PERSONALquarterly 2/2019 - page 6

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SCHWERPUNKT
_INTERVIEW
PERSONALquarterly 02/19
PERSONALquarterly:
Herr Hirschi, Sie waren vor Ihrer wissen-
schaftlichen Tätigkeit bereits Laufbahnberater, jetzt forschen
Sie zu Karrieren und Laufbahnen. Damit kennen Sie die Praxis
und auch die Forschung. Welchen Beitrag kann die Karriere-
forschung für die Praxis des erfolgreichen Managements von
Organisationen leisten?
Andreas Hirschi:
Die Karriereforschung kann helfen, Faktoren zu
identifizieren, welche es Personen erlauben, ihr berufliches
Potenzial auszuschöpfen und möglichst lange, motiviert und
leistungsfähig in einem Unternehmen tätig zu sein. Dabei
können sowohl Erkenntnisse über Determinanten der persön-
lichen beruflichen Zufriedenheit als auch der Arbeitsleistung
gewonnen werden. Das Spezielle an der (psychologischen) Kar-
riereforschung ist, dass sie die aktive Rolle des Individuums in
der Gestaltung der eigenen Laufbahn ins Zentrum rückt. Dies
wird gerade vor dem Hintergrund der zunehmenden Dynamik
in Organisationen und auf dem Arbeitsmarkt immer wich-
tiger, da häufiger wichtige laufbahnrelevante Entscheidungen
getroffen werden müssen und vermehrt mit Unsicherheiten
(bspw. bzgl. des Arbeitsplatzes) umgegangen werden muss.
Damit können wichtige Erkenntnisse gewonnen werden, wie
Unternehmen ihre Mitarbeitenden bei der selbstverantwort-
lichen Gestaltung ihrer beruflichen Laufbahn unterstützen
können. So zeigt die Karriereforschung z. B., dass Mentoren
bei der Klärung von beruflichen Zielen eine unterstützende
Rolle spielen können und Menschen mit Mentoren ihre Karrie-
re erfolgreicher gestalten. Unternehmen können auf der Basis
dieser Erkenntnisse Mentoringprogramme einführen, um die
Karriereentwicklung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
gezielt zu unterstützen.
PERSONALquarterly:
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind also
zunehmend selbst für ihre Karriere- und Laufbahnentwicklung
zuständig. Wie können Organisationen sie dabei unterstützen?
Andreas Hirschi:
Ein wichtiger Aspekt ist, dass Unternehmen
berufliche Entwicklungsmöglichkeiten im Unternehmen
schaffen. Diese sollten der zunehmenden Individualität und
Heterogenität von Laufbahnen gerecht werden. Dies bedeu-
tet, dass nicht nur Führungs- und Fachkarrieren mit einem
bestimmten Muster angeboten werden, sondern individuelle
Der Beitrag der Karriereforschung für die
Praxis in den Organisationen
Das Interview mit
Prof. Dr. Andreas Hirschi
führte
PD Dr. Daniel Spurk
Entwicklungsmöglichkeiten bestehen, welche z. B. auch ho-
rizontal verlaufen. Damit könnten Mitarbeitende in diversen
Projekten Erfahrungen sammeln, ohne dass zwingend eine
vorgegebene Führungs- oder Fachkarriere eingeschlagen wird.
Zudem ist die aktive Unterstützung der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter bei der Gestaltung ihrer Laufbahn wichtig. Hier
spielen Vorgesetzte eine wichtige Rolle. Sie sollten mit ihren
Mitarbeitenden Laufbahnzyklen und Laufbahnphasen, in de-
nen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bestimmte Kompe-
tenzen in Hinblick auf zukünftige Aufgaben innerhalb – aber
eventuell auch außerhalb – des Unternehmens entwickeln
können, planen.
PERSONALquarterly:
Als eine Möglichkeit des eigenen Karriere­
managements werden sog. „I-Deals“ bzw. idiosynkratrische
Vereinbarungen zwischen Mitarbeitenden und Organisation
genannt. Was versteht man darunter und welche Vorteile brin-
gen sie für die Organisationen und die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter?
Andreas Hirschi:
I-Deals bzw. idiosynkratrische Vereinbarungen
gehen auf die individuellen Wünsche der Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter ein und versuchen eine Vereinbarung (z. B.
zum Arbeitsort und zur Arbeitszeit) zu erzielen, welche so-
wohl für die Organisation wie auch für den einzelnen Mit-
arbeitenden befriedigend ist. Aufgrund der zunehmenden
Individualisierung von Lebens- und Karriereverläufen kön-
nen Standardformen für die Karriereentwicklung (z. B. zeitlich
oder inhaltlich klar gestaffelte Laufbahnetappen), welche für
alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem Unternehmen
gelten, zunehmend weniger die Bedürfnisse der Mitarbeiten-
den befriedigen und abdecken. Unternehmen müssen somit
zusehends die individuellen Lebensumstände und Bedürfnisse
jedes einzelnen Mitarbeitenden berücksichtigen (z. B. Wunsch
nach Freizeit, Wunsch nach Flexibilität, Wunsch nach Auf-
stieg) und versuchen, eine für beide Seiten passende Lösung
zur Karriereplanung und Laufbahngestaltung zu finden. Wenn
dies gelingt, werden sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
eher emotional mit dem Unternehmen verbunden fühlen,
mehr Arbeitsengagement zeigen und länger im Unternehmen
verbleiben.
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