steigert seine Ver-
änderungskraft. Im Coaching geht es oft
auch darum, neue Kompetenzen aufzu-
bauen. Die Neurobiologie empfiehlt, dem
Klienten Gelegenheit zu geben, wich-
tige Erfahrungen, die er bislang missen
musste, nachzuholen. Oft fühlen sich
R
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