PERSONALquarterly 2/2019 - page 14

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PERSONALquarterly 02/19
SCHWERPUNKT
_ORGANISATIONALE KARRIERE
Resultat leichter Zunahme interorganisationaler, und leichter
Abnahme intraorganisationaler Veränderungen) und die Grö-
ße der Einkommenszuwächse durch Wechsel nimmt ab (aber
Wechsel zahlen sich immer noch aus). Zufriedenheitszuwächse
nach einem Wechsel bleiben überhaupt gleich. Auch hier kom-
men wir zu dem Schluss: Einen Hype um „Alles wird radikal
anders“ muss man deswegen nicht lostreten.
Jedoch ist bei der Interpretation unserer Befunde in man-
cherlei Hinsicht Vorsicht geboten: So ist bspw. Deutschland
(wie auch Österreich) durch einen reglementierten Arbeits-
markt mit starkem kollektiven Arbeitsrecht charakterisiert.
Möglicherweise sind die Effekte des Wandels in Regionen mit
weniger Arbeitnehmerschutz ausgeprägter. Dazu sei zunächst
angemerkt, dass speziell in Deutschland der Arbeitsmarkt in
den letzten Jahrzehnten durchaus dereguliert wurde. Zusätz-
lich hat das Tarifsystem an Prägekraft verloren. Und empi-
rische Befunde der Analysen von Arbeitsmarktdaten anderer
europäischer Länder zeigen, dass in Frankreich, in den Nieder-
landen, in Portugal, aber auch in Großbritannien die Betriebs-
zugehörigkeitsdauer nicht gesunken, sondern zwischen 1992
und 2006 sogar leicht angestiegen ist (Rodrigues/Guest, 2010).
Mit ein wenig Wagemut lässt sich also vermuten, dass auch
hier keine große Veränderung zu finden sein wird.
Unsere Ergebnisse legen auch Konsequenzen für die Lauf-
bahnen innerhalb der Organisation nahe. Die verringerte
Anzahl interner Transitionen mag an immer flacheren Hie-
rarchien liegen, womit Aufwärtsbewegungen nicht mehr die
Norm darstellen. Vielmehr ist auch von mehreren kürzeren
Projekten und Zunahmen an Verantwortlichkeiten auszuge-
hen, die von den MitarbeiterInnen nicht unbedingt als interne
Jobwechsel identifiziert werden, aber doch ein großes Ausmaß
an Flexibilität und Weiterentwicklung mit sich bringen. Mög-
licherweise verändern sich also Karriererealitäten, ohne dass
sie als solche angesehen werden, eben weil Wandel zur Norm
geworden ist. Das würde unsere Einschätzungen relativieren.
Darüber hinaus ist ein großes Sample wie das SOEP zugleich
Segen und Fluch: Die gestellten Fragen sind nicht immer präzi-
se so formuliert, wie wir es uns wünschen, oder die interessie-
renden Variablen liegen nur in bestimmten Erhebungsjahren
vor. Unsere Ergebnisse aus den drei aufeinander aufbauenden
Studien sind jedoch in sich konsistent, im Einklang mit ande-
ren Befunden (z. B. Endemann, 2017) und zeigen somit eine
zeitliche Stabilität bis in die jüngste Vergangenheit. Und: Kaum
etwas weist auf einen radikalen Wandel seither hin.
Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus unserer allge-
mein gehaltenen Analyse für die personalwirtschaftliche Praxis
ziehen? Erstens nährt unsere Analyse die Skepsis gegenüber
Moden und Mythen, die vornehmlich u. a. von Unternehmens-
beratungen gepflegt werden. Prognosen bleiben daher schwie-
rig vor allem dann, wenn sie die Zukunft betreffen. Zweitens
unterstreichen unsere Untersuchungen die Bedeutung der
Themen Strategien und Instrumente, die mit langfristigen Be-
schäftigungsverhältnissen einhergehen. Die unbestrittenen
Änderungen und Herausforderungen der Arbeitswelt müssen
also mit recht stabilen Belegschaften bewältigt werden. Somit
entstehen Herausforderungen, die in Verbindung mit der damit
korrespondierenden Veränderung der Laufbahnsysteme einher-
gehen (vgl. dazu auch Latzke/Schneidhofer et al., 2017). Pro-
jektkarrieren sind eine passende Antwort auf verschwindende
Kaminkarrieren, bei denen sukzessive Führungsverantwor-
tung zunehmen würde. Das führt zu steigender Abwechslung
von Tätigkeitsinhalten. Allerdings kreiert man so auch leicht
eine zweite Hierarchie, die sich in Artefakten wie skurrilen
Jobbezeichnungen äußert, die vermeintliche „Aufstiege“ kenn-
zeichnen sollen. Organisationale Karrieren sind somit nicht
ein Relikt vergangener Zeiten, sondern brauchen lediglich eine
Neudefinition: Weniger auf und ab, dafür mehr in die Mitte von
Organisationen, die somit voluminöser (anstelle von „höher“)
werden. Laufbahnsysteme sollten somit sorgfältig gestaltet sein.
Drittens tragen unsere Ergebnisse ein wenig zur Entspan-
nung bei. Auch wenn wir nicht suggerieren, dass alles, was Ver-
fechterInnen der Veränderungshypothese sagen, unzutreffend
wäre, scheinen sich die Beschäftigungsverhältnisse nicht so ra-
dikal zu verändern. Das sollte nicht damit verwechselt werden,
dass man als Personalverantwortlicher den sprichwörtlichen
Kopf in den Sand stecken sollte. Auch bei graduellem Wandel
sind Veränderungen in den Prozessen oder Strukturen notwen-
dig. So hinterlässt z. B. die Digitalisierung ihren Fußabdruck in
der Personalarbeit (vgl. dazu genauer z. B. Strohmeier, 2018).
Quelle: Kattenbach et al., 2011
Abb. 3:
Jobwechsel von leitenden Angestellten und
Professionisten zwischen 1984 und 2010
18
16
14
12
10
8
6
4
2
0 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010
Jobwechsel
nur externe Wechsel
nur interne Wechsel
1...,4,5,6,7,8,9,10,11,12,13 15,16,17,18,19,20,21,22,23,24,...60
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