wirtschaft und weiterbildung 11-12/2016 - page 23

wirtschaft + weiterbildung
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Menschen in bestimmten Situationen un-
sicher und müssen lernen, wie sie sich
stattdessen verhalten können.
In der „zweiten Phase“ des Coachings
werden wieder vermehrt neue Zellen
im Hippocampus, in den Basalganglien
und im Hypothalamus gebildet. Das sind
Hirnbereiche, die für die Stressverarbei-
tung, den Antrieb, die Ausbildung neuer
Gewohnheiten wichtig sind. Die neuen
Zellen bewirken, dass die frischen Erfah-
rungen besser abgespeichert werden.
Was ein Coach in der „zweiten Phase“
des Coachings an Maßnahmen ergreift,
hängt derzeit sehr von der „Schule“ ab,
der er sich zurechnet. Jede „Schule“ hat
laut Roth einige (im Sinn der Neurobio-
logie) wirksame, aber auch viele unwirk-
same Interventionen in ihrem Methoden-
koffer. Der Hirnforscher plädiert dafür,
das Beste aus allen Ansätzen zu kombi-
nieren. Als Beitrag zur Diskussion haben
Roth und Ryba methodenübergreifende
„Ansatzpunkte“ für ein gutes Coaching
formuliert. ImWesentlichen geht es dabei
um die neurobiologisch „richtige“ Art,
Ressourcen zu aktivieren und neue Ge-
wohnheiten prozedural zu erlernen. Von
einem „alle Schulen übergreifenden Bera-
tungsmodell“ ist die Coaching-Szene laut
Roth aber noch weit entfernt.
Mit seinem Buch will der Hirnforscher
„nur“ aufklären. Es erweckt zu keiner
Zeit den Eindruck, ein Biologe könne
einen vertrauenswürdigen, einfühlsamen
Coach mit Ausbildung und Erfahrung er-
R
setzen. Jeder Klient ist schließlich mehr
als die Summe seiner Synapsen.
Medikamente statt Coaching?
Roth warnt davor, die beschriebenen
neuronalen Veränderungen mit Medika-
menten erreichen zu wollen. Jedes Ge-
hirn merke im Laufe der Zeit, dass ein
bestimmter Stoff nicht von ihm selbst
produziert werde und beginne damit, den
Stoff abzulehnen. Zugleich vermindere
das Gehirn (wie ein Unternehmer, der
staatliche Subventionen bekommt) die
schon sehr eingeschränkte Eigeninitia-
tive. Roth: „Langfristig entfalten nur The-
rapie und Coaching positive Wirkungen.“
Martin Pichler
Wie sich in jungen Jahren die Psyche entwickelt
Diese vier Ebenen (drei „limbische“ und eine „kognitive“)
bestimmen die Entwicklung unserer Psyche:
1.
Die untere limbische Ebene steuert die elementaren
affektiven Verhaltensweisen und Empfindungen. Die
Zustände sind genetisch und vorgeburtlich geprägt und lau-
fen unbewusst ab. Hier wird das Temperament festgelegt,
mit dem jemand zur Welt kommt.
2.
Die mittlere limbische Ebene ist die Ebene der emotio-
nalen Prägung (in der ersten Zeit nach der Geburt). Ereig-
nisse werden mit angeborenen Grundgefühlen wie Freude,
Furcht, Angst, Ärger, Neid verknüpft. Hier werden auch
Belohnungsereignisse verarbeitet. Es entstehen die Grund-
lagen für das Selbstbild und die Empathiefähigkeit gegen-
über anderen. Es handelt sich um nicht erinnerungsfähige
Lernprozesse.
3.
Die obere limbische Ebene speichert die bewussten
(sozial vermittelten) Antriebe und Erfahrungen. Hier ent-
wickelt sich die Impulshemmung, die Risikowahrnehmung
und Risikobewertung, das bewusste Belohnungs- und
Bestrafungsgedächtnis sowie moralische Regeln. Es erfolgt
eine Anpassung an die Erfordernisse des gesellschaft-
lichen Zusammenlebens, die bis etwa zum 18. oder 20.
Lebensjahr dauern kann.
4.
Die bewusstseinsfähige kognitiv-sprachliche Ebene
steht den drei limbischen Ebenen gegenüber. Hier auf die-
ser vierten Ebene liegen die Grundlagen von Intelligenz,
Hintergrund.
Die Neurobiologie geht davon aus, dass bewusst, intuitiv oder unbewusst ablaufen-
de psychische Prozesse auf vier „Ebenen“ des Gehirns angesiedelt sind – Auszug aus „Coaching,
Beratung und Gehirn“ von Gerhard Roth und Alica Ryba (Klett-Cotta, 2016, 384 Seiten, 29,95 Euro).
Alica Ryba.
Die Co-Autorin und Mitarbeiterin von Roth hat
auch das Buch „Integratives Coaching – Implikationen der
allgemeinen Psychotherapie für die Professionalisierung
des Coachings“ veröffentlicht
Verstand und Einsicht sowie von planvollem und kontext-
gerechtem Handeln. Diese Ebene hat keinen direkt wirk-
samen Einfluss auf die Verhaltenssteuerung, sondern
kommt immer nur in Verbindung mit starken Gefühlen und
Motiven zum Tragen.
Ein Beispiel:
Wenn ein Klient lernen soll, wichtige (zwi-
schenmenschliche) Erfahrungen nachzuholen, dann ist es
laut Roth wichtig, die (bewusste) obere limbische Ebene
und gleichzeitig auch die (nicht erinnerungsfähige) tief vor-
bewusste mittlere limbische Ebene anzusprechen.
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