PERSONALquarterly 2/2019 - page 10

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PERSONALquarterly 02/19
SCHWERPUNKT
_ORGANISATIONALE KARRIERE
E
ine aktuelle Studie von 192 Aufsätzen in vier einschlä-
gigen Fachzeitschriften identifiziert drei Topthemen
der Karriereforschung: Karriereerfolg, Karriereent-
scheidungen und Employability. Wichtiger ist jedoch,
dass so gut wie alle betrachteten Studien betonen, dass sich
Karrieren in den letzten Jahrzehnten fundamental verändert
haben (Akkermanns/Kubasch, 2017). Karriereerfolg ist dem-
nach heute etwas anderes als früher. Die Welt, in der wir le-
ben, ist komplexer (und Entscheidungen damit schwieriger)
und, um „employable“ zu bleiben, braucht es heute mehr und
anderes als noch vor 30 Jahren. Globalisierung, Technologisie-
rung und Digitalisierung sind nur drei der Kontextfaktoren, die
dafür verantwortlich gemacht werden.
Die Überzeugung eines starken Wandels teilen so viele
ForscherInnen und PraktikerInnen (aber nicht alle, vgl. z. B.
Rodrigues/Guest, 2010; Kovalenko/Mortelmanns, 2014), dass
eine gewisse Parallele zu Moden und Mythen des Organisie-
rens naheliegt. Dies hat durchaus praktische Relevanz: In einer
vermeintlich schönen neuen Arbeitswelt, die durch rasante Ver-
änderungen immer neue Alternativen bietet, müssen Organisati-
onen anders gestaltet werden als in einer Welt, in der die einzige
Veränderung im Leben eine Konstante ist. Dies ist für HRM, aber
auch für die individuelle Karriereplanung von großer Bedeutung.
Aber haben sich Karrieren wirklich so fundamental verän-
dert? Haben Menschen heute andere Vorstellungen und Wün-
sche hinsichtlich ihrer Karriereverläufe? Wechseln sie häufiger
den Job und den Arbeitgeber? Und liegt das daran, dass sich
Wechsel dieser Tage mehr auszahlen?
Wir haben uns in den letzten Jahren intensiv mit diesen
Fragen auseinandergesetzt. Dazu haben wir uns auf drei The-
menbereiche konzentriert: (1) Karriereerwartungen, vor allem
Aspekte der gefühlten Arbeitsplatzsicherheit, der Wechselab-
sichten sowie der Zukunftsaussichten hinsichtlich des eigenen
Karriereverlaufs (Kattenbach/Lücke et al., 2011); (2) Arbeits-
platzwechsel, vor allem hinsichtlich der Frage, ob (und wie)
sich Menschen beruflich verändern (Kattenbach/Schneidhofer
et al., 2014) und wie sich das im Laufe der Zeit verändert hat,
d. h. im Gegensatz zur Gedankenwelt bei (1) geht es hier um
Die einzige Veränderung im (Karriere-)Leben
ist eine Konstante?
Von
Univ.-Prof. Dr. Thomas M. Schneidhofer
(Privatuniversität Schloss Seeburg),
PD Dr. Markus Latzke
(FH Campus Wien),
Prof. Dr. Ralph Kattenbach
(International School of Management, Hamburg),
o. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Mayrhofer
(Wirtschafts­
universität Wien), und
Prof. Dr. Florian Schramm
(Universität Hamburg)
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gezeigtes Verhalten; und (3) Konsequenzen von Jobwechseln,
vor allem hinsichtlich Gehalt(-szuwachs) und Zufriedenheit
(-sanstieg) im Zeitverlauf (Latzke/Kattenbach et al., 2016).
Die Datengrundlage für diese Analysen stellt das Sozio-
oekonomische Panel (SOEP). Diese Wiederholungsbefragung
des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung liefert seit
1984 Informationen auf Haushaltsebene. Die ursprüngliche
Stichprobe der für Deutschland repräsentativen Befragung be-
inhaltet 5.921 private Haushalte, in denen alle Volljährigen
umfassend zum Arbeits- und Privatleben interviewt wurden.
Nach mehreren Stichprobenerweiterungen werden mittlerwei-
le ca. 30.000 Personen in über 11.000 Haushalten einmal pro
Jahr interviewt (Goebel/Grabka et al., 2018). Inkludiert sind
Angaben zu Einkommen und Erwerbstätigkeit. Damit können
wir Rückschlüsse für die Erwerbsbevölkerung in Deutschland
wie auch für einzelne Gruppen, wie etwa Führungskräfte und
hoch qualifizierte Beschäftigte, ziehen. Die Daten ermöglichen
auch die Betrachtung von Einstellungen, Verhaltensweisen und
Ergebnisfaktoren über die Zeit hinweg. So lassen sich Verände-
rungen in Karriereverläufen gut nachzeichnen.
DieserArtikel istwie folgt aufgebaut: Zunächstwerdenwir der
Frage nachgehen, wie nahe Wandel und Stabilität einander ste-
hen, um danach die drei erwähnten Ebenen karrierebezogener
Veränderungen (Karriereerwartungen, Arbeitsplatzwechsel,
Konsequenzen) zu diskutieren. Schließlich werden wir die Er-
kenntnisse durch eine Diskussion, die die praktische Relevanz
ins Zentrum stellt, ins passende Licht rücken.
Die einzige Veränderung im Leben ist eine Konstante?
Schon bei Goethes Faust kann man lesen: „Was ihr den Geist der
Zeiten heißt, das ist im Grund der Herren eigner Geist, in dem
die Zeiten sich bespiegeln.“ Was wir „radikalen Wandel“ nen-
nen ist also vielleicht lediglich eine Projektion unserer eigenen
Einstellungen und Wünsche, die wir in die Welt hinaustragen.
Für unser Thema hieße das: Gehen wir von vornherein davon
aus, dass sich die Welt permanent ändert, und finden wir über-
all Veränderungen, eben weil wir sie erwarten? Da unsere Ex-
pertise auf dem Feld der Karriereforschung liegt, formulieren
wir diese Fragen um, damit wir sie empirisch auf den Prüfstand
stellen können: Haben sich karrierebezogene Erwartungen, die
1 Die Autoren möchten Sarah Bartsch und Aleksandra Endemann für die Hilfe bei der Überarbeitung des
Manuskripts sowie den beiden ReviewerInnen für die entwicklungsfördernden Kommentare danken.
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