PERSONALquarterly 2/2019 - page 13

13
02/19 PERSONALquarterly
und Wechsel zwischen Organisationen getrennt voneinander
betrachtet werden. Während die Anzahl interorganisationaler
Wechsel leicht zunimmt, wird die Gesamtzahl an Wechseln des
Arbeitsplatzes von einem Arbeitgeber zum nächsten über den
Zeitverlauf durch eine Abnahme intraorganisationaler Wechsel
überkompensiert. Insgesamt gibt es demnach sogar weniger
Arbeitsplatzwechsel als früher. Weil Organisationen flexibler,
Hierarchien flacher und Laufbahnsysteme diverser werden,
geht die Anzahl an vertikalen Bewegungen in Organisationen
zurück. Darüber hinaus werden laterale Bewegungen heute ver-
mutlich nicht mehr als Wechsel des Arbeitsplatzes, sondern als
ein neues Projekt im alten Job verstanden. Insgesamt sind die
Veränderungen aber gering. Dies wird deutlich, wenn man kon-
textuelle Entwicklungen in die Betrachtung einschließt. So be-
einflusst die Konjunktur, gemessen am Bruttoinlandsprodukt,
die Anzahl zwischenbetrieblicher Wechsel deutlich stärker. Das
deckt sich mit anderen Ergebnissen, wonach vor allem Ange-
bot und Nachfrage am Arbeitsmarkt einen wichtigen Einfluss
haben (z. B. Biemann/Fasang et al., 2011). Es gibt auch Hinwei-
se, dass die zunehmenden externen Wechsel innerhalb einer
kleinen Personengruppe stattfinden, deren Karrieren sehr tur-
bulent verlaufen, wohingegen jene der meisten qualifizierten
Beschäftigten weiterhin Stabilität aufweisen (Endemann, 2017).
Die bisherigen Ergebnisse stützen eher relative Stabilität
denn radikalen Wandel von Karrieren. Ändert sich das, wenn
wir die Folgen von Arbeitsplatzwechseln berücksichtigen? Die-
se Ebene betrachten wir im letzten Schritt.
Die Veränderung wechselbedingter Konsequenzen
Mit den 2015 veröffentlichten SOEP-Daten konnten wir Kon-
sequenzen von Stellenwechseln für den Zeitraum von 1985
bis 2013 untersuchen. Wir haben N = 3634 Beschäftigte mit
freiwilligem Stellenwechsel hinsichtlich der Veränderungen
im Gehalt und in der Arbeitszufriedenheit mit ebenso vielen
Nichtwechslern verglichen, die sozio-demografisch eine große
Ähnlichkeit aufwiesen, aber im gleichen Zeitraum keine Stel-
lenveränderung hatten (statistische Zwillinge).
Das Gehalt stützt sich wie die Arbeitszufriedenheit auf Anga-
ben der Panel-TeilnehmerInnen. Die Veränderungen ergeben
sich jeweils durch einen Vergleich des betrachteten Jahres (also
jenem mit einemWechsel des Arbeitsplatzes) mit dem Vorjahr
(weshalb wir erst Wechsel ab 1985 berücksichtigen können).
In seltener Einigkeit zeigt die einschlägige Forschung, dass
sinkende Arbeitszufriedenheit der stärkste Auslöser für Ar-
beitsplatzwechsel ist und dass ein höheres Gehalt sowie eine
stärkere Zufriedenheit (zumindest kurzfristig) die signifikan-
testen Auswirkungen davon sind. Wir haben dazu keine wider-
sprechenden Indizien gefunden.
Überraschenderweise stellten wir jedoch fest, dass die
Einkommenszuwächse im Laufe der Zeit nicht zu-, sondern
abgenommen haben. Während die Zuwächse in der Karriere-
zufriedenheit nach einemWechsel des Arbeitsplatzes konstant
bleiben, fällt jener an Gehalt geringer aus als noch vor 20
Jahren. Das heißt, obwohl man nach einem Wechsel mehr ver-
dient als vorher, ist dieses „Mehr an Gehalt“ zurückgegangen.
Nichtwechsler steigen im Vergleich zu Wechslern zwar immer
noch schlechter auf (genauer gesagt bleibt die Lücke zwischen
beiden gleich groß), aber die Einkommenszuwächse werden
für beide geringer. Aber auch hier gilt, dass strukturelle Rah-
menbedingungen wie die Wirtschaftslage wichtige Einfluss-
faktoren darstellen, die zwar zu punktuellen Schwankungen
führen, einen generellen Trend mit Ausnahme geringerer Ein-
kommenszuwächse jedoch nicht erkennen lassen.
Diskussion, Resümee und Implikationen für die Praxis
Es soll hier keinesfalls der Eindruck entstehen, dass es keine
Veränderung gäbe, im Gegenteil: Ohne Wandel gibt es keine
Konstanz. Das ist die eine Seite des Wortspiels, auf das unser
Titel abzielt. Allerdings tendieren wir regelmäßig dazu, das
Ausmaß zu überschätzen, in dem Veränderungen stattfinden.
In Bezug auf die dominierende Ansicht, dass traditionelle or-
ganisationale Karrieren verschwinden, wurde bereits kritisch
angemerkt, dass die Behauptungen eher auf Annahmen, der
Zitierung von Annahmen anderer und speziellen Fallstudien
und Anekdoten beruhen (Clark, 2013).
Für Wissenschaft und Praxis erweist sich die Annahme des
Wandels als vorteilhaft, wie Mayrhofer (2012) zeigt: Die For-
scherInnen können den Forschungsbedarf, den sie dann auch
befriedigen, damit rechtfertigen, dass vermeintlich neue Zeiten
neue Fragen stellen. Auch tendieren wissenschaftliche Zeit-
schriften dazu, Veränderungsthematiken zu veröffentlichen. In
Zeiten, in denen für WissenschaftlerInnen „publish or perish“
vorherrscht, tut man gut daran, Wandel vorauszusetzen oder
zu finden. Allerdings sollte man festhalten, dass dies auch eine
Chance darstellt: Es stellen sich plötzlich Forschungsfragen,
die hierzu einen Gegenpol darstellen.
Auch für das Management ist die Annahme einer sich stark
ändernden Umwelt vorteilhaft: Sie kann als Blaupause für
organisationale Veränderungsprozesse dienen. Auch gilt es,
permanent die Bereitschaft zur Reaktion auf auch nur ver-
meintlich stattfindende Veränderung zu signalisieren. Und
es mag im Falle etwaiger Verfehlungen oder Irrwege auch
entlasten. Wenn sich die Welt so schnell und unvorhersehbar
verändert, wer mag ManagerInnen vorwerfen, dass sie nicht
situationselastisch genug reagiert hätten?
Die zweite Seite unseres Wortspiels möchte darauf hinwei-
sen, dass dennoch stattfindende Veränderungen eher graduell
sind. Ein disruptiver Wandel karrierebezogener Dimensionen
findet nicht statt. Wenn Veränderung passiert, dann in eher ho-
möopathischen Dosen. Einzelne Personengruppen verändern
ihre Einstellungen (allerdings alles andere als radikal), ins-
gesamt gibt es weniger Wechsel als früher (allerdings nur als
1...,3,4,5,6,7,8,9,10,11,12 14,15,16,17,18,19,20,21,22,23,...60
Powered by FlippingBook