wirtschaft und weiterbildung 11-12/2016 - page 20

titelthema
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wirtschaft + weiterbildung
11/12_2016
„Wie genau schaffe ich das?“, wird sich
jetzt wohl jeder Coach fragen. Die Ant-
wort kommt ebenfalls aus der Wissen-
schaft: Ein Coach sollte zu Beginn eines
Coaching-Prozesses nicht zu viel „kogni-
tiv“ erklären, sondern sich mehr „emotio-
nal“ für den Klienten interessieren – zum
Beispiel dessen bisherige Lösungsver-
suche erkunden und loben. Im Wesent-
lichen kommt es auf drei Aspekte an:
• Der Klient hat das Gefühl, der Coach
erfasst meine Befindlichkeit genau
und ich kann mit ihm darüber reden.
Der Klient ist letztlich überzeugt: Der
Coach wird mir helfen.
• Der Coach strahlt die innere Überzeu-
gung aus, dass er dem Klienten helfen
kann und ihm zutraut, dass dieser die
Kraft hat, sich mithilfe des Coachings
selbst zu helfen.
• Beide haben den Glauben, dass die Me-
thode des Coachs die richtige Methode
für das anstehende Problem ist.
Laut Roth sollte ein Coach ganz gezielt
darauf achten, dass es eine therapeu-
tische Allianz zu erreichen gilt – aller-
dings ohne sich zu verbiegen oder etwas
zu versprechen, was nicht zu halten ist.
Problematisch erscheint die Forderung
nach einer therapeutischen Allianz im
Business-Kontext. Wenn der Arbeitgeber
den Coach bezahlt, damit er seinen Mit-
arbeiter unterstützt, dann handelt es sich
um eine Dreiecksbeziehung, in der der
Coach sehr diplomatisch auf seine Unab-
hängigkeit achten muss. Nur ein „ergeb-
nisoffenes“ Coaching kann ein sinnvolles
Coaching sein. Sollte der Klient den Ver-
dacht haben, der Coach berichte seinem
Arbeitgeber heimlich über den Verlauf
der Coaching-Gespräche, ist es mit einer
vertrauensvollen Arbeitsbeziehung für
immer vorbei.
Für einen Ratsuchenden leitet sich aus
dem Allianz-Phänomen eine entschei-
dende Konsequenz ab: Er muss zu meh-
reren Coachs persönlich Kontakt aufneh-
men. Am besten ist es, telefonisch eine
Vorauswahl zu treffen und mit minde-
stens drei Coachs (Praktikerrichtlinie)
persönlich zu reden und zu spüren, ob
die „Chemie“ stimmt. Beim Verdacht, der
Kontakt zum Coach könne sich schwie-
rig gestalten, sollte ein anderer Coach ge-
wählt werden. Eine als gut erlebte Bezie-
hung zum Coach ist laut Roth kein Luxus,
sondern die wichtigste Bedingung für den
Coaching-Erfolg.
Problembewältigung nicht
vergessen
Auch wenn die therapeutische Allianz ge-
lingt und es zu der erwarteten „massiven
Erhöhung“ des Bindungshormons Oxy-
tocin kommt, so nimmt doch bei allen
Therapieverfahren im Laufe der Zeit die
anfangs beobachtete Wirkung ab. Zuerst
kommen die Therapieerfolge üblicher-
weise schnell und deutlich, doch spä-
ter sind sie nur langsam und in kleinen
Schritten zu haben. Laut Roth sollte man
sich als Coach darüber im Klaren sein,
dass es wie in der Therapie so auch im
Coaching noch eine „zweite Phase“ mit
ganz eigenständigen Erfolgsbedingungen
gibt.
In dieser zweiten Coaching-Phase kommt
es darauf an, dass der Klient selbst etwas
tut – nämlich dass er neue Arten des
Fühlens, Denkens und Handelns einübt.
Dieses „Umlernen“ wurde von der Neu-
robiologie ebenfalls gründlich erforscht.
Das entsprechende Stichwort lautet „pro-
zedurales Einüben besser angepasster
Verhaltensweisen“. Der Coach unterstützt
04.
Impulshemmungssystem:
Gibt es die Fähigkeit, auf eine
Belohnung zu warten?
05.
Bindungssystem:
Gibt es die
Bereitschaft, sich auf andere
einzulassen?
06.
Realitätssinn:
Kann man die
negativen Folgen eigenen
Handelns erkennen?
abgetan, gilt aber inzwischen für alle
Therapieformen als der (übergreifende)
Wirkfaktor Nummer 1. Die therapeu-
tische Allianz könne sogar so stark wir-
ken, dass selbst Nonsens-Verfahren wie
die Edelsteintherapie einen Ratsuchenden
zum Aufblühen brächten, so Roth. Diese
starke positive Wirkung lässt sich neuro-
biologisch sehr präzise erklären.
Was die „therapeutische
Allianz“ bewirkt
Wer sich (vielleicht zum ersten Mal seit
Langem) wirklich verstanden und gut
aufgehoben fühlt, entwickelt eine emotio-
nale Bindung an seinen Coach. Dank die-
ses Gefühls wird im Gehirn des Klienten
das Bindungshormon Oxytocin ausge-
schüttet. Es senkt die Produktion des
Stresshormons Cortisol ab, das Menschen
zum Beispiel unter Grübeleien, Schuldge-
fühlen oder Reizbarkeit leiden lässt. Hier
gilt die alte Lebensweisheit: „Mitgeteiltes
Leid ist halbes Leid“. Gleichzeitig erhöht
das Bindungshormon auch noch den
Serotoninspiegel. Das beruhigt. Ein wei-
terer Effekt des Bindungshormons besteht
darin, dass sogenannte „hirneigene Dro-
gen“ (endogene Opioide) ausgeschüttet
werden. Diese heben die Stimmung und
reduzieren die Angst.
Eine gute Beziehung zum Coach hat
also zur Folge, dass gleich vier Stoffe
im Hirn ineinandergreifen und den Kli-
enten glücklicher machen. Im Klartext
heißt das, dass es nicht auf die „Rich-
tung“ oder „Schule“ ankommt, der ein
Coach anhängt, sondern darauf, dass er
in ausreichendem Maße in der Lage ist,
eine emotionale Bindung und ein gutes
Arbeitsbündnis mit seinem Gegenüber
herzustellen.
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