PERSONALquarterly 2/2018 - page 48

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PERSONALquarterly 02/18
NEUE FORSCHUNG
_STRESSPRÄVENTION
gezeigt wird, desto geringer ist das Ausmaß psychischer Bean-
spruchung. Es ist zu vermuten, dass das soziale Element der
öffentlichen Praxis hauptverantwortlich für ihren negativen Zu-
sammenhang mit der psychischen Beanspruchung ist, indem es
eine Art soziale Rückendeckung bietet und dadurch das Zuge-
hörigkeitsbedürfnis der Menschen befriedigt. Als ein zentrales
menschliches Bedürfnis spielt das Zugehörigkeitsgefühl bzw.
seine Befriedigung eine wichtige Rolle für das psychische Wohl-
befinden. In diesem Zusammenhang wirkt die Religiosität wie
eine soziale Ressource, da die Zugehörigkeit zu einer religiösen
Gruppe Sicherheit vermittelt und den Zugang zu sozialer Unter-
stützung in der Gruppe erleichtern und dadurch die psychische
Beanspruchung reduzieren kann (vgl. Ellison et al., 2001). Die
vermutete Pufferwirkung der Religiositätsdimensionen auf den
Zusammenhang zwischen Arbeitsstress und psychischer Bean-
spruchung hat sich jedoch nicht bestätigt. Obwohl die Dimension
öffentliche Praxis die psychische Beanspruchung direkt redu-
ziert, können weder sie noch andere Religiositätsdimensionen
den empfundenen Arbeitsstress und seinen verstärkenden Effekt
auf die psychische Beanspruchung abmildern.
Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse, dass Arbeitnehmer/
-innen in helfenden Berufen, die eine Führungsposition inneha-
ben, weniger psychischeBeanspruchung empfinden, als Personen
ohne Führungsposition. Obwohl mit einer Führungsposition zu-
sätzliche Aufgaben und Verantwortlichkeiten einhergehen, hat
dies positive Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden.
Es lässt sich zum einen vermuten, dass eine Führungsposition
mehr administrative Tätigkeiten und dafür weniger soziale Inter-
aktionen beinhaltet, die häufig als besonders belastend empfun-
den werden. Zum anderen geht eine Führungsposition meist mit
größeren Entscheidungs- und Handlungsspielräumen einher,
die offenbar Stress mildern können. Des Weiteren ist es plausi-
bel anzunehmen, dass sich gerade psychisch besonders wider-
standsfähige Personen für eine Führungsposition interessieren
und qualifizieren, sodass Führungskräfte durchschnittlich von
vornherein über ein höheres psychisches Wohlbefinden verfügen
als ihre Mitarbeiter ohne Führungsverantwortung.
Grenzen der Studie
Trotz der generierten Erkenntnisse unterliegt diese Studie
Grenzen. Diese entstehen zum einen durch ihr Querschnitts-
design, wodurch keine Aussagen zu kausalen Beziehungen
getroffen, sondern lediglich Zusammenhänge zwischen Varia-
blen aufgezeigt werden können. Zum anderen handelt es sich
bei den Teilnehmer/-innen der Studie um eine sehr spezifische
Stichprobe von Arbeitnehmer/-innen aus helfenden Berufen.
Während dies den Vorteil bietet, konkrete Erkenntnisse bezo-
gen auf diese Population zu gewinnen, schränkt diese Stichpro-
be die Generalisierbarkeit der Befunde ein. Es können demnach
keine Aussagen über die gleichen Zusammenhänge in anderen
(nicht-helfenden) Berufen getroffen werden. Darüber hinaus
ist es möglich, dass die Varianz in der abhängigen Variable im
Vergleich zu einer heterogeneren Stichprobe eingeschränkt ist.
Praxisimplikationen
Die Ergebnisse der Studie erlauben die Ableitung von Hand-
lungsempfehlungen für Unternehmen zur Senkung der psy-
chischen Beanspruchung in helfenden Berufen. Erstens zeigt
sich, dass Arbeitsstress in Form der Gratifikationskrise die
psychische Beanspruchung erhöht. Daher sollte der Fokus in
der Prävention auf einer Erhöhung beruflicher Belohnungen
oder auf einer Senkung der beruflichen Verausgabungen (z.B.
Arbeitsmenge, Zeitdruck, Arbeitsunterbrechungen) liegen, die
gemeinsam das Stressempfinden bestimmen. Bei den Beloh-
nungen muss nicht ausschließlich an das Gehalt gedacht wer-
den; vielmehr sind auch Anerkennung, Arbeitsplatzsicherheit
oder ein mitarbeiterorientierter Führungsstil (vgl. Weiß/Süß,
2016) geeignet, als Belohnung zu wirken und die empfundene
Gratifikationskrise zu mildern. Auch die übersteigerte Veraus-
gabungsneigung, die eine verstärkende Wirkung auf die psy-
chische Beanspruchung gezeigt hat, bietet einen Ansatzpunkt
zur Prävention psychischer Beanspruchung. Studien (vgl. z.B.
Aust/Peter/Siegrist, 1997) haben gezeigt, dass sich die beruf-
liche Verausgabungsneigung durch Stress-Reduktions-Trai-
nings senken lässt. Entsprechende Maßnahmen sind gerade
für die Berufsgruppe der helfenden Berufe empfehlenswert, da
diese nicht nur eine ausgeprägte berufliche Verausgabungsnei-
gung aufweisen, sondern in dieser Studie auch gezeigt werden
konnte, dass die Verausgabungsneigung eng mit einer inten-
siven psychischen Beanspruchung verknüpft ist.
Zweitens zeigte die Religiositätsdimension öffentliche Praxis,
imKontrast zu den anderen Religiositätsdimensionen, eine bean-
spruchungssenkende Wirkung. Die Dimension öffentliche Praxis
hat im Gegensatz zu den anderen Dimensionen eine starke so-
ziale Komponente. Im Fokus stehen die Gemeinschaft sowie ein
gemeinschaftliches Erlebnis, was sozialen Rückhalt geben und
damit die negativen Folgen erlebten Stresses abmildern kann.
Es ist zu vermuten, dass es dabei weniger um den religiösen
Charakter der gemeinsamen Aktivität geht als um das soziale
Miteinander. Daher ist es Unternehmen zu empfehlen, ihre Mit-
arbeiter darin zu bestärken, in einer Art öffentlichen Praxis ak-
tiv zu werden. Es sollte Raum (im wörtlichen wie übertragenen
Sinne) zur Verfügung gestellt werden, in dem sich interessierte,
gleichgesinnte Mitarbeiter/-innen treffen, austauschen und z.B.
gemeinsam in sozialen Projekten engagieren können. Darüber hi-
naus ist zu bedenken, wie mit Religion bzw. religiöser Diversität
in Unternehmen umgegangen wird. Eine Unternehmenskultur,
die von Offenheit und Akzeptanz gegenüber (unterschiedlichen)
religiösen Orientierungen geprägt ist, kann einen positiven Bei-
trag leisten, damit Religiosität ihre beanspruchungsmindernde
Wirkung entfalten kann. Im Rahmen der Integration von Ge-
flüchteten in Unternehmen erlangt dies aufgrund einer damit
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